EU-Kommission, Datenschutz

EU-Kommission will Datenschutz radikal zurückbauen

18.11.2025 - 15:10:12

Geleaktes Digital Omnibus-Gesetzespaket der EU-Kommission droht zentrale Elemente von DSGVO und KI-Gesetz zu schwächen. 127 Organisationen warnen vor größtem Abbau digitaler Grundrechte.

Die Europäische Kommission steht vor einem Eklat: Nur einen Tag vor der geplanten Präsentation sorgt ein geleaktes Gesetzespaket für massive Empörung. 127 Organisationen warnen vor dem „größten Abbau digitaler Grundrechte in der Geschichte der EU”.

Was als harmlose Vereinfachung verkauft wird, entpuppt sich als Frontalangriff auf hart erkämpfte Schutzstandards. Das „Digital Omnibus” genannte Paket will zentrale Elemente der DSGVO und des brandneuen KI-Gesetzes schleifen – und das im Eilverfahren, ohne öffentliche Debatte. Die Kritik: Brüssel knickt vor der Tech-Lobby ein.

Blitzkrieg gegen bewährte Regeln

Hinter dem technokratischen Namen verbirgt sich ein Instrument, mit dem die Kommission mehrere Gesetze auf einen Schlag ändern kann. Offiziell soll das Regelwerk vereinfacht und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen gestärkt werden – eine Forderung, die aus dem einflussreichen Draghi-Bericht von 2024 stammt.

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Doch die durchgesickerten Entwürfe zeigen: Betroffen sind nicht nur Randaspekte, sondern Kernelemente der Datenschutz-Grundverordnung, des KI-Gesetzes, der ePrivacy-Richtlinie und des Data Acts. Organisationen wie European Digital Rights (EDRi) und noyb werfen der Kommission vor, demokratische Kontrolle gezielt zu umgehen. Wo bleiben Folgenabschätzungen? Wo die öffentliche Konsultation?

KI-Konzerne bekommen Freibrief

Besonders brisant: Das KI-Gesetz, gerade erst verabschiedet, soll bereits wieder aufgeweicht werden. Ein neuer Rechtsgrund in der DSGVO würde die „Entwicklung und den Betrieb von KI-Systemen” als „berechtigtes Interesse” für die Verarbeitung personenbezogener Daten etablieren. Was bedeutet das konkret? KI-Firmen könnten künftig Nutzerdaten für das Training ihrer Modelle nutzen – weitgehend ohne Einschränkungen.

Noch drastischer: Selbst sensible Daten wie Gesundheitsinformationen oder politische Überzeugungen sollen künftig allgemein für KI-Training verwendet werden dürfen. Datenschützer sehen darin ein Geschenk an Big Tech, das weit über die im KI-Gesetz vorgesehenen Ausnahmen zur Bias-Erkennung hinausgeht.

Mehrere Mitgliedstaaten, darunter Deutschland und Tschechien, haben bereits eine einjährige Verschiebung der Regeln für Hochrisiko-KI-Systeme gefordert. Begründung: Die notwendigen technischen Standards liegen noch nicht vor.

DSGVO wird entkernt

Die geplanten Änderungen an der Datenschutz-Grundverordnung schlagen die höchsten Wellen. Laut Leak-Dokumenten soll die Definition „personenbezogener Daten” drastisch eingeschränkt werden. Pseudonyme Daten wie Werbe-IDs und Cookies würden damit aus dem Schutzbereich der DSGVO herausfallen – ein Freifahrtschein für allgegenwärtiges Online-Tracking.

Auch bei sensiblen Daten droht eine Verwässerung: Nur noch direkt erkennbare Informationen würden den besonderen Schutz genießen. Durch Profiling abgeleitete Charakteristika? Künftig nicht mehr automatisch geschützt. Bürgerrechtsorganisationen warnen: Dies legitimiert invasive Geschäftsmodelle, die sensible Rückschlüsse über Menschen ziehen – ohne deren ausdrückliche Zustimmung.

Ende der Cookie-Einwilligung?

Ein weiterer Paukenschlag: Die seit Jahren blockierte ePrivacy-Verordnung soll kurzerhand in die DSGVO integriert werden. Kritiker befürchten, dass damit die strikte „Opt-in”-Pflicht für Tracking-Cookies durch eine schwächere „berechtigtes Interesse”-Regelung ersetzt wird. Europa würde faktisch auf ein Opt-out-System umsteigen – ein Paradigmenwechsel, der die Privatsphäre der Nutzer massiv schwächen würde.

Wirtschaft gegen Grundrechte?

Der Streit um das Digital Omnibus offenbart einen grundsätzlichen Konflikt: Soll die EU ihre Rolle als globaler Vorreiter rechtsbasierter digitaler Governance aufgeben, um wirtschaftlich konkurrenzfähiger zu werden? Die Industrie begrüßt den Bürokratieabbau als überfällig. Die Zivilgesellschaft sieht darin eine Kapitulation vor Lobbyisten – insbesondere vor US-amerikanischen Tech-Konzernen.

Paradox: Europäische Unternehmen haben Millionen in die DSGVO-Compliance investiert und bereiten sich auf das KI-Gesetz vor. Eine Aufweichung schaffe nicht nur Rechtsunsicherheit, sondern zerstöre auch das Vertrauen der Bürger, argumentieren Kritiker. Ein EU-Abgeordneter brachte es auf den Punkt: „Wir machen uns abhängiger von ausländischer Technologie, statt unsere eigene Souveränität zu stärken.”

Entscheidung mit weitreichenden Folgen

Am 19. November 2025 will die Kommission das Digital Omnibus offiziell vorstellen. Anschließend müssen Europaparlament und Rat zustimmen – und dort dürfte das Paket auf erheblichen Widerstand stoßen. Die Koalition aus 127 Organisationen fordert einen sofortigen Stopp der Pläne und eine transparente, evidenzbasierte Überprüfung bestehender Gesetze statt eines übereilten Kahlschlags.

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob Europa seinen Ruf als Schutzmacht der Bürgerrechte im digitalen Zeitalter verteidigen kann – oder ob wirtschaftliche Interessen die Oberhand gewinnen. Die Entscheidung wird richtungsweisend sein für die globale Tech-Regulierung.

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