Mehrweg, Regional

Von Mehrweg bis Regional: 6 gängige Nachhaltigkeits-Ansichten im Check

12.12.2023 - 09:13:33

Was den Themenkomplex Klima-, Umwelt- und Naturschutz anbelangt, gelten einige Ansichten als universell richtig oder falsch. Bei genauerem Hinsehen lässt sich eine solche schwarz-weiß-Einteilung jedoch nicht immer halten.

Von Mehrweg bis Regional: 6 gängige Nachhaltigkeits-Ansichten im Check

Was den Themenkomplex Klima-, Umwelt- und Naturschutz anbelangt, gelten einige Ansichten als universell richtig oder falsch. Bei genauerem Hinsehen lässt sich eine solche schwarz-weiß-Einteilung jedoch nicht immer halten.

Seitdem in den frühen 1970ern in Deutschland langsam eine Umweltbewegung aufkeimte, ist nicht nur ein halbes Jahrhundert vergangen. Ebenso ist die große Mehrheit der Deutschen hinsichtlich ihres Wissens rund um diese Themen „gereift“. Kaum jemand, der heute nicht wenigstens grob weiß, warum ein steigender CO2-Gehalt das Erdklima erwärmt. Und nur wenige, die nicht verstehen, warum es besser ist, 50 Menschen mit einem Bus zu transportieren als mit 50 einzelnen PKW.

Doch so sehr Awareness wie Knowhow heute bei uns allen etabliert sind, so sehr gibt es nach wie vor einige Ansichten, die zumindest falsch-generalisiert werden – wo es also tatsächlich eher auf den Einzelfall ankommt, ob etwas aus Nachhaltigkeitssicht besser oder schlechter ist. Wir zeigen auf den folgenden Zeilen sechs dieser Ansichten und machen den Check.

1. Die Welt kann und muss vollständig von Kunststoffen wegkommen

Ein erheblicher Teil aller Kunststoffe wird aus umgewandelten Kohlenwasserstoffen von Erdöl und Erdgas hergestellt. Allerdings ist es nicht nur diese fossile Herkunft, die Kunststoffe kritikwürdig macht:

  • Die teilweise schlechte Recyclingfähigkeit.
  • Die hohe Robustheit, wodurch Kunststoffmüll über viele Jahrhunderte in der Biosphäre verbleibt.
  • Das Entstehen von Mikroplastik, wodurch Kunststoffe in Organismen eindringen – und dort unter anderem hormonelle Wirkung entfalten können.

Angesichts dieser und vieler weiterer Nachteile herrscht bei vielen die Ansicht vor, wir würden auf eine Ära zusteuern, in der es gar keine Kunststoffe mehr gibt. Wohl ist der Grundgedanke, insbesondere Einwegkunststoffe für den Endverbraucher maximal zu reduzieren, absolut richtig. Allerdings wird die Menschheit in absehbarer Zeit definitiv kein Ende des Kunststoffzeitalters erleben – aus zwei Gründen:

  1. Es werden immer mehr Biokunststoffe erforscht und marktreif. Also solche, bei denen fossile Kohlenwasserstoffe höchstens noch eine Nebenrolle spielen. Solche Kunststoffe sind um Längen weniger problematisch.
  2. Insbesondere bei heiklen hygienischen Anwendungen (Stichwort Medizin) sowie bei der elektrischen Isolation sind Kunststoffe völlig unersetzbar. Mitunter sogar, weil ihre Herstellung weniger Energie verbraucht als die meisten Alternativen.

Kunststoffe sowie unser Umgang damit werden sich definitiv wandeln. Davon jedoch abzuleiten, das Ende des Kunststoffzeitalters sei nah, ist falsch. Ohne Kunststoffe wären sogar viele Pläne rund um mehr Klimaneutralität fast undurchführbar.

2. Mehrweg ist immer besser als Einweg

Egal ob beim To-Go-Kaffeebecher, der Butterbrotverpackung oder der Bierflasche: Je häufiger ein Behälter verwendet werden kann, desto besser ist es – so nehmen es zumindest viele Menschen an. Doch erneut ist die Realität deutlich komplexer als eine derart simplifizierte Ansicht.

