Sächsisches Gericht stärkt Betriebsräte bei Lohnkontrollen
02.12.2025 - 11:11:11Das Landesarbeitsgericht Sachsen hat eine wegweisende Entscheidung getroffen: Betriebsräte dürfen Bruttolohnlisten einsehen – selbst wenn einzelne Beschäftigte widersprechen. Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt kein Vetorecht gegen die gesetzlichen Kontrollbefugnisse aus dem Betriebsverfassungsgesetz.
Die Entscheidung (Az. 2 TaBV 8/24) sorgt seit heute in Personalabteilungen und Rechtsabteilungen für Aufsehen. Sie beendet faktisch die Praxis, Gehaltskontrollen durch individuelle Datenschutz-Einwände auszubremsen. Was bedeutet das konkret für Unternehmen und ihre Mitarbeitervertretungen?
Ein Betriebsrat in einem mittelständischen sächsischen Unternehmen forderte Einblick in die Bruttolohnlisten für Mai und Juni 2023. Ziel: Die Überprüfung fairer Bezahlung innerhalb der Belegschaft. Soweit ein Routinevorgang – doch fünf Beschäftigte stellten sich quer.
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Sie beriefen sich auf ihre Persönlichkeitsrechte und die DSGVO. Ihr Argument: Die Weitergabe nicht-anonymisierter Gehaltsdaten an den Betriebsrat verletze ihre Privatsphäre. Der Arbeitgeber unterstützte diese Position und schwärzte die entsprechenden Einträge.
Ein zusätzlicher Streitpunkt: Einer der Widersprechenden war Prokurist. Das Unternehmen argumentierte, er zähle als leitender Angestellter und falle damit nicht in den Zuständigkeitsbereich des Betriebsrats.
Klare Ansage: Gesetzespflicht schlägt Einzeleinwand
Die Richter am LAG Sachsen wiesen die Argumentation des Arbeitgebers vollständig zurück. Ihre zentrale Botschaft: Das Einsichtsrecht des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist eine zwingende gesetzliche Verpflichtung.
Kernaussagen des Urteils:
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DSGVO gewährt kein Vetorecht: Die Datenverarbeitung ist zur Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung notwendig (Art. 6 DSGVO). Individuelle Einwilligung ist nicht erforderlich – ein Widerspruch läuft rechtlich ins Leere.
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Anonymisierung reicht nicht aus: Um Lohngerechtigkeit effektiv zu kontrollieren und Tarifverträge zu überwachen, muss der Betriebsrat konkrete Gehälter konkreten Personen zuordnen können. Geschwärzte Listen erfüllen diese Überwachungsaufgabe nicht.
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Prokura macht noch keinen Leitenden: Das Gericht stellte klar: Der bloße Titel oder die Inhaberschaft einer Prokura reichen nicht aus, um jemanden als leitenden Angestellten einzustufen. Entscheidend sind tatsächliche, weitreichende Entscheidungsbefugnisse, die Bestand und Entwicklung des Unternehmens beeinflussen. Im vorliegenden Fall hatte die Prokura “praktisch keine Bedeutung” – der Mitarbeiter blieb im Zuständigkeitsbereich des Betriebsrats.
Was Arbeitsrechtsexperten sagen
Juristen bewerten die Entscheidung als “Compliance-Klarstellung mit Signalwirkung”. Das Urteil beende die Strategie, individuelle Datenschutz-Einwände als Schutzschild gegen betriebliche Mitbestimmung zu nutzen.
“Arbeitgeber können sich nicht länger hinter der DSGVO verstecken, um Betriebsräten den Zugang zu Bruttolohnlisten zu verweigern”, analysieren Arbeitsrechtler die Entscheidung. “Vorausgesetzt natürlich, der Betriebsrat übt seine legitimen Kontrollaufgaben aus.”
Die Entscheidung fügt sich in die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein, das kollektive Kontrollrechte tendenziell höher gewichtet als individuelle Geheimhaltungsinteressen im Arbeitsverhältnis. Für Sachsen schafft sie verbindliche Klarheit, bundesweit dürfte sie als Orientierung dienen.
Handlungsbedarf für Personalabteilungen
HR-Verantwortliche sollten ihre Prozesse umgehend anpassen. Die praktischen Konsequenzen:
1. Einwände ignorieren: Unternehmen sollten keine Mitarbeiter-Widersprüche bei routinemäßigen Lohneinsichten durch den Betriebsrat mehr einholen oder akzeptieren.
2. Listen vorbereiten: Gehaltslisten müssen personenbezogen geführt werden – mit Namen und Bruttogehalt – und für Einsichtnahmen bereitstehen.
3. Status überprüfen: Firmen müssen kritisch hinterfragen, ob ihre “leitenden Angestellten” tatsächlich die strengen Kriterien des § 5 Abs. 3 BetrVG erfüllen. Titel wie Prokurist allein reichen nicht aus, um Beschäftigte aus Listen herauszuhalten.
Doch die Medaille hat zwei Seiten: Das Urteil stärkt zwar die Betriebsräte erheblich, belastet sie aber auch mit schwerer Verantwortung. Sie müssen die sensiblen Gehaltsdaten streng vertraulich behandeln. Der “gläserne Arbeitnehmer” existiert nur für die Augen des Betriebsrats – nicht für die Belegschaft.
Das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts (Az. 2 TaBV 8/24) vom Mai 2025 wurde heute in arbeitsrechtlichen Fachkreisen intensiv diskutiert.
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