EU-Kommission verschiebt KI-Verordnung um 16 Monate
06.12.2025 - 01:21:12Die EU-Kommission rudert zurück: Mit dem “Digital Omnibus” sollen die Fristen der KI-Verordnung drastisch verlängert werden. Gleichzeitig startet eine Milliarden-Initiative für KI-Rechenzentren. Was bedeutet das für deutsche Unternehmen?
Erst im Sommer 2024 trat die europäische KI-Verordnung in Kraft – jetzt schon kommen die großen Korrekturen. Die EU-Kommission hat Ende November ein umfassendes Änderungspaket vorgelegt, das die Compliance-Anforderungen erheblich entschärfen soll. Das Ziel: Europäische KI-Entwickler sollen mehr Luft zum Atmen bekommen.
Der brisanteste Punkt dabei? Die Frist für Hochrisiko-KI-Systeme wird um satte 16 Monate nach hinten verschoben. Statt im August 2026 müssen Unternehmen erst im Dezember 2027 die vollen Anforderungen erfüllen. Für KI in regulierten Produkten gilt sogar erst August 2028 als Stichtag.
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Experten werten dies als implizites Eingeständnis: Die technischen Standards, die für die Umsetzung nötig wären, sind schlicht noch nicht fertig. Anstatt einen “Compliance-Kollaps” zu riskieren, verordnet sich Brüssel selbst eine Atempause.
Der sogenannte “Digital Omnibus” – offiziell Ende November veröffentlicht – soll die Bürokratie für Unternehmen um mindestens 25 Prozent reduzieren. Für kleine und mittlere Betriebe sind sogar 35 Prozent weniger Aufwand geplant.
Die wichtigsten Anpassungen im Überblick:
Längere Übergangsfristen: Hochrisiko-Anwendungen wie KI-gestützte Bewerbungsauswahl oder Kreditscoring-Algorithmen fallen unter Anhang III der Verordnung. Hier verschiebt sich die Pflicht zur vollständigen Konformität vom 2. August 2026 auf den 2. Dezember 2027. Für KI-Systeme, die in bereits regulierte Produkte eingebettet sind, gilt sogar erst der 2. August 2028.
Entschlackte Dokumentation: Systeme, die als Hochrisiko eingestuft sind, aber keine gravierenden Grundrechtsrisiken bergen, müssen künftig nicht mehr in einer zentralen Datenbank registriert werden. Stattdessen genügt eine interne Selbstbewertung. Diese Vereinfachung dürfte besonders Mittelständler entlasten.
Übergangslösungen bei Prüfstellen: Ein massives Problem der KI-Verordnung war bisher der Mangel an akkreditierten Prüfstellen. Der Omnibus erlaubt nun, dass bereits für andere EU-Regelungen zugelassene “Notified Bodies” vorübergehend auch KI-Konformitätsprüfungen durchführen dürfen. Das soll Engpässe vermeiden.
Rechtsanwälte sprechen von einem pragmatischen Schritt. Die EU habe erkannt, dass ohne diese Verzögerung ein regulatorischer Kollaps drohte – schlicht, weil die harmonisierten Standards noch gar nicht existieren.
Deutschland im Wartezustand
Während Brüssel nachbessert, herrscht in Deutschland weiterhin Unklarheit. Das nationale KI-Durchführungsgesetz, das ursprünglich bis August 2025 fertig sein sollte, liegt auf Eis. Grund: die vorgezogene Bundestagswahl im Februar 2025 und die monatelange Regierungsbildung danach.
Die Bundesnetzagentur wurde zwar als zentrale Marktaufsicht bestimmt und soll die neue Koordinierungsstelle “KoKIVO” leiten. Doch ohne verabschiedetes Gesetz fehlen die konkreten Durchsetzungsbefugnisse. Unternehmen sitzen zwischen den Stühlen: Auf EU-Ebene werden Fristen verlängert, auf nationaler Ebene gibt es keine klaren Ansprechpartner oder verbindlichen Leitlinien.
