Getötete, Helfer

Seit Langem drängen die USA Israel zu mehr humanitärer Hilfe in Gaza.

05.04.2024 - 13:37:15

Getötete Helfer in Gaza: Armee entlässt Offiziere. Eine Drohung zeigt nun Wirkung. Derweil wächst die Sorge vor einem Konflikt mit dem Iran. Die News im Überblick.

Nach dem tödlichen Angriff der israelischen Armee auf Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) im Gazastreifen will das Militär zwei Offiziere von ihren Posten absetzen. Generalstabschef Herzi Halevi habe entschieden, einen verantwortlichen Kommandeur sowie den Stabschef der zuständigen Brigade von ihren Positionen zu entlassen, teilte das Militär mit. Weitere Kommandeure werden den Angaben zufolge verwarnt.

Eine Untersuchung der Armee kam zu dem Ergebnis, dass der Vorfall ein «schwerwiegendes Versagen» der israelischen Einsatzkräfte darstellte. Diese hätten den Hilfskonvoi wegen der Vermutung attackiert, zwei bewaffnete Hamas-Mitglieder seien in dem Wagen, hieß es von einer Militäreinheit, die zuständig für die Untersuchung ungewöhnlicher Vorfälle während des Krieges ist.

Die israelischen Einsatzkräfte erkannten demnach die Fahrzeuge nicht als Wagen der WCK. Die Angriffe auf die drei Fahrzeuge seien unter «einer schwerwiegenden Verletzung der Befehle und der Standardarbeitsanweisungen» der Armee durchgeführt worden. «Die Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass der Vorfall nicht hätte passieren dürfen», hieß es weiter. Nach Angaben von World Central Kitchen waren die drei bombardierten Fahrzeuge klar gekennzeichnet.

Die sieben bei dem Vorfall getöteten Helfer stammten laut der Hilfsorganisation aus Australien, Polen, Großbritannien und den Palästinensergebieten - zudem hat eines der Opfer die amerikanische und kanadische Staatsbürgerschaft.

Polens Außenministerium überreichte eine Protestnote an Israels Botschafter. Botschafter Jakov Livne habe sich für den Angriff entschuldigt, sagte Vize-Außenminister Andrzej Szejna nach der Unterredung. In der Protestnote habe man deutlich gemacht, dass Israel gegen die für den Angriff auf den humanitären Konvoi verantwortlichen Soldaten nicht nur disziplinarrechtlich, sondern auch strafrechtlich ermitteln müsse, sagte Szejna. «Das war keine Kriegshandlung, das war Mord.»

Israel kündigt «sofortige» Aufstockung von Gaza-Hilfe an

Israel beschloss zudem nach einer deutlichen Warnung des Verbündeten USA «sofortige Schritte» zur Erhöhung humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Das Kriegskabinett hat entschieden, den Hafen von Aschdod sowie den Grenzübergang Erez vorübergehend für Hilfslieferungen zu öffnen, wie die israelischen Zeitungen «Haaretz» und «Times of Israel» unter Berufung auf eine Mitteilung des Büros von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu meldeten.

Dadurch kann leichter Hilfe in den besonders von Lebensmittelmangel betroffenen Norden Gazas gelangen. Auch die über den Grenzübergang Kerem Schalom aus Jordanien kommende Hilfe werde aufgestockt, hieß es. Die USA begrüßten die Ankündigung - und dringen zugleich auf ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln in Gaza.

Laut einem Medienbericht soll darüber an diesem Wochenende in Kairo verhandelt werden. Unterdessen schüren Drohungen des Irans gegen Israel Sorgen vor einer Eskalation der Spannungen in Nahost. Netanjahu drohte für den Fall eines Angriffs des Irans auf sein Land mit Konsequenzen.

USA: Israels Ankündigung muss rasch umgesetzt werden

US-Präsident Joe Biden hat Netanjahu in einem Telefonat nach Angaben des Weißen Hauses aufgefordert, eine Reihe «spezifischer, konkreter und messbarer Schritte» zu unternehmen, um das Leid für die Menschen in Gaza zu verringern und den Schutz von Helfern zu erhöhen. Die künftige US-Politik in Bezug auf Gaza hänge davon ab, wie Israel diese Maßnahmen umsetze, warnte Biden.

Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Adrienne Watson sagte zudem, die USA begrüßten «die Schritte, die die israelische Regierung heute Abend auf Ersuchen des Präsidenten nach seinem Gespräch mit Premierminister Netanjahu angekündigt hat». Sie müssten nun «vollständig und rasch umgesetzt werden».

Auch die Bundesregierung hat Israel zur raschen Umsetzung seiner Ankündigung aufgefordert. Dass Israel den Hafen von Aschdod sowie den Grenzübergang Erez vorübergehend für Hilfslieferungen öffnen und auch den jordanischen Korridor für Hilfslieferungen ausbauen wolle, «ist wichtig und richtig, aber es ist natürlich auch überfällig», sagte der Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin. Die Bundesregierung erwarte nun, dass den Ankündigungen der israelischen Regierung rasch Taten folgten. Ähnlich äußerte sich die EU-Kommission.

Internationale Zusammenarbeit

Man sei bereit, in Abstimmung mit Israel, Jordanien und Ägypten, den Vereinten Nationen und humanitären Organisationen sicherzustellen, «dass diese wichtigen Schritte umgesetzt werden und dazu führen, dass in den kommenden Tagen und Wochen deutlich mehr humanitäre Hilfe die Not leidende Zivilbevölkerung im gesamten Gazastreifen erreicht», sagte Watson weiter.

