Arbeitsrecht, Urteile

Arbeitsrecht: Zwei Urteile verändern die Spielregeln

14.11.2025 - 14:40:11

Europäische und deutsche Richter sorgen für Klarheit – doch die Folgen dürften noch für Diskussionen sorgen. Während der Europäische Gerichtshof die EU-Mindestlohnrichtlinie teilweise kassiert, stärkt das Bundesarbeitsgericht befristet Beschäftigte. Was bedeutet das konkret für Unternehmen und Arbeitnehmer in Deutschland?

Zwei wegweisende Urteile innerhalb weniger Tage: Am Dienstag entschied der EuGH über die Reichweite europäischer Lohnpolitik, am Donnerstag setzte das BAG in Erfurt neue Maßstäbe beim Schutz von Zeitarbeitnehmern. Die Kernfrage hinter beiden Entscheidungen: Wie viel Einfluss dürfen Brüssel und Tarifparteien auf individuelle Arbeitsverhältnisse nehmen?

Der Europäische Gerichtshof hat am 11. November 2025 die EU-Mindestlohnrichtlinie in wesentlichen Teilen bestätigt – aber mit entscheidenden Einschränkungen. Im Kern geht es um die dänische Klage gegen die Richtlinie, die Deutschland zu einem Handlungsplan zur Stärkung der Tarifbindung verpflichtet.

Das Urteil fiel differenziert aus: Die Richter bestätigten das Kernziel der Richtlinie, Tarifverhandlungen zu fördern. Deutschland liegt mit seiner Tarifbindung unter der kritischen 80-Prozent-Marke und muss deshalb bis Jahresende einen nationalen Aktionsplan vorlegen. Doch genau hier zeigt sich die Doppelnatur des Urteils.

Die Niederlage für Brüssel: Die Richter kassierten jene Bestimmungen, die konkrete Kriterien für die Höhe des Mindestlohns vorgaben. Die Idee, Mindestlöhne etwa auf 60 Prozent des Medianlohns festzulegen, bezeichneten sie als Kompetenzüberschreitung. Lohnhöhen bleiben nationale Angelegenheit – das gilt auch für die Mindestlohnkommission in Berlin.

Für die Praxis bedeutet das: Der geplante Anstieg auf 13,90 Euro im Januar 2026 und 14,60 Euro ein Jahr später bleibt unberührt. Doch künftige Debatten über die „richtige” Höhe werden ohne europäische Vorgaben geführt. Gewerkschaften zeigen sich enttäuscht, loben aber die Stärkung der Tarifautonomie. Die Bundesregierung steht nun unter Druck: Der versprochene Aktionsplan muss bis zum 31. Dezember 2025 vorliegen.

BAG stärkt Rechte befristet Beschäftigter

Noch direkter wirkt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. November 2025 (Az.: 6 AZR 131/25). Im Kern geht es um eine Frage, die Millionen Beschäftigte betrifft: Dürfen Tarifverträge befristet Angestellte schlechter stellen als ihre unbefristet beschäftigten Kollegen?

Die klare Antwort der Erfurter Richter: Nein. Der Fall drehte sich um ein Logistikunternehmen, dessen Tarifvertrag längere Stufenlaufzeiten für später eingestellte Mitarbeiter vorsah – was vor allem ehemalige Befristete traf, die anschließend unbefristet übernommen wurden.

Die Brisanz des Urteils: Das BAG gewährt den Tarifparteien keine Schonfrist zur Korrektur diskriminierender Klauseln. Betroffene Arbeitnehmer haben sofort Anspruch auf Gleichstellung – rückwirkend. Das Gericht beruft sich dabei auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz (§ 4 Abs. 2 TzBfG), das EU-Richtlinien umsetzt.

