Kreml, Nordkaukasus

In einer aufgeheizten Stimmung machten Menschen in Dagestan Jagd auf vermeintliche Juden auf einem russischen Flughafen.

30.10.2023 - 13:48:41

Kreml äußert sich zu Übergriffen in Nordkaukasus. Moskau weißt die Verantwortung von sich.

Russland hält die gewaltsamen antijüdischen Proteste in seiner muslimisch geprägten Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus für aus dem Ausland provoziert. Vor dem Hintergrund der Fernsehbilder von dem «Horror» im Gazastreifen sei es «sehr leicht, die Situation zu missbrauchen, dies zu provozieren, die Leute aufzubringen», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen zu der Gewalt am Vorabend auf dem Flughafen der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala. 20 Menschen wurden dabei laut Behörden verletzt, 60 Menschen festgenommen.

Als Reaktion auf die Übergriffe auf Passagiere einer aus Israel gelandeten Maschine will Kremlchef Wladimir Putin am Montagabend eine Sitzung zur Sicherheitslage und zu Destabilisierungsversuchen des Westens abhalten. Es sei offensichtlich, dass die Ausschreitungen durch Einmischung aus dem Ausland verursacht worden seien, sagte Peskow. Thema der Sitzung, an der die Regierung sowie die Vertreter des russischen Sicherheitsapparates teilnehmen sollen, seien «die Versuche des Westens, die Lage im Nahen Osten dazu zu nutzen, eine Spaltung der russischen Gesellschaft herbeizuführen».

Die dagestanische Führung hatte sich angesichts der Lage in Nahost solidarisch erklärt mit den Palästinensern. Zugleich kritisierten die lokalen Behörden sowie muslimische und zahlreiche andere Organisationen die gewaltsamen Proteste. Die islamische Geistlichkeit der Region stellte klar: «Der Antisemitismus hat keinen Platz im multiethnischen Nordkaukasus.»

Israel fordert Sicherheit von Russland

Der Nationale Sicherheitsrat der USA verurteilte «die antisemitischen Proteste» in Dagestan. «Die USA steht angesichts eines weltweiten Anstiegs des Antisemitismus an der Seite der gesamten jüdischen Gemeinschaft. Es gibt nie eine Entschuldigung oder Rechtfertigung für Antisemitismus», schrieb Sprecherin Adrienne Watson in der Nacht auf der Plattform X.

Zuvor hatte bereits Israel die russischen Behörden zum Schutz seiner Staatsbürger aufgefordert. Es werde erwartet, «dass die russischen Strafverfolgungsbehörden die Sicherheit aller israelischen Bürger und Juden gewährleisten und entschlossen gegen Randalierer und wilde Aufwiegelung gegen Juden und Israelis vorgehen», teilten das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sowie das israelische Außenministerium gemeinsamen mit.

«Israel nimmt Versuche, israelischen Bürgern und Juden irgendwo zu schaden, sehr ernst» und beobachte die Ereignisse in Dagestan, hieß es in der Mitteilung. Der israelische Botschafter in Russland, Alex Ben Zvi, arbeite mit den russischen Behörden zusammen, «um das Wohlergehen von Juden und Israelis vor Ort zu gewährleisten».

Am Samstag umringte auch eine Menge aufgebrachter Menschen ein Hotel in der Stadt Chassawjurt in Dagestan, weil es das Gerücht gab, dort seien Flüchtlinge aus Israel untergebracht. Die staatliche Agentur Ria bestätigte diesen Vorfall. Nach örtlichen Berichten drangen mehrere Dutzend Männer in das Hotel ein, um angeblich die Pässe der Hotelgäste zu kontrollieren. Die Polizei riegelte das Hotel ab.

Weitere Übergriffe auf Juden

Verschärft wird die Lage dadurch, dass die Evakuierungsflüge für russische Staatsbürger aus Tel Aviv ausgerechnet im Nordkaukasus landen, nämlich auf den Flughäfen Machatschkala, Mineralnyje Wody und Sotschi. Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern halten die russischen Muslime zu ihren palästinensischen Glaubensbrüdern.

In Naltschik wurden Reifen neben einem jüdischen Kulturzentrum im Bau angezündet, wie die Nachrichtenagentur Ria meldete. Das Gebäude wurde nach Angaben der Sicherheitsbehörden der Teilrepublik Kabardino-Balkarie mit extremistischen Losungen beschmiert. Fotos zufolge stand dort «Tod den Juden». In der Teilrepublik Karatschajewo-Tscherkessien riefen Demonstranten dazu auf, die örtliche jüdische Bevölkerung auszusiedeln.

Klein: Antisemitismus ist «weltweites Problem»

Die Bundesregierung hat die gewaltsamen antijüdischen Proteste und Übergriffe als «unsäglich und inakzeptabel» verurteilt. «Wichtig ist jetzt, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und die russischen Behörden die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft gewährleisten», forderte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Die Haltung der Bundesregierung sei klar: «Wir bekämpfen entschieden jede Form des Antisemitismus und wir stehen an der Seite der jüdischen Gemeinschaft.»

Ebenso forderte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, Russland zum Schutz der dort lebenden Jüdinnen und Juden auf. «Ich erwarte von Präsident Putin und den russischen Behörden, dass sie die Sicherheit und das Eigentum von Jüdinnen und Juden schützen», sagte Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Zudem werde an dem Vorfall einmal mehr deutlich, «dass Antisemitismus ein weltweites Problem ist, dem wir entsprechend international begegnen müssen», sagte Klein. Der in Europa eingeschlagene Weg einer EU-weiten Vernetzung im Kampf gegen Antisemitismus müsse entschieden weiter vorangetragen werden.

Die Bilder wirkten auch für Juden in Deutschland beunruhigend, erklärte der Zentralrat der Juden in Deutschland. «Die Jagd auf Juden in Dagestan zeigt uns, dass wir es mit einer Ideologie zu tun haben, die keine Grenzen kennt. Es geht den Islamisten nicht um Israel, sondern es geht ihnen um Juden», sagte Präsident Josef Schuster laut Mitteilung. «Wir müssen alles dafür tun, dass diese Radikale in Deutschland keine Möglichkeit haben, ihren Hass zu verbreiten. Der Rechtsstaat muss konsequent umgesetzt werden.»

@ dpa.de