Israel, Militäreinsatz

Israel geht nicht direkt auf die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs ein - israelische Soldaten bleiben aktiv.

25.05.2024 - 13:15:34

Israel setzt Militäreinsatz in Rafah fort. Tel Aviv verweist auf sein Recht auf Selbstverteidigung. Die News im Überblick.

Tel Aviv/Den Haag - Ungeachtet der Aufforderung des Internationalen Gerichtshofs (IGH), den Militäreinsatz in Rafah unverzüglich zu beenden, sind Israels Streitkräfte in der südlichsten Stadt des Gazastreifens aktiv geblieben.

Israelische Soldaten töteten mehrere palästinensische Bewaffnete, die zuvor auf die Israelis geschossen hatten, teilte die Armee mit. Zudem habe man in Rafah weitere Waffenlager und Tunnelschächte gefunden. Bei einem israelischen Luftangriff sei in Rafah ein Zivilist ums Leben gekommen, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa unter Berufung auf Krankenhausmitarbeiter. Alle Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Der IGH hatte Israel mit seiner Entscheidung verpflichtet, den Militäreinsatz in Rafah sofort zu beenden. Mit der Entscheidung entsprach das höchste Gericht der Vereinten Nationen in Den Haag einigen Forderungen, die Südafrika in einem Eilantrag gestellt hatte. Entscheidungen des Weltgerichts sind bindend. Allerdings besitzen die UN-Richter keine Machtmittel, um einen Staat zur Umsetzung zu zwingen.

Israel hat auf sein Recht zur Selbstverteidigung verwiesen. In einer gemeinsamen Stellungnahme des israelischen Außenministeriums und des Büros für nationale Sicherheit hieß es, Israel habe nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober einen «gerechten Verteidigungskrieg» begonnen, um die islamistische Hamas zu eliminieren und die Geiseln zu befreien.

Zudem wies Israel die von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) geäußerten Völkermord-Vorwürfe als «falsch, empörend und abscheulich» zurück. UN-Generalsekretär António Guterres machte deutlich, dass er einen Stopp des israelischen Militäreinsatzes in Rafah erwartet.

Israel weist Vorwürfe zurück

In der Stellungnahme des israelischen Außenministeriums und des Büros für nationale Sicherheit hieß es weiter, Israel habe in Rafah keine Militäraktionen durchgeführt, die Lebensbedingungen schafften, «die zur vollständigen oder teilweisen Vernichtung der palästinensischen Zivilbevölkerung führen könnten». Israel werde seine Bemühungen fortsetzen, humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen und im Einklang mit dem Gesetz handeln, um den Schaden für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen so weit wie möglich zu verringern. Auf die Anordnungen des IGH ging die Stellungnahme nicht näher ein.

Richter des UN-Gerichts bezeichnen Lage in Rafah als desaströs

Nach Auffassung der Richter ist die humanitäre Lage in Rafah inzwischen desaströs. Weitere Maßnahmen seien nötig, um weiteren Schaden für die Zivilbevölkerung abzuwenden. Das Gericht forderte von Israel nun «in Übereinstimmung mit seinen Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention und in Anbetracht der sich verschlechternden Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung im Verwaltungsbezirk Rafah, seine Militäroffensive und jede andere Aktion im Verwaltungsbezirk Rafah unverzüglich einzustellen, die den Palästinensern im Gazastreifen Lebensbedingungen auferlegen könnte, die ihre physische Zerstörung ganz oder teilweise herbeiführen könnten».

Dass Israel die Aufforderung zur Beendigung des Rafah-Einsatzes umsetzt, ist unwahrscheinlich. Regierungssprecher Avi Hyman hatte zu einer solchen Forderung gesagt: «Keine Macht der Welt wird Israel daran hindern, seine Bürger zu schützen, und gegen die Hamas in Gaza vorzugehen. Wir werden die Hamas zerstören, wir werden Frieden und Sicherheit für die Menschen in Israel und die Menschen in Gaza wiederherstellen. Wir können kein Regime an unserer südlichen Grenze dulden, das Völkermord anstrebt.»

Vor dem Beginn des Einmarsches der israelischen Armee hatten mehr als eine Million Binnenflüchtlinge aus anderen Teilen des Gazastreifens in Rafah Schutz gesucht. Südafrika argumentiert mit seinem Eil-Antrag, es gehe darum, einen Völkermord an Palästinensern zu verhindern. Israels Vorstoß in Rafah hatte am 6. Mai im Osten der an Ägypten grenzenden Stadt begonnen. Israel bezeichnet sein umstrittenes militärisches Vorgehen dort als vorsichtig und begrenzt. Nach Informationen der «Times of Israel» halten sich noch 300.000 bis 400.000 Zivilisten in Rafah auf.

USA: «Wir haben unsere Position zu Rafah klar und deutlich dargelegt»

Das US-Außenministerium reagierte lediglich mit einem Satz auf die IGH-Entscheidung: «Wir haben unsere Position zu Rafah klar und deutlich dargelegt», sagte ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur. Die USA als Israels wichtigster Verbündeter hatten zuletzt erklärt, die Einsätze in Rafah hätten bislang nicht das Ausmaß erreicht, vor dem die US-Regierung gewarnt habe.

Die USA lehnen eine große israelische Bodenoffensive in Rafah ab. Die bisherigen israelischen Einsätze «waren gezielter und begrenzter und umfassten keine größeren Militäroperationen im Zentrum dicht besiedelter städtischer Gebiete», hatte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, gesagt.

