Selenskyjs, Reise

Er hat eine Mission.

12.12.2023 - 07:46:16

Selenskyjs wichtigste Reise. Der ukrainische Präsident Selenskyj muss in Washington Überzeugungsarbeit leisten. Denn er braucht von den USA weitere militärische Unterstützung.

Es war ein Heldenempfang im US-Kongress mit minutenlangem Applaus. Fast ein Jahr ist es nun her, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Washington gefeiert wurde. Damals handelte es sich um seine erste Auslandsreise überhaupt seit Beginn des russischen Angriffskriegs. Washington als Reiseziel war naheliegend: Die USA sind die wichtigsten Unterstützer seines Landes. Doch seit Selenskyjs letztem Besuch ist viel passiert. Er hat mittlerweile viele weitere Hauptstädte bereist und ist nun zum dritten Mal innerhalb eines Jahres in Washington.

Doch diese Reise ist anders als die vorigen. Selenskyj kommt nicht als Held, sondern als jemand, der um Geld bei den USA bitten muss. Davon, ob er Erfolg hat, hängt nicht weniger als die Zukunft seines vom Krieg gebeutelten Landes ab.

Weitere Hilfe für Ukraine wird vom Kongress blockiert

Vor einem Jahr genehmigte der Kongress mehr Milliarden für die Unterstützung der Ukraine, als US-Präsident Joe Biden beantragt hatte. Seit Ende Februar 2022 sind allein an Militärhilfe weit mehr als 40 Milliarden US-Dollar für den Abwehrkampf geflossen. Nun gibt es vorerst überhaupt kein Geld mehr. Denn mittlerweile haben Bidens Demokraten die Mehrheit in einer der beiden Parlamentskammern, dem Repräsentantenhaus, an die Republikaner verloren.

Biden hat in den vergangenen Monaten erneut Milliarden für die Unterstützung der Ukraine beantragt. Doch die Republikaner treiben ihn mit Forderungen nach mehr Mitteln für den Schutz der US-Südgrenze vor sich her. Ohne Einigung zwischen beiden Parteien gibt es kein Geld. Das Weiße Haus hat berechnet, dass die bisher genehmigten Mittel bis zum Ende des Jahres zur Neige gehen werden. Es sind vor allem die Republikaner, die die Ukraine-Hilfen immer mehr anzweifeln - oder gar komplett ablehnen. Einer aktuellen Umfrage zufolge ist derzeit knapp die Hälfte der republikanischen Wählerschaft der Ansicht, die USA schickten der Ukraine zu viel Unterstützung. Nach Kriegsbeginn hingegen antwortete die Hälfte der befragten Republikaner das Gegenteil: Die USA tun nicht genug.

Republikaner als Partei des Isolationismus

Ein Punkt dabei ist sicher der Ermüdungsfaktor und die mitten im Wahlkampf aufgeworfene Frage, wie lange das mit der Milliardenhilfe weiter gehen soll. Entweder Hilfe für die Ukraine oder besserer Grenzschutz: Bei etlichen Republikanern scheint es nur ein Entweder-oder zu geben. Die republikanische Partei hat sich gewandelt - und das nicht erst seit Selenskyjs Besuch vor einem Jahr. Es ist ein konservativer Isolationismus, der sich durchsetzt. Er hat schon unter Ex-Präsident Donald Trump Schule gemacht und ist der Gegenentwurf zur interventionistischen Außenpolitik eines Ronald Reagans oder George W. Bushs. Die Trump-Partei, zu der die Republikaner geworden sind, plädiert für einen Rückzug aus der Welt - ganz im Stil von Trumps Parole «America first».

Für Selenskyj geht es um alles

Auch in der Ukraine hat sich die Stimmung gewandelt. Anders als noch vor einem Jahr macht sich in Kiew Pessimismus breit. Die Sommeroffensive brachte keine Erfolge. Stattdessen ordnete Selenskyj den stärkeren Ausbau der Verteidigungslinien an. Im Osten des Landes gingen die russischen Truppen Aussagen der ukrainischen Militärführung nach an weiten Teilen der Front zu Angriffen über. Das von Selenskyj ausgerufene Kriegsziel der Rückeroberung aller Gebiete innerhalb der Grenzen von 1991 ist in weite Ferne gerückt.

Am US-Kongress hängt nicht nur die militärische Unterstützung. In dem Paket von umgerechnet knapp 57 Milliarden Euro, das Biden beantragt hat, sind auch direkte Haushaltshilfen für Kiew von knapp elf Milliarden Euro enthalten. Mehr als drei Milliarden sollten davon eigentlich bereits in diesem Jahr fließen und konnten nur zum Teil anderweitig ersetzt werden. Für 2024 klafft im ukrainischen Haushalt ein Loch von gut 38 Milliarden Euro, das vor allem mit Geld aus dem Ausland geschlossen werden soll.

Daher wird für Januar beim weiteren Ausbleiben von Geld aus den USA bereits Alarm geschlagen. «Ohne die Hilfe der USA im Januar treten bereits einige Schwierigkeiten bei den Zahlungen im sozialen Bereich auf», sagte die Chefin des Haushaltsausschusses im Parlament, Roxolana Pidlassa, dem ukrainischen «Forbes Magazin». Konkret wären das vor allem Rentenzahlungen für über zehn Millionen Menschen und die Hilfen für knapp fünf Millionen Binnenflüchtlinge. Ökonomen warnen davor, dass Kiew dann bereits im ersten Quartal gezwungen sein könnte, die Notenpresse anzuwerfen. Die Folge: Inflation und ein weiterer Anstieg der Unzufriedenheit mit Selenskyj.

Scheitern wäre auch für Biden fatal

Doch auch für den US-Präsidenten steht eine Menge auf dem Spiel. Das wird an den drastischen Appellen deutlich, mit denen Biden und sein Team den Kongress seit Wochen zum Handeln auffordern. Die Ukraine werde «auf dem Schlachtfeld in die Knie gezwungen», sollte der Fluss an Waffen und Ausrüstung aus den USA unterbrochen werden, schrieb die Direktorin des nationalen Haushaltsamtes an die Führung in beiden Kongresskammern. Selbst wenn internationale Partner ihre Hilfen aufstocken würden, könnten sie die US-Hilfen nicht ausgleichen.

Biden hat versprochen, die Ukraine so lange wie nötig zu unterstützen. Verbündete und Partner orientieren sich an den USA: Ob die USA weitermachen oder nicht, ist für Entscheidungen in Berlin, Brüssel oder London von großer Bedeutung. Biden selbst warnte davor, dass Putins «Appetit auf Macht und Kontrolle» sich nicht auf die Ukraine beschränke. «Wenn wir es zulassen, dass Putin die Unabhängigkeit der Ukraine auslöscht, werden Aggressoren in der ganzen Welt ermutigt, dasselbe zu versuchen.»

Aber auch innenpolitisch kann sich Biden ein Scheitern bei der Freigabe neuer Hilfen nicht leisten. Im Wahlkampf wäre es ein Zeichen absoluter Schwäche, wenn er sich in diesem ihm so wichtigen Anliegen nicht durchsetzen könnte. Es geht also nicht nur um die Verlässlichkeit der USA, sondern auch um Bidens Glaubwürdigkeit, seinen politischen Erfolg, sein Erbe. Kein Wunder also, dass Biden Selenskyj nun kurz vor Ablauf des Jahres noch einmal nach Washington eingeladen hat. Wohl kein anderer könnte Bidens Zweifler besser überzeugen als der ukrainische Präsident persönlich.

@ dpa.de