Branchenverbände kritisieren diese Hängepartie scharf. “Investitionsbereitschaft ist da, aber die Kombination aus EU-Aufschub und nationaler Gesetzeslücke führt zu einer lähmenden Abwartehaltung”, so ein Sprecher eines großen Digitalverbands diese Woche.
Die Folge? Viele deutsche Entwickler wissen derzeit schlicht nicht, an wen sie sich mit konkreten Fragen zur Konformität wenden sollen. Die neue Bundesregierung wird das Durchführungsgesetz voraussichtlich im ersten Quartal 2026 erneut einbringen – dann hoffentlich abgestimmt mit den neuen Omnibus-Fristen.
Milliarden für “KI-Gigafabriken”
Doch es gibt nicht nur Regulierung: Am 4. Dezember kündigten die EU-Kommission und die Europäische Investitionsbank (EIB) ein Förderprogramm für sogenannte “AI Gigafactories” an. Dabei handelt es sich um großangelegte Rechenzentren, die speziell für das Training industrieller KI-Modelle ausgelegt sind.
Europäische Start-ups und Mittelständler sollen dort zu vergünstigten Konditionen Zugang zu Hochleistungsrechnern bekommen. Das Ziel: Die Abhängigkeit von US-amerikanischen oder chinesischen Cloud-Anbietern verringern und gleichzeitig die größte Hürde der KI-Entwicklung senken – die Kosten für Rechenleistung.
Für Entwickler bedeutet das eine doppelte Strategie: Einerseits mehr Zeit für die Feinabstimmung ihrer Algorithmen dank der Omnibus-Regelung. Andererseits neue Infrastruktur, um leistungsfähige Modelle überhaupt erst trainieren zu können.
Könnte gerade diese Kombination aus regulatorischer Entlastung und staatlicher Infrastrukturförderung der Durchbruch für Europas KI-Ambitionen werden?
Kurskorrektur mit Ansage
Die Einführung des Digital Omnibus markiert einen klaren strategischen Schwenk. Beobachter interpretieren die Änderungen als Reaktion auf die Sorge, dass zu strenge Fristen europäische Unternehmen gegenüber US- und chinesischen Wettbewerbern benachteiligen würden.
Anders als bei der DSGVO, wo die Wirtschaft jahrelang über Überforderung klagte, agiert die Kommission diesmal proaktiv. Indem die Fristen verschoben werden, bevor sie verfehlt werden, soll die Glaubwürdigkeit der KI-Verordnung gewahrt bleiben.
Doch das schafft auch ein rechtliches Vakuum. Bis das Europäische Parlament und der Rat den Omnibus formell verabschieden – erwartet für Anfang 2026 – gelten technisch gesehen noch die alten 2026er-Fristen. Juristen stehen vor der Herausforderung, ihren Mandanten zu erklären, welche Regelungen nun tatsächlich maßgeblich sind.
Was jetzt zu tun ist
Die nächsten 18 Monate werden entscheidend. Das Europäische Parlament dürfte den Omnibus im Schnellverfahren behandeln, um die neuen Fristen rechtzeitig vor dem alten August-2026-Termin zu verankern.
Parallel arbeiten die europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC daran, die fehlenden technischen Standards zu finalisieren. Diese 16 Monate Zusatzzeit müssen sie nutzen – sonst droht nur eine Verschiebung des Problems.
In Deutschland wird die neue Bundesregierung das KI-Durchführungsgesetz voraussichtlich im ersten Quartal 2026 neu auflegen. Diesmal sollte es mit den Omnibus-Zeitplänen harmonisieren, um weitere Widersprüche zu vermeiden.
Für Unternehmen heißt das: Der unmittelbare Druck ist weg, die Anforderungen sind es nicht. Wer die gewonnene Zeit clever nutzt – etwa durch Zugang zu den neuen Gigafactory-Ressourcen – kann 2027 mit robusten, regelkonformen Systemen am Start stehen. Wer weiterschläft, wird dann umso härter aufschlagen.
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