Anzeige

Passend zum Thema befristete Verträge: Ein einziger Formfehler in einem befristeten Arbeitsvertrag kann Arbeitgeber teuer zu stehen kommen – Gerichte fordern oft Nachzahlungen. Unsere kostenlosen Muster für befristete Arbeitsverträge zeigen rechtssichere Formulierungen, aktuelle Klauseln und relevante Urteile, damit Sie teure Fehler vermeiden. Die Vorlagen sind praxisnah, sofort einsetzbar und speziell für Personaler und Führungskräfte aufbereitet. Plus: Eine Checkliste zur Vertragsprüfung gibt es gratis dazu. Jetzt kostenlose Muster für befristete Arbeitsverträge herunterladen

Für Unternehmen bedeutet das einen erheblichen Prüfaufwand: Tarifverträge müssen auf versteckte Diskriminierungen durchforstet werden. Wer wartet, riskiert Nachzahlungen und Prozesskosten. Die Botschaft ist unmissverständlich: Der Schutz vor Diskriminierung steht über der Tarifautonomie, wenn EU-Recht betroffen ist.

Zwei Urteile, eine Richtung?

Auf den ersten Blick scheinen die Urteile widersprüchlich: Der EuGH stärkt nationale Souveränität bei Löhnen, das BAG beschränkt die Gestaltungsfreiheit der Tarifparteien. Doch beide folgen einem ähnlichen Muster: Sie ziehen klare Grenzen für kollektive Regelungen, wo individuelle Rechte auf dem Spiel stehen.

Das EuGH-Urteil schiebt die Verantwortung für Lohnhöhen zurück nach Berlin und zu den Sozialpartnern. Der erhoffte europäische Schub für höhere Mindestlöhne bleibt aus – die Mindestlohnkommission behält ihre zentrale Rolle. Gleichzeitig bleibt der Druck, die Tarifbindung zu erhöhen. Wie genau das gelingen soll? Darauf wird der angekündigte Aktionsplan Antworten geben müssen.

Das BAG-Urteil hingegen markiert einen Paradigmenwechsel im Verhältnis zwischen Tarifrecht und Anti-Diskriminierungsschutz. Jahrelang galten Tarifverträge als weitgehend unangreifbar. Diese Ära dürfte vorbei sein. Wo EU-Recht einschlägig ist, haben individuelle Ansprüche Vorrang – ohne Übergangsfristen, ohne Verhandlungsspielraum.

Was kommt jetzt?

Das Bundesarbeitsministerium arbeitet unter Hochdruck am versprochenen Aktionsplan. Denkbar sind Erleichterungen bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen oder Anreize für Unternehmen, Arbeitgeberverbänden beizutreten. Ob das ausreicht, um den Abwärtstrend bei der Tarifbindung umzukehren, bleibt abzuwarten.

Parallel dürfte das BAG-Urteil eine Welle von Klagen auslösen. Rechtexperten rechnen damit, dass befristet Beschäftigte in vielen Branchen ihre Tarifverträge prüfen lassen. Besonders betroffen: Logistik, Einzelhandel und Dienstleistungssektoren mit hoher Befristungsquote.

Die eigentliche Frage: Werden die Tarifparteien die Urteile als Weckruf verstehen? Oder droht eine neue Konfliktrunde zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Gerichten? Die nächsten Monate werden zeigen, ob deutsches Arbeitsrecht einen sanften Wandel oder einen grundlegenden Umbau erlebt.

Anzeige

PS: Bereiten Sie sich auf eine mögliche Welle von Klagen und Prüfungen vor – mit rechtssicheren Vorlagen für befristete Arbeitsverträge. Der kostenlose Leitfaden enthält geprüfte Musterformulierungen, Hinweise zu typischen Diskriminierungsklauseln und Praxistipps, wie Sie Tarifverträge und Nachzahlungen vermeiden. Schützen Sie Ihr Unternehmen vor Nachforderungen und langwierigen Verfahren. Sofort downloadbar und anpassbar. Jetzt befristete Verträge rechtssicher machen

@ boerse-global.de