Paketbranche, Kreuzfeuer

Paketbranche im Kreuzfeuer: NRW deckt massive Missstände auf

24.11.2025 - 18:50:12

Schutzlos und ohne Toiletten: Ausgerechnet Tage nach der dauerhaften Verankerung der Nachunternehmerhaftung erschüttern neue Enthüllungen die deutsche Paketbranche. Was Kontrolleure in Nordrhein-Westfalen vorfanden, lässt nun selbst die Politik von einem „Fleisch-Moment” sprechen.

Zwei Entwicklungen innerhalb von nur 72 Stunden bringen die Logistikbranche massiv unter Druck. Während der Bundesrat am Freitag noch das Paketboten-Schutz-Gesetz entfristete, offenbarten Großkontrollen in NRW am Montag erschreckende Zustände: Fahrer ohne Zugang zu Sanitäranlagen, fehlende Schutzausrüstung, systematische Verstöße gegen grundlegende Arbeitsschutzstandards.

NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) zieht nun drastische Konsequenzen. Seine Forderung: ein komplettes Verbot von Werkverträgen und Subunternehmertum in der Zustellung – nach dem Vorbild der Fleischindustrie. „Wir brauchen klare rote Linien, wie wir sie in der Fleischindustrie gezogen haben”, wird Laumann zitiert.

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Die koordinierte Kontrolloffensive richtete sich gegen Paketverteilzentren und Zustellfahrer in ganz Nordrhein-Westfalen. Das Ergebnis schockiert selbst erfahrene Arbeitsschützer: Zahlreiche Subunternehmer-Fahrer arbeiten ohne Zugang zu einfachsten hygienischen Einrichtungen. Schutzausrüstung? Fehlanzeige. Wetterschutz? Nicht vorhanden.

„Dass Fahrer nicht einmal Toiletten nutzen können oder keinen Wetterschutz haben – das ist in einer modernen Volkswirtschaft untragbar”, heißt es aus Behördenkreisen. Trotz bestehender Vorschriften reichen die Schutzmaßnahmen in vielen Subunternehmerketten offenbar nicht aus.

Die Brisanz der Verstöße lässt Laumann nun zur härtesten verfügbaren Waffe greifen: dem Ruf nach einem sektorweiten Werkvertragsverbot. Kann das funktionieren? Die Fleischindustrie zeigt: Ja, aber mit Folgen für die gesamte Branchenstruktur.

Bundesrat setzt Nachunternehmerhaftung dauerhaft durch

Zeitlich pikant: Nur drei Tage vor den NRW-Enthüllungen hatte der Bundesrat das Paketboten-Schutz-Gesetz entfristet. Die ursprünglich bis Ende 2025 befristete Regelung macht große Paketdienste finanziell haftbar, wenn ihre Subunternehmer keine Sozialabgaben für Fahrer zahlen.

Die Bundesregierung stützt sich dabei auf Evaluierungen aus 2023, die eine erfolgreiche Erhöhung des Anteils sozialversicherungspflichtig Beschäftigter belegen. Die dauerhafte Verankerung soll verhindern, dass die Branche in die Zeiten ausufernder Scheinselbstständigkeit zurückfällt.

„Die permanente Nachunternehmerhaftung ist ein notwendiger Schutzschild für das Sozialsystem”, erklärte ein Regierungssprecher am Freitag. Sie zwinge die großen Logistikkonzerne, ihre Partner gründlicher zu überprüfen.

Doch reicht das? Die NRW-Razzien nur 72 Stunden später legen nahe: Finanzielle Haftung allein garantiert keine menschenwürdigen Arbeitsbedingungen.

Ver.di: „Unzureichend” – Industrie warnt vor Kapazitätseinbruch

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt zwar die Entfristung, nutzt aber die NRW-Enthüllungen für ihre Kernforderung: eine Höchstgrenze von 20 Kilogramm pro Paket zum Schutz der körperlichen Gesundheit. „Finanzielle Haftung allein garantiert keine humanen Arbeitsbedingungen”, heißt es aus Gewerkschaftskreisen.

Der Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) hingegen verteidigt das Subunternehmer-Modell als notwendige Flexibilität für Spitzenzeiten wie das anstehende Weihnachtsgeschäft. Zu den konkreten NRW-Funden liegt noch keine offizielle Stellungnahme vor. Branchenvertreter hatten zuvor jedoch gewarnt: Ein Totalverbot von Subunternehmertum könne Lieferkapazitäten lahmlegen und Kosten für Verbraucher in die Höhe treiben.

Der „Fleisch-Moment” der Paketbranche?

Laumanns Vergleich mit der Fleischindustrie hat Gewicht. Das 2021 verhängte Werkvertragsverbot in Schlachthöfen war die direkte Antwort auf systematische Ausbeutung, die reine Haftungsgesetze nicht eindämmen konnten. Indem der NRW-Arbeitsminister diese Parallele zieht, signalisiert er: Die gerade erst dauerhaft verankerte Nachunternehmerhaftung könnte nur eine Zwischenstufe sein.

Besonders brisant: Die Debatte erreicht die Branche ausgerechnet zum Start der „Peak Season” mit Black Friday und Weihnachtsgeschäft. Genau dann, wenn der Druck auf Fahrer am höchsten ist – und die Versuchung, Ecken zu schneiden, am größten.

Was jetzt auf die Branche zukommt

Mit dem dauerhaften Paketboten-Schutz-Gesetz steht der unmittelbare Rechtsrahmen. Doch die politischen Folgen der NRW-Razzien dürften erst beginnen:

Kontrollwelle rollt an: Nach dem NRW-Vorbild könnten weitere Bundesländer in den kommenden Wochen ähnlich scharfe Kontrollen starten – mitten im Weihnachtsgeschäft.

Gesetzgebungsdruck steigt: Häufen sich die Verstöße, wandern die Forderungen nach einem sektorweiten Werkvertragsverbot von der Landespolitik in die Bundestagsdebatte. Zeitfenster: Anfang 2026.

Auditierungs-Marathon: Große Logistikanbieter stehen unter enormem Druck, ihre Subunternehmer nicht nur auf Sozialabgaben, sondern auch auf physische Arbeitsschutz-Compliance zu prüfen. Das Reputationsrisiko ist immens.

Die Paradoxie der Stunde: Die Paketbranche war noch nie so stark reguliert – und die operative Realität noch nie so weit von den Standards entfernt. Ob die Nachunternehmerhaftung reicht oder ob Deutschland einen zweiten „Fleisch-Moment” erlebt, entscheidet sich in den nächsten Wochen.

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