Auslöser des Krieges war ein beispielloses Massaker von Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppierungen am 7. Oktober vergangenen Jahres im israelischen Grenzgebiet. Bei dem Terrorangriff wurden mehr als 1200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Im Zuge der anschließenden militärischen Offensive Israels in Gaza sind nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 35.800 Menschen getötet worden.

Indirekte Gaza-Verhandlungen könnten weitergehen

Israel, Katar und die USA haben sich für die Fortführung der feststeckenden indirekten Verhandlungen über eine Geiselfreilassung und Waffenruhe im Gazastreifen in der nächsten Woche ausgesprochen. Dies sei das Ergebnis von Gesprächen, die der CIA-Direktor William Burns, Mossad-Chef David Barnea und der katarische Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani in Paris führten, wie der gut vernetzte israelische Journalist Barak Ravid unter Berufung auf einen israelischen Regierungsbeamten auf X berichtet.

Die indirekt geführten Verhandlungen, bei denen Ägypten, Katar und die USA vermitteln, waren im April in eine Sackgasse geraten. Im Wesentlichen geht es darum, dass die radikalislamische Hamas die von ihr in den Gazastreifen verschleppten israelischen Geiseln freilässt. Im Gegenzug dafür soll Israel eine große Zahl palästinensischer Häftlinge aus seinen Gefängnissen entlassen. Weiter soll der jüdische Staat seinen Militäreinsatz im Gazastreifen einstellen - ob zeitlich befristet oder endgültig, ist einer der Streitpunkte der schwierigen Verhandlungen.

Das israelische Kriegskabinett hatte am letzten Donnerstag den Spielraum des israelischen Verhandlerteams erweitert. Dies machte es offenbar möglich, dass die indirekten Gespräche zwischen Israel und der Hamas weitergehen können.

Anlegestelle für Gaza-Hilfe beschädigt

Hohe Wellen und stürmischer Seegang haben die vor gut einer Woche fertiggestellte provisorische Anlegestelle für humanitäre Lieferungen in den Gazastreifen beschädigt. Wegen des Seegangs hätten sich vier an der Mission beteiligte US-Militärschiffe aus ihrer Verankerung gelöst, teilte das für den Nahen Osten zuständige US-Regionalkommando (Centcom) mit. Zwei der Schiffe ankerten nun am Strand nahe dem temporären Pier vor dem Gazastreifen. Die beiden anderen seien vor der israelischen Küste bei Aschkelon gestrandet. Die Stadt liegt rund 15 Kilometer von Gaza entfernt.

Das israelische Militär helfe bei der Bergung aller vier Schiffe, hieß es in der Mitteilung. US-Soldaten würden den Gazastreifen nicht betreten. Es gebe keine Verletzten und der Pier sei weiter funktionsfähig. Centcom kündigte an, weiter über den Vorgang zu informieren.

Augenzeugen hatten zuvor berichtet, dass der Behelfshafen für Hilfstransporte derzeit nicht in Betrieb sei. Arbeiter seien damit beschäftigt, den Schaden zu reparieren. Die Webseite des israelischen Fernsehsenders N12 hatte berichtetet, dass Teile der Anlegestelle von der starken Strömung an die Küste bei Aschdod getrieben worden seien. Die israelische Stadt liegt gut 30 Kilometer von Gaza entfernt.

Die provisorische Anlage war vor gut einer Woche fertiggestellt worden. Frachter bringen dabei Hilfslieferungen von Zypern aus zunächst zu einer schwimmenden Plattform einige Kilometer vor der Küste des Gazastreifens.

Grenzübergang wird wieder geöffnet

Ägypten stimmte derweil der Öffnung des wichtigen Grenzübergangs Kerem Schalom im Süden des Gazastreifen für Lieferungen von humanitärer Hilfe und von Treibstoff zu. Darauf habe Präsident Abdel Fattah al-Sisi sich in einem Gespräch mit seinem US-Kollegen Joe Biden verständigt, hieß es von ägyptischer Seite. Das Weiße Haus teilte mit, Biden begrüße die Zusage, die Lieferung humanitärer Hilfe, die von den Vereinten Nationen bereitgestellt werde, über den Grenzübergang Kerem Shalom «vorläufig» zuzulassen. «Dies wird helfen, Leben zu retten», hieß es in der Mitteilung der US-Regierungszentrale. Die USA hatten wiederholt die Öffnung des Grenzübergangs gefordert.

Der Grenzübergang nach Ägypten in Rafah war kürzlich nach der Übernahme der palästinensischen Seite durch Israels Armee geschlossen worden. Der Übergang Kerem Schalom zwischen Israel und dem Gazastreifen liegt nahe der Stadt Rafah und der ägyptischen Grenze.

US-Regierung fordert erneut mehr humanitäre Hilfe in Gaza

Die USA forderten Israel nach der IGH-Entscheidung erneut dazu auf, mehr humanitäre Hilfe im gesamten Gazastreifen zuzulassen. US-Außenminister Antony Blinken habe unter anderem darüber mit Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, bei einem Telefonat gesprochen, teilte Ministeriumssprecher Matthew Miller mit.

Blinken habe die «dringende Notwendigkeit» betont, Zivilisten sowie humanitäre Helfer im Gazastreifen zu schützen und die Situation im Westjordanland zu deeskalieren. In dem Telefonat sei es darüber hinaus um die Bemühungen um einen Waffenstillstand gegangen sowie darum, eine Ausweitung des Konflikts in der Region zu verhindern, hieß es in der Mitteilung.

@ dpa.de