Denn was reduzierte Energie- und Rohstoffverbräuche sowie CO2-Ausstoß anbelangt, zählt nur das, was realistisch unter dem Endstrich der Rechnung steht. Nehmen wir Verpackungen. Bereits hier kann Wellpappe als typisches Einwegmaterial in vielen Fällen einen CO2-Vorteil vorweisen, wenn das Material gegen Mehrwegverpackungen aus Kunststoff antreten muss. Denn hier wie bei sehr vielen anderen Anwendungen gilt zum Thema Mehrweg:

  1. Es muss stets einen Rücktransport oder ein ähnliches Kreislaufsystem geben.
  2. Mehrweg muss ebenso immer durch höhere Robustheit sichergestellt werden.
  3. Einweg bedeutet nicht immer eine „sinnlose“ Entsorgung, sondern immer häufiger ein rasches und vollständiges Recycling oder wenigstens kompostieren.

Bedeutet, Mehrweg ist nur dort die bessere Wahl, wo ein solches Produkt wirklich so häufig umlaufen kann, dass es einen Nachhaltigkeitsvorteil zu Einwegprodukten generiert. Bloß ist dieser Umlauf nicht immer möglich oder überhaupt sinnvoll. Die X-te Stofftüte im Supermarkt rentiert sich beispielsweise erst, wenn sie mindestens 50 Einkäufe mitmacht. Jeder zusätzliche Kauf eines weiteren Beutels ist deshalb ein Nachhaltigkeits-Minus.

Nicht nur bei (Endverbraucher-)Verpackungen kann ein einfach zu recycelndes Material hingegen die nachhaltigere Herangehensweise sein.

3. Regionale Produkte toppen immer alles andere

Lieber Wein vom deutschen Winzer als vom südafrikanischen Weinberg; besser in Norddeutschland fabrizierte Eiernudeln als über den Brenner transportierte italienische Pasta. Derartige Beispiele gibt es viele – und ähnlich viele Menschen glauben, Regionale Produkte seien aufgrund der grundsätzlich kürzeren Transportstrecken immer die bessere Wahl.

Was die Transportdistanzen anbelangt, so stimmt das sogar. Allerdings:

  1. Viele verkürzen den Merksatz nur auf „Regional“ – wo es in Wahrheit heißt „Regional und Saisonal“.
  2. Der Transport ist bei sehr vielen Waren bzw. Produkten nur ein Nachhaltigkeitsbaustein unter mehreren.

Tatsächlich können regionale Produkte sogar einen größeren Fußabdruck aufweisen. Denken wir an ein Netz voller Zitronen. Wenn die im Winter mit viel fossiler Energie in einem beheizten deutschen Treibhaus gezüchtet werden, sind sie sehr wahrscheinlich weniger nachhaltig als Zitronen, die zum gleichen Zeitpunkt in Spanien im Freiland oder wenigstens einem unbeheizten Treibhaus wachsen – selbst, wenn sie danach noch per LKW nach Deutschland gelangen müssen.

Abermals gibt es viele weitere Beispiele dieser Sorte. Wer stets die richtige Wahl treffen möchte, kommt deshalb nicht umhin, den Satz von „Regional und Saisonal“ buchstabengetreu zu beherzigen. Maximal nachhaltig ist es demnach, nur Dinge aus der Region zu kaufen – wenn diese gerade Saison haben.

4. Bio bedeutet immer auch Klimaschutz

Eine Flasche Wein mit dem begehrten Siegel „Bio“ aus Kalifornien. Das heißt, die Weinstöcke wurden garantiert nicht mit „Chemie“ gedüngt, es wurden keine synthetischen Herbizide genutzt und überhaupt handelt es sich im besten Sinn um ein Naturprodukt.

Ist es jedoch ein Genuss ohne Reue? Leider nein, zumindest nicht automatisch. Obwohl „Bio“ zwar stets weniger umweltschädigende Methoden beinhaltet, so sind solche Produkte doch nicht durch die Bank weg besser für Klima, Umwelt oder Natur.

Beim genannten Beispiel finge das bereits mit der Transportdistanz um fast den halben Globus an. Ebenso können jedoch selbst regionale Bio-Produkte problematisch sein. Dann, wenn hinter den ökologisch verantwortungsbewussten Produktionsmethoden typische Monokulturen stehen.

