KI als Chef: Algorithmen leiten bereits 42 Prozent der EU-Beschäftigten
14.11.2025 - 18:30:11Fast jeder zweite Arbeitnehmer in der Europäischen Union erhält seine Arbeitsanweisungen mittlerweile von Maschinen statt Menschen. Laut einer aktuellen Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments (EPRS) werden bereits 42 Prozent der EU-Beschäftigten durch algorithmische Managementsysteme (AM) gesteuert. Software verteilt Aufgaben, überwacht Leistungen und bewertet Mitarbeiter – eine Entwicklung, die das Fundament der deutschen Mitbestimmung ins Wanken bringt. Was lange als Phänomen der Gig-Economy galt, erreicht nun regulierte Branchen und fordert Betriebsräte wie Gesetzgeber gleichermaßen heraus.
Die Zahlen lassen aufhorchen: Bis Mitte des Jahrzehnts könnten über 55 Prozent der europäischen Arbeitskräfte unter algorithmischer Aufsicht stehen. Digitale Systeme, oft mit künstlicher Intelligenz ausgestattet, bestimmen heute Schichtpläne, Arbeitstempo und Qualitätsstandards. Das Problem? Entscheidungen, die früher zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat ausgehandelt wurden, treffen jetzt undurchsichtige Algorithmen. Können etablierte Mitbestimmungsstrukturen diesem Tempo überhaupt noch folgen?
Besonders brisant: Die EPRS-Studie zeigt, dass gerade Unternehmen mit bestehenden Betriebsräten verstärkt auf algorithmische Systeme setzen. Statt die Gig-Economy zu revolutionieren, dringt die Technologie in den Kern der organisierten Arbeitswelt vor. Für Betriebsräte bedeutet das: Sie müssen Systeme kontrollieren, deren Funktionsweise selbst Experten kaum durchschauen. Wie soll ein Gremium mitbestimmen, wenn die Entscheidungsgrundlagen in komplexen neuronalen Netzen verborgen bleiben?
Algorithmische Managementsysteme entscheiden heute über Schichtpläne, Leistungsmessung und sogar Vergütung. Betriebsräte haben laut §87 BetrVG Mitbestimmungsrechte — doch nur wer die Paragraphen kennt, kann wirksam intervenieren. Unser kostenloses E‑Book erklärt verständlich, welche Rechte Ihnen zustehen, wie Sie technische Systeme beurteilen und welche Schritte bei Zustimmung oder Widerspruch nötig sind. Praxisnahe Checklisten helfen in Verhandlungen mit der Geschäftsführung. Jetzt kostenlosen Leitfaden zu §87 BetrVG herunterladen
Die Herausforderungen reichen weit über technische Fragen hinaus. Algorithmisches Management erhöht den Leistungsdruck, intensiviert die Überwachung und schafft neue Formen der Kontrolle. Während Arbeitgeber Effizienzgewinne feiern, warnen Arbeitnehmervertreter vor einem schleichenden Abbau von Autonomie und Würde am Arbeitsplatz.
Gesetzgeber reagiert – doch reicht es?
Deutschland hat den Handlungsbedarf erkannt. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz von 2021 stärkte die Rechte der Betriebsräte beim Einsatz künstlicher Intelligenz. Paragraph 87 des Betriebsverfassungsgesetzes wurde präzisiert: Betriebsräte haben ein Mitspracherecht bei der Einführung technischer Systeme zur Verhaltens- und Leistungskontrolle. Soweit die Theorie.
Die Praxis zeigt jedoch: Die KI-Entwicklung läuft schneller als der Gesetzgeber. Selbständig lernende Systeme treffen autonome Entscheidungen, die schwer vorhersehbar sind. Betriebsräte benötigen tiefgreifende technische Expertise, um auf Augenhöhe mit dem Management zu verhandeln – eine Kompetenz, die vielen Gremien noch fehlt. Können traditionelle Mitbestimmungsrechte überhaupt auf Technologien angewendet werden, die ihre Funktionsweise kontinuierlich verändern?
Entgelttransparenz als Trumpfkarte
Parallel zu den Herausforderungen durch algorithmisches Management eröffnet sich für Betriebsräte eine neue Chance. Die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz muss bis Juni 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden. Sie verpflichtet Unternehmen zu detaillierten Berichten über Gehaltsstrukturen und stärkt damit die Verhandlungsposition der Arbeitnehmervertretungen erheblich.
Eine am 13. November 2025 veröffentlichte Rechtsanalyse zeigt: Die Richtlinie hebt bestehende Mitbestimmungsrechte nicht auf, sondern verstärkt sie. Betriebsräte erhalten Zugang zu umfassenderen Gehaltsdaten – ein mächtiges Werkzeug, um Diskriminierung aufzudecken. Besonders relevant wird das im Kontext algorithmischer Systeme: Wenn KI Leistungskennzahlen generiert, die Vergütung beeinflussen, müssen Betriebsräte beide Bereiche zusammen betrachten. Transparenz bei Gehältern und Algorithmen – das könnte die Formel für moderne Mitbestimmung sein.
Wettlauf gegen die Technologie
Die nächsten 18 Monate werden entscheidend. Während Deutschland die Entgelttransparenz-Richtlinie umsetzen muss, diskutiert Brüssel über eine mögliche EU-Richtlinie zu algorithmischem Management. Solch ein Regelwerk könnte Mindeststandards für KI-gesteuerte Arbeitsplätze etablieren – eine Anerkennung, dass bestehende Gesetze nicht ausreichen.
Für Betriebsräte bedeutet das: Reaktion ist zu wenig, Proaktivität gefragt. Sie müssen bereits bei Beschaffung und Design neuer Systeme eingebunden werden, nicht erst bei deren Einführung. Robuste Betriebsvereinbarungen sollten klare Regeln für den KI-Einsatz definieren. Und vor allem: Massive Investitionen in digitale Kompetenz sind unverzichtbar.
Die Zukunft der Mitbestimmung hängt davon ab, ob Betriebsräte die Algorithmen verstehen und steuern können, die bereits heute die Arbeitswelt umgestalten. Der digitale Chef ist längst da – die Frage ist nur, wer ihm die Spielregeln vorgibt.
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