Direktionsrecht: BAG kippt Gnadenfrist für diskriminierende Regelungen
24.11.2025 - 00:50:12
Arbeitgeber können sich nicht mehr auf Korrekturfristen verlassen: Das Bundesarbeitsgericht hat am 13. November ein Grundsatzurteil gefällt, das die Spielräume bei Arbeitszeit und Vergütung drastisch einschränkt. Wer diskriminiert, zahlt sofort – ohne Schonfrist.
Die Botschaft aus Erfurt ist unmissverständlich: Schluss mit der „Wir-regeln-das-später”-Mentalität. Verstoßen Arbeitszeit- oder Vergütungsregelungen gegen EU-Recht, sind sie sofort unwirksam. Keine Nachbesserung, keine Übergangsphase. Betroffene Arbeitnehmer haben unmittelbar Anspruch auf die bessere Behandlung.
Für HR-Abteilungen bedeutet das: Der Montag beginnt mit einer dringenden Warnung. Was jahrelang als übliche Praxis galt, kann über Nacht zum Haftungsrisiko werden.
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Im konkreten Fall ging es um befristet Beschäftigte und deren Einstufung in tarifliche Gehaltsgruppen. Die Richter stellten klar: Werden befristet Angestellte schlechter behandelt als ihre unbefristeten Kollegen, greift das EU-Diskriminierungsverbot unmittelbar.
Das Novum? Bisher räumten Gerichte Tarifpartnern oft eine „Korrekturkompetenz” ein – also Zeit, rechtswidrige Regelungen selbst zu reparieren. Damit ist jetzt Schluss. Das BAG zieht eine harte Linie: Bei Verstößen gegen unionsrechtliche Diskriminierungsverbote gilt sofort die Anpassung nach oben.
Was bedeutet das für die Praxis? Ordnet ein Arbeitgeber Schichtpläne auf Basis einer Betriebsvereinbarung an, die sich später als diskriminierend herausstellt, kann er sich nicht auf eine spätere Korrektur berufen. Die Rechtsfolge tritt sofort ein.
Die Teilzeit-Falle: Wenn Überstunden zur Kostenbombe werden
Besonders brisant wird es bei Überstundenzuschlägen. Viele Arbeitsverträge sehen vor: Zuschläge gibt es erst ab Überschreitung der Vollzeitarbeitszeit. Eine Teilzeitkraft mit 20 Wochenstunden erhält für die Stunden 21 bis 40 nur den Grundlohn – Vollzeitkräfte bekommen ab Stunde 41 Zuschläge.
Diese Praxis stufen Gerichte zunehmend als diskriminierend ein. Der Grund: In Branchen wie der Pflege arbeiten überwiegend Frauen in Teilzeit. Die strukturelle Benachteiligung ist offensichtlich.
Arbeitgeber dürfen zwar grundsätzlich Überstunden anordnen – aber nicht auf Basis einer Vergütungsstruktur, die systematisch benachteiligt. Wer jetzt noch an der „Zuschlag erst ab Vollzeit”-Regel festhält, riskiert massive Nachzahlungen. Und die werden, wie das Urteil zeigt, sofort fällig.
Direktionsrecht unter Verschärfung
Das Direktionsrecht nach § 106 GewO erlaubt Arbeitgebern, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach „billigem Ermessen” zu bestimmen. Doch dieser Spielraum wird immer enger.
Aktuelle Rechtsprechung verschärft die Anforderungen dramatisch:
Ankündigungsfristen: Kurzfristige Schichtplanänderungen unter vier Tagen sind ohne echte Notlage oft unwirksam. Mitarbeiter müssen ihr Privatleben planen können.
Arbeitszeitgesetz: Die Grenzen sind absolut. Zehn Stunden täglich, elf Stunden Ruhezeit – wer diese Vorgaben aus „betrieblichen Gründen” ignoriert, macht sich nicht nur schadensersatzpflichtig, sondern begeht eine Ordnungswidrigkeit.
Betriebliche Übung: Jahrelang geduldete Schichtverteilungen lassen sich nicht einfach einseitig ändern. Es braucht gewichtige betriebliche Gründe – und die müssen dokumentiert sein.
Paradigmenwechsel: Von Autonomie zu Fairness
Die Entwicklung markiert einen fundamentalen Wandel. Dr. Thomas Müller, Fachanwalt für Arbeitsrecht, bringt es auf den Punkt: „Das Urteil ist ein Weckruf. Arbeitgeber können sich nicht mehr hinter Tarifverträgen verstecken. Wenn eine Regelung diskriminiert, gilt sofort der günstigere Standard.”
Das schafft Rechtsunsicherheit für die Budgetplanung – aber Klarheit für die Betroffenen. Branchen mit flexiblen Arbeitszeitmodellen wie Logistik, Pflege und Einzelhandel müssen umdenken. Schichtpläne und Vergütungsmodelle gehören auf den Prüfstand.
Nicht nur auf Effizienz optimiert, sondern proaktiv auf Diskriminierungsfreiheit gecheckt.
Was jetzt zu tun ist
In den kommenden Wochen dürfte eine Welle von Überprüfungen durch Betriebsräte anrollen. Bewaffnet mit der neuen Rechtsprechung werden bestehende Vereinbarungen hinterfragt.
Drei dringende Schritte für Arbeitgeber:
Erstens: Verträge und Betriebsvereinbarungen durchforsten. Alle Klauseln identifizieren, die Teilzeit- oder befristet Beschäftigte benachteiligen.
Zweitens: Rückstellungen bilden. Unwirksame Klauseln werden sofort durch die günstigste Regelung ersetzt – ohne Übergangsphase.
Drittens: Dokumentation verbessern. Bei jeder Ausübung des Direktionsrechts schriftlich festhalten, warum das betriebliche Interesse schwerer wiegt als das private des Mitarbeiters.
Das Direktionsrecht bleibt ein wichtiges Führungsinstrument. Aber nur, wenn es mit juristischer Präzision eingesetzt wird. Das Schwert ist stumpfer geworden – und wer nicht aufpasst, schneidet sich selbst.
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