Während in Israel hochrangige Regierungsvertreter und das Kriegskabinett über eine Reaktion auf den iranischen Großangriff beraten, will sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock erneut in Israel um eine Deeskalation bemühen.
16.04.2024 - 16:41:36GESAMT-ROUNDUP: Israel wägt Reaktion auf Iran-Angriff ab - Drohung aus Teheran
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte am Dienstag einem Bericht zufolge, die Reaktion des jüdischen Staates müsse klug sein. Teheran solle nervös warten müssen, wann die Gegenreaktion erfolge, so wie es Israel ergangen sei. Der Iran reagierte prompt und warnte Israel erneut vor einem Gegenangriff. Wie eine mögliche Reaktion Israels konkret aussehen könnte, ist aber noch unklar. Baerbock will an diesem Mittwoch mit Netanjahu, Außenminister Israel Katz und Minister Benny Gantz sprechen.
Der iranische Präsident Ebrahim Raisi sagte in einem Telefonat mit Katars Emir Hamad Al Thani laut dem Webportal seines Präsidialamts: "Die kleinste Aktion (Israels) gegen die nationalen Interessen des Irans wird umfangreiche und schmerzhafte Konsequenzen haben." Im Fall einer militärischen Antwort vonseiten Israels würde die iranische Reaktion "mindestens zehnmal drastischer" als die ersten Angriffe sein, hatte der Sicherheitsrat des Landes mitgeteilt. Bislang habe der Iran die kleinste Form der Bestrafung für Israel gewählt, hieß es in der Mitteilung des Rats. Der Iran hat zuletzt mehrmals Israel vor einer militärischen Antwort gewarnt.
In Israel laufen die Beratungen hochrangiger Regierungsvertreter und des Kriegskabinetts seit dem Angriff auf Hochtouren. In dem wichtigen Gremium wurde noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Klar ist, dass Israel den iranischen Angriff auch nach Angaben der Militärführung des Landes nicht unbeantwortet lassen will.
Baerbock: Niemand darf weiteres Öl ins Feuer gießen
Baerbock rief den Iran und Israel vor ihrem überraschenden neuerlichen Israel-Besuch, zu dem sie bereits am Dienstag aufbrechen wollte, dazu auf, die Krise in Nahost nicht weiter zu befeuern. "Niemand darf jetzt weiteres Öl ins Feuer gießen", sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag bei einem Treffen mit ihrem jordanischen Kollegen Aiman al-Safadi in Berlin. Das gelte vor allem für den Iran und seine Stellvertreter in der Region wie die Hisbollah im Libanon oder die Huthi im Jemen.
Mit Blick auf Israel sagte sie, wer Zweifel gehabt habe, dass sich das Land gegen massive Raketenangriffe verteidigen könne, habe sich verrechnet. In Israel werde sie ihren Gesprächspartnern "die volle Solidarität Deutschlands versichern und wir werden darüber sprechen, wie eine weitere Eskalation mit Zug um Zug mehr Gewalt verhindert werden kann". Sie ergänzte: "Es kommt jetzt darauf an, Iran Einhalt zu gebieten, ohne einer weiteren Eskalation Vorschub zu leisten." In den vergangenen Tagen hatten appellierten Staats- und Regierungschefs weltweit appelliert, eine weitere Eskalation in der Region zu verhindern. Die Befürchtungen vor einem Flächenbrand im Nahen Osten wachsen.
Israel: Auch "politische Offensive" gegen Iran gestartet
Der Rundfunksender Kan berichtete, unter Berufung auf einen hochrangigen Beamten, Israel habe zugesichert, die USA vor einem möglichen Gegenschlag zu informieren. Damit solle US-Truppen in der Region Zeit gegeben werden, sich auf iranische Vergeltungsmaßnahmen vorzubereiten. Neben der Möglichkeit eines Gegenschlags läuft laut Israels Außenminister Katz ebenso eine "politische Offensive" gegen die Islamische Republik.
