Wiesbaden - Missbrauchserfahrungen in der Kindheit sind ein Hauptrisikofaktor für viele psychische und körperliche Erkrankungen - auch für Depressionen.
18.10.2024 - 07:50:00Personalisierte Therapie bei Depressionen: Die Rolle von Misshandlungserfahrungen in der Kindheit. Allein in Deutschland leiden fünf bis sechs Millionen Menschen unter Depressionen.Trotz ihrer Relevanz werden Misshandlungserfahrungen bislang nicht systematisch erfasst. Forschende haben jetzt ein Analyseverfahren entwickelt, das hilft vorherzusagen, wie Patient:innen mit chronischen Depressionen auf ein spezifisches Therapieverfahren reagieren werden. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift "The Lancet Psychiatry" veröffentlicht. Im Interview erklärt Prof. Dr. Stephan Goerigk, vom Lehrstuhl für Methodenlehre der Charlotte Fresenius Hochschule - University of Psychology (CFH), den neuen Ansatz.
Herr Prof. Dr. Stephan Goerigk, Sie haben mit Kolleg:innen vomKlinikum der Ludwig Maximilian Universität (LMU) in München und vom Uniklinikum Freiburgein neues Analyseverfahren entwickelt, um die verschiedenen Dimensionen von Missbrauchserfahrungen in der Kindheit zu untersuchen. Das soll besonders bei der Vorhersage des Behandlungserfolgs von Depressionen helfen. Inwiefern?
Frühkindliche Misshandlungserfahrungen sind weit verbreitet und werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als wesentlicher Risikofaktor anerkannt. Sie sind nicht nur mit körperlichen Erkrankungen, sondern auch mit psychischen Störungen wie Depressionen verbunden. Bisher werden diese Erfahrungen jedoch oft nicht systematisch erfasst, was ihre Bedeutung in der Behandlung einschränkte.
Die meisten Menschen denken bei Misshandlungen sofort an sexuellen Missbrauch, doch es gibt viele Formen der Misshandlung.
Oft werden fünf Dimensionen unterschieden: emotionale Vernachlässigung, emotionaler Missbrauch, körperliche Vernachlässigung, körperlicher Missbrauch und sexueller Missbrauch. Hinzu kommt: Im Alltag treten diese Dimensionen in verschiedenen Kombinationen auf. Unser neues Verfahren kann unterschiedliche Kombinationen und Schweregrade von diesen negativen zwischenmenschlichen Erfahrungen erfassen und unterscheidet sieben Misshandlungscluster.
Mit dieser Analyse können Sie jetzt vorhersagen, wie gut eine spezifische Therapie für einen Menschen mit chronischer Depression wirkt?
Genau. Unser Analyseverfahren kann bei der Auswahl eines passenden Therapieverfahrens unterstützen. Mit dem Ansatz können wir vorhersagen, welche Patient:innen besonders gut auf ein besonderes Therapieverfahren für Menschen mit chronischen Depressionen namens "Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy" (CBASP) ansprechen. Frühere Studien haben gezeigt, dass klassische antidepressive Behandlungsansätze wie Pharmakotherapie - also der Einsatz von Medikamenten - und beispielsweise kognitive Verhaltenstherapie bei Patienten mit Misshandlungserfahrungen oft weniger gut wirken. Mit unserer Analyse können wir jedoch Anhaltpunkte geben, welche Patienten speziell von CBASP profitieren könnten.
Was macht CBASP so besonders?
CBASP kombiniert interpersonelle Techniken, mit emotional-kognitiven Aspekten, die besonders wichtige frühere Beziehungserfahrungen, sogenannte Prägungen, betreffen. In der Therapie arbeiten Patient:innen und Therapeut:innen gemeinsam daran, prägende Beziehungserfahrungen aus der Vergangenheit zu erkennen und sie im Rahmen der therapeutischen Beziehung neu zu bearbeiten.
Wie funktioniert das konkret?
Die Therapie unterstützt die Betroffenen, ihre frühkindlichen Erfahrungen zu reflektieren und neue, funktionale Verhaltensmuster zu entwickeln. Ein zentrales Ziel ist es, frühere Beziehungsmuster aufzuarbeiten und von heutigen Beziehungen - einschließlich der zum/ zur Therapeut:in - klar abzugrenzen. So lernen die Betroffenen, dass zwischenmenschliche Beziehungen heute anders funktionieren können als in der Vergangenheit.
Wo können Patienten eine CBASP-Therapie in Anspruch nehmen?
Es gibt mehrere Einrichtungen, die CBASP anbieten und auch ambulant arbeitende Kolleg:innen können sich in dieser Therapieform zertifizieren lassen. In München, wo ich tätig bin, wird CBASP stationär unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Padberg am LMU Klinikum München angeboten. Prof. Dr. Padberg ist auch einer der Letztautoren unserer gemeinsamen Studie. Weitere Informationen finden Interessierte bei der Deutschsprachigen Gesellschaft für CBASP unter: www.cbasp-network.org.
Ihr Analyseverfahren hat in der wissenschaftlichen Welt viel Aufmerksamkeit erregt, sogar ein Podcast wurde veröffentlicht.
Ja, das stimmt. Wer sich weiter in das Thema vertiefen möchte, kann sich den englischsprachigen Podcast von der Fachzeitschrift "The Lancet Psychiatry" anhören. Darin diskutieren Prof. Dr. Padberg und ich ausführlich mit einer Redakteurin des Journals über frühkindliche Misshandlungen und deren Bedeutung für die Psychotherapie. Der Podcast ist unter folgendem Link zu finden: https://www.thelancet.com/multimedia/podcasts/in-conversation-with/lanpsy.
Originalpublikation:
Childhood Trauma Questionnaire-based child maltreatment profiles to predict efficacy of the Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy versus non-specific psychotherapy in adults with early-onset chronic depression: cluster analysis of data from a randomised controlled trial
Goerigk S, Elsaesser M, Reinhard MA, Kriston L, Härter M, Hautzinger M, Klein JP, McCullough JP Jr, Schramm E, Padberg F.
Lancet Psychiatry, 2024 Sep;11(9):709-719
DOI: https://doi.org/10.1016/S2215-0366(24)00209-8
Weitere Informationen:
http://Podcast zur Publikation:
http://The Lancet Psychiatry in conversation with: Frank Padberg and Stephan Goerigk on child maltreatment and psychotherapy
https://www.thelancet.com/multimedia/podcasts/in-conversation-with/lanpsy
Pressekontakt:
Christine Schmitt
Pressesprecherin
Carl Remigius Fresenius Education Group
Mail: christine.schmitt@crf-education.com
Web: www.crf-education.com
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Registergericht: Amtsgericht Hamburg HRB 48484
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Vorstand: Werner Unger (Vorsitzender), Matthias Martin, Kai Metzner
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