Anders formuliert: Bei einem mehrere Hektar großen Acker ohne Hecken und Wiesenstreifen macht es für die Nachhaltigkeit nur einen geringen Unterschied, ob die Ackerfrucht frei von Gentechnik ist und keine künstlichen Herbizide versprüht werden. Und wenn für den Bio-Anbau sogar erst wertvollere Flächen zerstört werden, dann ist es sogar für lange Zeit ein echtes Minusgeschäft.

5. Elektroautos sind immer die wesentlich bessere Alternative als Verbrenner

Seit einigen Jahren lässt sich nicht nur in den Medien ein thematischer Tenor beachten: Wer ein Auto braucht, aber kein Elektroauto fährt, der „versündigt“ sich regelrecht am Planeten. Einmal mehr handelt es sich dabei um eine Ansicht, die zwar einen wahren Kern hat, die aber so allgemeingültig einfach nicht richtig ist.

Wahr ist nur eines: Ein Elektroauto erzeugt – bis auf den Feinstaub durch Abrieb der Reifen und Bremsbeläge – keine lokalen Emissionen. Jenseits davon kommt es aber darauf an:

  • E-Autos bauen den Fußabdruck ihrer Produktion (etwa den der Batterien) umso rascher ab, je häufiger sie gefahren werden und/oder je mehr sie für Fahrprofile genutzt werden, bei denen Verbrenner besonders schlecht dastehen. Namentlich ist das der städtische Kurzstreckenbetrieb.
  • Was die allgemeine klimatische Wirkung anbelangt, steht und fällt alles mit der Stromquelle. Ein E-Auto, das mit Kohlestrom geladen wird, ist zwar gemäß aktuellen Berechnungen immer noch besser als die allermeisten Verbrenner. Wirklich effektiv wird ein solches Fahrzeug jedoch nur dann, wenn es mit nachhaltig erzeugtem Strom geladen wird.

Nicht zuletzt muss hier noch ein Faktor bedacht werden: Selbst ein Elektroauto benötigt vergleichsweise viel Energie. Es ist daher definitiv nicht das nachhaltigste Verkehrsmittel. Dieser Titel gebührt a) Fahrzeugen, die möglichst viele Menschen gleichzeitig transportieren und b) Mobilitätsformen, die mit Muskelkraft agieren.

Wer sich etwa für täglich fünf Kilometer zur Arbeit ein E-Auto zulegt, ist nicht automatisch auf dem Nachhaltigkeitsgipfel – in dem Fall wäre ein Fahrrad (selbst mit Elektrounterstützung) die deutlich bessere Wahl.

6. Die wahren CO2-Schleudern sind andere Staaten

Dieses Argument hört man sehr häufig. Tenor: „Wie kann Deutschland mit seinen gerade einmal 83 Millionen Einwohnern irgendetwas von Belang zur Klimazerstörung oder -rettung beitragen, wenn gleichsam deutlich größere Länder viel mehr ausstoßen?“

Grundsätzlich ist diese Denkweise nicht einmal völlig falsch. Wahr ist, dass die Bevölkerungszahl eines Landes natürlich mit einbezogen werden muss – erst recht, wenn die Unterschiede zwischen zwei Staaten sehr krass sind. Bloß ist das definitiv kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen:

  1. Deutschland mag zwar in der Tat klein sein. Als Erstweltland haben wir jedoch einen sehr großen Pro-Kopf-Ausstoß von CO2. Bedeutet, 83 Millionen Deutsche verursachen im Jahr so viele Kohlendioxyd-Emissionen wie beispielsweise zirka 200 Millionen Mexikaner. Heißt also, pro Einwohner ist unser Ausstoß sehr hoch.
  2. Sehr viele der oft zitierten Großemittenten wie China oder die USA stoßen deshalb insgesamt und pro Kopf so viel aus, weil dort Produkte für den Export hergestellt werden. Anders formuliert: Ohne unseren Konsum stünden diese Staaten besser dar – zumindest in Sachen CO2-Emissionen. Insofern ist die Pro-Kopf-Berechnung in einer Welt der globalisierten Herstellungs- und Transportketten oft nicht aussagekräftig genug.

Nicht zuletzt muss hier eine simple Tatsache angesprochen werden: Natur, Umwelt und Klima ist es egal, wie viele Staaten es gibt und wie man sich dort gegenseitig die Schuld zuschieben mag. Insofern bringt jede Ersparnis etwas, egal wo oder wie klein sie ausfallen mag.

@ ad-hoc-news.de