Ein Berliner Palliativmediziner steht im Verdacht, Patienten getötet zu haben.
14.07.2025 - 04:30:42Palliativarzt vor Gericht - 15 Patienten getötet?. Wegen 15 Fällen kommt er nun vor Gericht. Doch es könnte deutlich mehr Opfer geben.
Zunächst ging es um vier Patienten. Inzwischen steht der Berliner Palliativarzt im Verdacht, mindestens 15 Menschen getötet zu haben - und die Staatsanwaltschaft Berlin prüft noch 72 weitere Fälle. Am Montag (9.30 Uhr) beginnt der Prozess gegen den bereits inhaftierten 40-jährigen Arzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord aus Heimtücke und sonstigen niedrigen Beweggründen vor.
Als bislang erstes und jüngstes Opfer nennt die 255-seitige Anklage eine 25-Jährige, als ältestes eine 94 Jahre alte Frau. Ohne «medizinische Indikation und ohne deren Wissen und Zustimmung» soll der Mediziner 12 Frauen und 3 Männern in der Zeit von September 2021 bis Juli 2024 jeweils «ein tödliches Gemisch verschiedener Medikamente» verabreicht haben.
Das Landgericht Berlin hat für den Prozess zunächst 35 Verhandlungstermine bis zum 28. Januar 2026 geplant. Es ist jedoch gut möglich, dass das nicht ausreicht. In dem Verfahren sind nach Gerichtsangaben bislang 13 Angehörige von Gestorbenen als Nebenkläger vertreten. Zu jedem Fall gibt es mehrere Zeugen, darunter Sachverständige. Insgesamt könnten damit rund 150 Menschen vor Gericht gehört werden.
Arzt äußert sich bislang nicht zu Vorwürfen
Der deutsche Arzt soll die Taten im Rahmen seiner Tätigkeit für einen Pflegedienst in Berlin begangen haben. Palliativärzte begleiten schwerstkranke Menschen, um deren Schmerzen zu lindern. Der verheiratete Vater eines Kindes hat sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert, wie es übereinstimmend von Verteidigung und Staatsanwaltschaft heißt.
Auch auf ein Gespräch mit einer psychiatrischen Sachverständigen ließ er sich nicht ein. Die Gutachterin wird das Verhalten des Angeklagten nun vor Gericht beobachten und Angaben von Zeugen hören, um ihre Einschätzung zu Charakter und Schuldfähigkeit des Mannes abzugeben.
Bislang ist unklar, was das Motiv des Palliativmediziners gewesen sein könnte. Die in der Anklage genannten Opfer waren alle schwerstkrank, ihr Tod stand aber nicht unmittelbar bevor. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den Mediziner wird in Medienberichten auf die Dissertation des Mannes verwiesen: «Warum töten Menschen?», heißt es in der Promotionsschrift aus dem Jahr 2013, in der er Tötungsdelikte von 1945 bis 2008 in Frankfurt/Main untersucht.
Brände bei Patienten lösen Ermittlungen aus
Ausgelöst wurden die Ermittlungen gegen den Palliativarzt durch Brände, die er gelegt haben soll, um Tötungen von Patienten zu verdecken. Die Polizei ermittelte wegen Brandstiftung mit Todesfolge. Dabei geriet der Angeklagte zunehmend in den Fokus. Dazu beigetragen haben laut Staatsanwaltschaft Hinweise des Pflegedienstes, für den der Beschuldigte gearbeitet hatte.
«Wir waren erschüttert über das Ausmaß der Ermittlungen und sind es auch angesichts der aktuellen Erkenntnisse», teilte die Geschäftsführung des Pflegedienstes bei Anklageerhebung mit. «Wir haben intensiven Anteil an der Aufklärung der Hergänge und kooperieren weiterhin bestmöglich mit der Staatsanwaltschaft.»
Ermittlungsgruppe prüft Hunderte Akten
Für den Fall wurde eine Ermittlungsgruppe des Morddezernats im Berliner Landeskriminalamt (LKA) eingerichtet. Diese hat Hunderte Unterlagen von Patienten des Mediziners ausgewertet.
Bislang wurde laut Staatsanwaltschaft in 15 Fällen veranlasst, dass Leichen ausgegraben und rechtsmedizinisch untersucht wurden. In einem Fall stehe solch eine Exhumierung noch aus, sagte ein Behördensprecher.
Ermittlungen zu Schwiegermutter nach Kollegenaussagen
Zu den derzeit laut Staatsanwaltschaft 72 Fällen, die noch überprüft werden, gehört auch der Tod der Schwiegermutter des Arztes. Nach Informationen von «Stern» und RTL soll die Frau in Polen gelebt und an einer Krebserkrankung gelitten haben. Anfang 2024 soll der Angeklagte mit seiner Ehefrau zu ihr gefahren sein, an jenem Wochenende sei die Schwiegermutter gestorben.
Laut der Medien sollen Kollegen bei der Polizei ausgesagt haben, der Arzt habe kurz darauf bei einer Teamsitzung seines Pflegedienstes erzählt, sie seien nach Polen gefahren und hätten die Schwiegermutter tot gespritzt.
Einer der größten Fälle bundesweit?
Die Staatsanwaltschaft strebt im Prozess gegen den 40-Jährigen neben einer Verurteilung die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und eine anschließende Sicherungsverwahrung an. Außerdem soll der Arzt ein lebenslanges Berufsverbot bekommen.
Bestätigen sich die Vorwürfe, könnte der Fall einer der größten bundesweit sein. Bislang gilt eine Mordserie in Niedersachsen als die wohl größte der deutschen Nachkriegsgeschichte: Ex-Pfleger Niels Högel wurde 2019 wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Motiv für die Taten blieb unklar. Es sei ihm um die «Gier nach Spannung» gegangen, so das Gericht damals. Zuvor war Högel bereits wegen weiterer Morde verurteilt worden.