Arbeitsrecht, Spielregeln

Arbeitsrecht: Neue Spielregeln bei Probezeit und Kündigungen

24.11.2025 - 00:51:12

Das deutsche Arbeitsrecht stellt Arbeitgeber vor neue Herausforderungen. Nach aktuellen Urteilen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und Rechtsanalysen vom Wochenende müssen Personalabteilungen ihre Praxis bei befristeten Verträgen und leistungsbedingten Kündigungen überdenken. Die Kernfrage: Wie viel Flexibilität bleibt bei der Probezeit – und wann wird aus schwacher Leistung ein Kündigungsgrund?

Zwei wegweisende Entwicklungen prägen derzeit die HR-Landschaft: Das BAG lockert die Regeln für Probezeiten in Kurzzeitverträgen, während gleichzeitig die Hürden für Kündigungen sogenannter „Low Performer” kaum höher sein könnten.

Das Bundesarbeitsgericht hat eine starre mathematische Obergrenze für Probezeiten in befristeten Verträgen verworfen. Das Urteil (Az. 2 AZR 160/24) vom 30. Oktober 2025, dessen ausführliche Begründung am Wochenende veröffentlicht wurde, sorgt für Rechtssicherheit in einem bislang umstrittenen Bereich.

Hintergrund war eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, das eine „25-Prozent-Regel” aufgestellt hatte: Demnach durfte bei einem einjährigen Vertrag die Probezeit maximal drei Monate betragen. Diese starre Quote hat das BAG nun kassiert.

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Die zentrale Botschaft: Die Angemessenheit der Probezeit muss individuell beurteilt werden – abhängig von der Tätigkeit und den Anforderungen der Einarbeitung.

Der konkrete Fall: Eine Arbeitnehmerin mit einjährigem befristeten Vertrag klagte gegen ihre Kündigung während einer viermonatigen Probezeit. Sie argumentierte, diese sei unverhältnismäßig lang. Das BAG gab dem Arbeitgeber recht, da dieser einen komplexen, mehrphasigen Einarbeitungsprozess von 16 Wochen nachweisen konnte.

Was das bedeutet: Arbeitgeber können auch bei kürzeren Befristungen längere Probezeiten vereinbaren – bis zur gesetzlichen Höchstgrenze von sechs Monaten. Voraussetzung ist eine sachliche Begründung wie etwa umfangreiche Schulungsmaßnahmen.

Minderleistung: Die 60-Prozent-Schwelle

Während das BAG bei der Probezeit Flexibilität gewährt, warnen Rechtsexperten vor überzogenen Erwartungen bei leistungsbedingten Kündigungen. Analysen vom Sonntag unterstreichen: Die Hürden bleiben extrem hoch.

Aktuell berufen sich Arbeitsrechtler verstärkt auf die „Bremen-Bremerhaven”-Rechtsprechung, die präzise Messkriterien definiert. Kann ein Mitarbeiter seine Aufgaben erfüllen, tut es aber nicht? Oder kann er schlichtweg nicht besser? Diese Unterscheidung entscheidet über die Rechtmäßigkeit der Kündigung.

Die kritische Schwelle: Erst wenn die Leistung dauerhaft unter 60 Prozent des Teamdurchschnitts liegt, spricht eine Vermutung für zurückgehaltene Arbeitsleistung. Das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven (Az. 2 Ca 2206/23) machte dies zum Maßstab.

Der entscheidende Unterschied:
* Verhaltensbedingte Kündigung: Der Mitarbeiter könnte besser arbeiten, will aber nicht
* Personenbedingte Kündigung: Der Mitarbeiter kann objektiv nicht besser

Subjektive Unzufriedenheit reicht nicht. Arbeitgeber müssen Leistungsdefizite über einen repräsentativen Zeitraum dokumentieren und beweisen, dass die Arbeitsbelastung objektiv bewältigbar war. Ein Leistungsrückgang von 10 bis 20 Prozent? Wird von Gerichten meist als normale Schwankung toleriert.

Online-Krankschreibungen im Zwielicht

Eine weitere Entwicklung verkompliziert das Thema Kündigungsschutz: Das Landesarbeitsgericht Hamm hat am 18. November die Beweiskraft reiner Online-Krankschreibungen infrage gestellt (Az. 14 SLa 145/25).

Im verhandelten Fall hatte ein Mitarbeiter eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) vorgelegt, die er per Fragebogen ohne Videokontakt zu einem Arzt erhalten hatte. Das Gericht stufte diese als wenig beweiskräftig ein – die Kündigung hatte Bestand.

Die Konsequenz: Zweifelt der Arbeitgeber begründet an einer reinen Online-AU ohne Arztkontakt, kehrt sich die Beweislast um. Der Arbeitnehmer muss dann nachweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war.

Strategische Bedeutung: Besonders verdächtig wirken solche Bescheinigungen, wenn sie zeitlich mit abgelehnten Urlaubsanträgen oder Kündigungen zusammenfallen.

Die neue Realität: Dokumentation schlägt Bauchgefühl

Die Konvergenz dieser Entwicklungen signalisiert einen klaren Trend: Deutsche Arbeitsgerichte fordern von beiden Seiten präzise, dokumentierte Fakten.

„Die Zeiten des Daumenregeln-Personalmanagements sind vorbei”, analysieren Branchenexperten. Ob Probezeit-Rechtfertigung oder Leistungsnachweis – die Gerichte verlangen konkrete Belege. Sei es ein 16-Wochen-Einarbeitungsplan oder eine Excel-Tabelle mit Call-Center-Kennzahlen im Teamvergleich.

Die Wiederentdeckung der 60-Prozent-Schwelle dient als Realitätscheck: Viele Arbeitgeber glauben, bereits ein Leistungsabfall von 10 bis 20 Prozent rechtfertige eine Kündigung. Die aktuelle Rechtsprechung zeigt: Das wird oft als normale Schwankung betrachtet, solange die Schwelle zur Pflichtverletzung nicht überschritten wird.

Was jetzt zu tun ist

Personalabteilungen sollten in den kommenden Wochen drei Schritte einleiten:

1. Vertragsüberprüfung: Befristete Verträge mit Probezeiten über 25 Prozent der Laufzeit benötigen eine dokumentierte sachliche Begründung – etwa einen detaillierten Einarbeitungsplan.

2. Leistungserfassung: Wer Minderleistung thematisieren will, braucht präzise Tracking-Systeme. Die individuelle Leistung muss mit dem Teamdurchschnitt verglichen werden, wobei die „60-Prozent-Linie” als rechtliche Sicherheitsgrenze gilt.

3. AU-Richtlinien: Es ist zu erwarten, dass mehr Unternehmen reine Fragebogen-AUs ablehnen und Video- oder Präsenz-Konsultationen einfordern werden.

Hinweis: Dieser Artikel informiert über aktuelle Rechtsentwicklungen und stellt keine Rechtsberatung dar. Vor Kündigungsentscheidungen sollte juristischer Rat eingeholt werden.

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