«Diese verstärkte Hilfe wird eine humanitäre Krise verhindern und ist unerlässlich, um die Fortsetzung der Kämpfe zu gewährleisten und die Ziele des Krieges zu erreichen», zitierte «Haaretz» am frühen Morgen aus der israelischen Erklärung.

Zu Wochenbeginn waren bei einem Luftangriff des israelischen Militärs sieben Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Central Kitchen im Gazastreifen getötet worden. Nach dem Vorfall äußerte sich US-Präsident Biden «empört» und warf Israel offen vor, humanitäre Helfer und Zivilisten nicht ausreichend zu schützen. Den Einwand von Regierungschef Netanjahu, die Attacke sei keine Absicht gewesen, ließ Biden nicht gelten - er hielt dagegen: «Das ist kein Einzelfall.»

WCK fordert systemischen Wandel bei Israels Militär

Die Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) bezeichnet die Untersuchung des israelischen Militärs zu ihren getöteten Helfern im Gazastreifen und die Entlassung zweier Offiziere von ihren Positionen als «wichtige Schritte nach vorn», gleichzeitig aber grundlegende Veränderungen gefordert. «Ohne einen systemischen Wandel wird es weitere militärische Fehlschläge, weitere Entschuldigungen und weitere trauernde Familien geben», schrieb die Organisation mit Sitz in der US-Hauptstadt Washington.

Der Bericht zeige, dass das Militär «tödliche Gewalt ohne Rücksicht auf ihre eigenen Protokolle, ihre Befehlskette und ihre Regeln eingesetzt» habe. Das Militär habe darin auch eingeräumt, dass das Team der Hilfsorganisation «alle ordnungsgemäßen Kommunikationsverfahren» eingehalten habe.

Die Organisation bekräftigte einmal mehr ihre Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung des Vorfalls durch Dritte. Ihre Einsätze im Gazastreifen blieben weiter ausgesetzt.

Bericht: Neuer Verhandlungsvorstoß für Geisel-Abkommen

Biden forderte Netanjahu im Telefonat zudem auf, «unverzüglich» ein Abkommen zu schließen, um die Geiseln in der Gewalt der Hamas zurückzuholen. Wie der gewöhnlich gut unterrichtete israelische Journalist Barak Ravid im Nachrichtenportal «Axios» unter Berufung auf zwei mit der Angelegenheit vertraute Quellen berichtete, soll nun CIA-Direktor Bill Burns an diesem Wochenende zu Gesprächen mit dem Chef des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad, David Barnea, sowie ranghohen Vertretern Katars und Ägyptens nach Kairo reisen, um ihre Freilassung zu erwirken.

Der israelische Außenminister Israel Katz schrieb, er begrüße «die Klarstellung der USA, dass eine Waffenruhe im Gazastreifen von der Freilassung der Entführten abhängig gemacht wird». Israel werde weiter mit seinen Verbündeten zusammenarbeiten, um Israels Recht zu wahren, «den Krieg bis zur Freilassung der Entführten und der Niederlage der Hamas fortzusetzen», so Katz.

Seit Wochen vermitteln die USA, Katar und Ägypten zwischen Israel und der Hamas, um eine Feuerpause und einen Austausch aus Israel verschleppter Geiseln gegen palästinensische Häftlinge zu erreichen. Knapp 100 Entführte in der Gewalt der Hamas dürften nach israelischen Schätzungen noch am Leben sein.

Sorge vor Vergeltungsangriff des Irans gegen Israel

Wegen der Befürchtung eines iranischen Vergeltungsschlags bleiben Medienberichten zufolge heute weltweit 28 israelische Botschaften geschlossen. Das berichteten die Zeitung «Times of Israel» sowie die Nachrichtenseite ynet. Nach dem mutmaßlich israelischen Luftangriff auf ein Gebäude der iranischen Botschaft in Syriens Hauptstadt Damaskus mit mehreren Toten hatte der Iran Vergeltung angekündigt. Israels Außenministerium wollte sich auf Anfrage nicht zu den Berichten äußern.

Bei dem Angriff in Syrien Anfang der Woche waren zwei Brigadegeneräle und fünf weitere Mitglieder der mächtigen iranischen Revolutionsgarden getötet worden. Die Revolutionsgarden sind Irans Elitestreitmacht, sie werden mächtiger eingeschätzt als die konventionellen Streitkräfte. Irans Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei sagte am Tag nach dem Angriff mit Blick auf Israel, «das boshafte Regime wird durch unsere tapferen Männer bestraft werden». Wie und wann Irans Staatsmacht reagiert, ist völlig offen. Beobachter deuteten die Aussagen von Chamenei aber dahin gehend, dass eine militärische Aktion der eigenen Streitkräfte erfolgen könnte.

Grund für die Botschafts-Schließungen sind der «Times of Israel» zufolge auch weltweite Demonstrationen im Rahmen des Al-Kuds-Tags. Die 1979 vom damaligen iranischen Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini eingeführten und staatlich organisierten Kuds-Kundgebungen finden immer am letzten Freitag des muslimischen Fastenmonats Ramadan statt. Die geistliche und politische Führung des Landes ruft zur Eroberung Jerusalems auf. Hintergrund ist die Besetzung des Ostteils von Jerusalem durch Israel während des Sechstagekrieges 1967. Al-Kuds ist der arabische Name für Jerusalem.

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