CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat mit seinem Vorstoß, sogenannten Totalverweigerern das Bürgergeld zu streichen, Kritik auf sich gezogen.
29.07.2024 - 17:46:59Kein Bürgergeld für Arbeitsverweigerer? Kritik an CDU-Vorstoß
Grüne, Linke und Sozialverbände warfen Linnemann unter anderem Populismus und Volksverhetzung vor. Die FDP pocht auf weitreichende Verschärfungen beim Bürgergeld. Unterdessen wurde bekannt, dass die Bundesregierung beim Bürgergeld im kommenden Jahr eine Nullrunde für möglich hält.
Linnemann für Komplettstreichung
Linnemann hatte sich dafür ausgesprochen, mehr als 100.000 Menschen das Bürgergeld komplett zu streichen. "Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen", sagte Linnemann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Der Staat müsse dann davon ausgehen, dass der- oder diejenige nicht bedürftig sei. "Dann muss die Grundsicherung komplett gestrichen werden." Auch die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz, machte sich für einen radikalen Kurswechsel stark.
Vom Sozialflügel der eigenen Partei bekam Linnemann Gegenwind. Seine Forderung gehe an der Wirklichkeit vorbei, kritisierte der Vize-Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler. Menschen in Deutschland dem Hunger auszusetzen, sei mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar.
Grüne werfen Linnemann Hetze vor
Die Grünen-Arbeitsmarktpolitikerin Beate Müller-Gemmeke warf Linnemann "Hetze gegen Menschen im Bürgergeld" vor. Schleierhaft bleibe, wie Linnemann auf 100.000 Menschen komme, die im Bürgergeld nicht bereit zu arbeiten seien. Denn der überwiegende Teil sei minderjährig oder arbeite im Niedriglohnbereich. Von den verbliebenen rund 1,7 Millionen tatsächlich Arbeitslosen sei bisher maximal ein Prozent wegen Fehlverhaltens sanktioniert worden. "Das macht 17.000 Menschen." Etwa Alleinerziehende hätten es sehr schwer, in Arbeit zu kommen, vor allem die weiblichen Geflüchteten aus der Ukraine.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr wies Linnemanns Forderung als "unausgegoren" zurück. Die Ampel-Koalition habe bereits beschlossen, "Totalverweigerern" das Bürgergeld ganz zu streichen, sagte Dürr im Nachrichtensender WELT TV. Auch FDP-Generalsekretärs Bijan Djir-Sarai wies auf die geplanten Verschärfungen hin, die die Ampel-Koalition im Zuge des Bundeshaushalts 2025 und eines Wachstumspakets bereits anpeilt. Doch Djir-Sarai sagte der Deutschen Presse-Agentur weiter: "Das reicht nicht. Wir wollen weitere Reformen beim Bürgergeld." Leistung solle sich wieder mehr lohnen. Die Sozialausgaben des Staates sollten sich mehr auf die konzentrieren, "die tatsächlich Unterstützung benötigen".
Jobcenter können Arbeitslosen jüngsten Ampel-Beschlüssen zufolge das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen, wenn die Betroffenen die Aufnahme einer Arbeit nachhaltig verweigern.
Diakonie: Nur wenig "Totalverweigerer"
Sozialverbände lehnten Forderungen nach weiteren Verschärfungen ab. "Die Forderung nach Streichung des Bürgergeldes für Arbeitsunwillige ist populistisch und eine Scheindebatte", sagte die Chefin des Sozialverband Deutschland, Michaela Engelmeier, der dpa. Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch sagte: "Dass mehr als 100.000 Menschen grundsätzlich nicht bereit seien, eine Arbeit anzunehmen, ist schlicht falsch." Nicht einmal ein Prozent der arbeitsfähigen Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfänger könnten als "Totalverweigerer" eingestuft werden.
Nullrunde 2025 wahrscheinlich
Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld müssen sich auf eine mögliche Nullrunde im kommenden Jahr einstellen. Anfang 2024 seien die Regelbedarfssätze im Vergleich zu den Vorjahren stark gestiegen, sagte eine Sprecherin des Arbeitsministeriums. Dies habe an der hohen Inflation vorher gelegen. "Wir rechnen im Moment damit, dass angesichts der jetzt rückläufigen Preissteigerungsraten wahrscheinlich nach jetziger Lage zum 1. Januar 2025 es auch sein kann, dass es keine Erhöhung geben wird." Anfang 2024 waren die Beträge, die die Beziehenden von Grundsicherung erhalten, insgesamt um zwölf Prozent gestiegen.