"Ich habe heute Morgen Briefe an 32 Staaten geschickt und mit Dutzenden Außenministern und führenden Repräsentanten auf der Welt gesprochen, schrieb er auf der Plattform X, vormals Twitter. Dabei habe dazu aufgerufen, Sanktionen gegen das iranische Raketenprogramm zu verhängen und die Revolutionsgarden der islamischen Republik zu einer Terrororganisation zu erklären. Dies sei ein Weg, Teheran zu bremsen und zu schwächen. "Der Iran muss jetzt gestoppt werden - bevor es zu spät ist."
Putin telefoniert mit Irans Präsidenten Raisi
Russlands Präsident Wladimir Putin rief derweil in einem Telefonat mit seinem iranischen Kollegen Ebrahim Raisi alle Seiten im Nahostkonflikt zur Zurückhaltung auf. Putin habe in dem Gespräch seine Hoffnung ausgedrückt, dass es nicht zu einer weiteren Runde der Konfrontation komme, teilte der Pressedienst des Kremls am Dienstag mit. Eine Eskalation könne katastrophale Folgen für die gesamte Region haben. Russland hat den Raketenangriff Irans auf Israel nicht explizit verurteilt. Raisi betonte nach Kremlangaben im Gespräch mit Putin, es habe sich bei dem Beschuss um einen begrenzten Schlag gehandelt. Teheran sei an einer weiteren Eskalation nicht interessiert. Russland und der Iran gelten als Verbündete.
Offenbar keine Hilfe Saudi-Arabiens bei Abwehr von Iran-Angriff
Indes hat das mit den USA verbündete Saudi-Arabien laut Kreisen aus dem saudischen Verteidigungsministerium nicht bei der Abwehr von Irans Großangriff auf Israel geholfen. Die iranischen Drohnen und Raketen hätten den irakischen und jordanischen, nicht aber den saudischen Luftraum durchquert, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Ministeriumskreisen in Riad am Dienstag. Auch Berichte über eine Zusammenarbeit der Geheimdienste sei falsch, weil Israel und die USA bereits "alle benötigten Informationen über iranische Waffen" sowie deren Fähigkeiten und Geschwindigkeiten hätten.
In einem Bericht des von Saudi-Arabien finanzierten Nachrichtenkanals Al-Arabija war von einer "Klarstellung" die Rede - nach israelischen Medienberichten über eine angebliche Mithilfe Saudi-Arabiens. Die israelische Nachrichtenseite Kan hatte unter Berufung auf eine Quelle mit Verbindungen zur saudischen Königsfamilie berichtet, dass die Streitkräfte des Königreichs offenbar beteiligt waren. Im saudischen Luftraum würden "alle verdächtigen Objekte" abgefangen, wurde die Quelle zitiert.
Kämpfe und Angriffe im Gazastreifen gehen weiter
Im Gazastreifen gehen unterdessen die Kämpfe und Angriffe weiter. Mit Blick auf den abgeriegelten Küstenstreifen verlangte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, neue Anstrengungen aller Länder mit Einfluss zur Entspannung der gefährlichen Lage im Nahen Osten. Die verheerende humanitäre Krise im Gazastreifen müsse beendet werden, die Attacken im besetzten Westjordanland müssten aufhören und das Risiko einer Eskalation des Konflikts verhindert werden, teilte Türk in Genf mit.
Israel behindere weiterhin die Einfuhr und Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen, sagte Türk. Das sei ebenso wie die weitreichende Zerstörung ziviler Infrastruktur nach internationalem Recht verboten. Er verlangte zudem die Freilassung der im Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppten Geiseln aus Israel, eine Feuerpause und vollen Zugang aller humanitären Helfer, um die Not der Zivilbevölkerung zu lindern. Die Menschen lebten unter verheerenden Bedingungen und seien vor neuen Militärschlägen nirgendwo sicher.
Der Gaza-Krieg überschattet auch den Kulturbetrieb. Der Israelische Pavillon bei der Kunstbiennale in Venedig öffnet aus politischem Protest bei der diesjährigen Ausgabe nicht. Die Künstlerin und Kuratorinnen des Pavillons würden die Ausstellung eröffnen, wenn eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg und die Freilassung der von der islamistischen Hamas festgehaltenen Geiseln erreicht sei, hieß es in einer Mitteilung. Zuvor gab es die Sorge vor Protesten und Boykottaktionen von Israel-Kritikern.