Gericht, Kündigungsschutz

Gericht stärkt Kündigungsschutz für Schwerbehinderte

22.12.2025 - 20:23:12

Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig etabliert eine Kündigungssperre für Arbeitgeber, die ihre Präventionspflichten bei Konflikten mit schwerbehinderten Mitarbeitern vernachlässigen.

Ein Leipziger Verwaltungsgericht hat die Rechte schwerbehinderter Beschäftigter massiv gestärkt. Das Urteil stellt klar: Wer seine Präventionspflicht vernachlässigt, dem kann die Kündigung bereits im Vorfeld blockiert werden – selbst bei Fehlverhalten des Mitarbeiters.

Kündigungsstopp wegen unterlassener Hilfe

Das Verwaltungsgericht (VG) Leipzig hat mit einem aktuellen Urteil (Az. 5 K 1940/24) ein deutliches Signal an Arbeitgeber gesendet. Es bestätigte die Weigerung eines Integrationsamtes, einer außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters zuzustimmen. Der Grund: Der Arbeitgeber hatte seine Präventionspflicht grob vernachlässigt.

Konkret hatte das Unternehmen versäumt, behindertengerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen und das vorgeschriebene Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX einzuleiten. Die Richter sahen einen direkten Zusammenhang zwischen diesem Versäumnis und dem beanstandeten Fehlverhalten des Beschäftigten. Die mangelnde Anpassung des Arbeitsplatzes habe das Konfliktrisiko erhöht.

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Präventionsverfahren als zentrale Hürde

Das Urteil unterstreicht die zentrale Bedeutung des oft unterschätzten Präventionsverfahrens. Sobald Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis auftreten, die den Arbeitsplatz gefährden, muss der Arbeitgeber Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat und Integrationsamt einschalten.

Das VG Leipzig wertet dieses Verfahren nicht als bloße Formalie, sondern als essenzielles Instrument zum Erhalt des Arbeitsplatzes. Durch dessen Unterlassung habe der Arbeitgeber dem Mitarbeiter mögliche sichernde Maßnahmen – wie Arbeitszeitänderungen oder organisatorische Anpassungen – vorenthalten. Diese Unterlassung rechtfertigte die Ablehnung der Kündigungszustimmung durch das Integrationsamt.

Auch bei Fehlverhalten keine Ausnahme

Besonders bemerkenswert: Das Gericht wendete diese Grundsätze auf eine verhaltensbedingte Kündigung an. Bisher gingen viele Arbeitgeber davon aus, dass Präventionspflichten vor allem bei gesundheitlichen oder leistungsbedingten Problemen greifen.

Das VG Leipzig macht nun klar: Trägt eine Behinderung zu Verhaltensauffälligkeiten bei – oder verschärft das Arbeitsumfeld diese – darf der Arbeitgeber nicht einfach kündigen. Er muss zuerst alle Möglichkeiten zur Konfliktminderung ausschöpfen. Im vorliegenden Fall habe das fehlende behindertengerechte Umfeld den Konflikt mitverursacht.

Gefährliche Rechtslage für Unternehmen

Die Entscheidung verschärft die Rechtslage für Arbeitgeber erheblich. Sie existiert parallel zur ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Während das BAG entschieden hat, dass das Unterlassen des Präventionsverfahrens eine Kündigung im Nachhinein nicht automatisch unwirksam macht, kontrollieren die Verwaltungsgerichte die vorherige Zustimmung.

Ohne das grüne Licht des Integrationsamtes kann die Kündigung nicht einmal ausgesprochen werden. Das VG Leipzig errichtet damit eine wirksame „Vorfeld-Sperre“. Wer seine Präventionspflichten ignoriert, scheitert möglicherweise bereits an dieser administrativen Hürde.

Rechtsexperten warnen vor einer gefährlichen Fehleinschätzung. Die Annahme, das Präventionsverfahren sei optional, weil das BAG Kündigungen nicht immer für unwirksam erklärt, sei trügerisch. „Die Verwaltungsgerichte können und werden den Prozess stoppen, bevor er die Arbeitsgerichte erreicht“, heißt es in einer Analyse von reha-recht.de.

Drei Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber

Das Urteil zwingt Unternehmen zum Umdenken. Die „Abwarte-Strategie“ bei Konflikten mit schwerbehinderten Beschäftigten ist nicht mehr haltbar. Für rechtssichere Verfahren müssen Arbeitgeber:

  1. Frühzeitig handeln: Das § 167 SGB IX-Verfahren bei den ersten Anzeichen von Schwierigkeiten einleiten – unabhängig davon, ob es um Leistung, Gesundheit oder Verhalten geht.
  2. Lückenlos dokumentieren: Alle Bemühungen zur Arbeitsplatzanpassung oder Aufgabenneugestaltung sorgfältig festhalten.
  3. Das Integrationsamt einbinden: Die Behörde proaktiv als Berater sehen, nicht erst als Genehmigungsinstanz für Kündigungen.

Der Leipziger Richterspruch wird voraussichtlich die Praxis der Integrationsämter bundesweit beeinflussen. Arbeitgeber müssen in den kommenden Monaten mit einer strengeren Prüfung ihrer Kündigungsanträge rechnen.

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