BERLIN - Als Bundeskanzler Friedrich Merz nur vier Tage nach seinem Amtsantritt den ukrainischen PrĂ€sidenten Wolodymyr Selenskyj Mitte Mai in Kiew traf, waren die Hoffnungen auf einen echten Verhandlungsprozess zur Beendigung des Krieges noch groĂ.
28.05.2025 - 08:05:16Der Hoffnungsschimmer ist verflogen
(Neu: 3. Absatz BestÀtigung des Besuchs)
BERLIN (dpa-AFX) - Als Bundeskanzler Friedrich Merz nur vier Tage nach seinem Amtsantritt den ukrainischen PrĂ€sidenten Wolodymyr Selenskyj Mitte Mai in Kiew traf, waren die Hoffnungen auf einen echten Verhandlungsprozess zur Beendigung des Krieges noch groĂ. Wenn die beiden sich heute knapp drei Wochen danach in Berlin wiedersehen, ist davon so gut wie nichts ĂŒbriggeblieben.
Der dĂŒnne GesprĂ€chsfaden zwischen Russland und der Ukraine ist abgerissen. Die russischen Luftangriffe sind heftiger als je zuvor. Und US-PrĂ€sident Donald Trump ist dabei, die EuropĂ€er mit dem Problem allein zu lassen.
Besuch nach langen Spekulationen bestÀtigt
Ăber den geplanten Besuch Selenskyjs in Berlin hatten in den vergangenen Tagen mehrere Medien berichtet, obwohl solche Reisen aus SicherheitsgrĂŒnden in der Regel möglichst bis zuletzt geheim gehalten werden. Eine offizielle BestĂ€tigung gab es erst wenige Stunden vorher. "Bei dem Besuch wird es um die deutsche UnterstĂŒtzung der Ukraine und die BemĂŒhungen um einen Waffenstillstand gehen", teilte Regierungssprecher Stefan Kornelius am Morgen mit.
Es ist bereits der vierte Besuch Selenskyjs in Berlin seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine vor mehr als drei Jahren. Er findet in einer Ă€uĂerst schwierigen Lage statt - und fĂ€llt zeitlich zusammen mit dem Antrittsbesuch von AuĂenminister Johann Wadephul in Washington.
Merz' Chefdiplomat will sich bei seinem heutigen Treffen mit US-Kollege Marco Rubio fĂŒr einen Schulterschluss mit den USA im Umgang mit Kremlchef Wladimir Putin einsetzen. "Damit Putin endlich an den Verhandlungstisch kommt, damit Russland endlich in ernsthafte Verhandlungen einsteigt, mĂŒssen wir den Druck aufrechterhalten", erklĂ€rte der CDU-Politiker vor dem Abflug nach Washington. "Wir EuropĂ€er werden die Sanktionsschrauben weiter anziehen, auch der US-Kongress ist zu mehr Sanktionen bereit."
Merz macht dĂŒstere Prognosen
Merz erweckte in den vergangenen Tagen den Eindruck, als habe er den Glauben an eine Lösung am Verhandlungstisch ganz aufgegeben. Kriege gingen in der Regel durch wirtschaftliche oder militÀrische Erschöpfung einer der beiden Seiten oder beider Seiten zu Ende, sagte er am Dienstag bei seinem Finnland-Besuch. "Davon sind wir in diesem Krieg offensichtlich noch weit entfernt. Deswegen rechne ich damit, dass wir uns möglicherweise noch auf eine lÀngere Dauer einzustellen haben."
Die ErnĂŒchterung ĂŒber die diplomatischen BemĂŒhungen ist auch der Grund dafĂŒr, warum Merz die Aufhebung der Reichweitenbegrenzung fĂŒr den Einsatz deutscher Waffen im Ukraine-Krieg Anfang der Woche öffentlich machte. Er unterstĂŒtzte damit ukrainische MilitĂ€rschlĂ€ge gegen Stellungen auf russischem Territorium, um dem russischen PrĂ€sidenten Putin zu signalisieren, dass die SolidaritĂ€t der EuropĂ€er mit der Ukraine ungebrochen ist.
Von den GrĂŒnen und auch aus der Union kommen nun wieder Forderungen nach der Lieferung der Taurus-Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 Kilometern. Da war Merz zuletzt aber sehr reserviert - er will in der Ăffentlichkeit eigentlich gar nicht mehr ĂŒber das Thema reden.
Die militÀrische Lage: Der Ukraine fehlen Waffen
MilitÀrisch ist die Ukraine seit langem in der Defensive; doch es ist Russland auch nach mehr als drei Jahren Angriffskrieg nicht gelungen, den Widerstand der Ukrainer zu brechen. Um in die Vorhand zu kommen, brÀuchte die ukrainische Armee schlagkrÀftige Waffensysteme, um russische Kommandostellen und Versorgungswege hinter der Front zu zerschlagen.
In seiner Videobotschaft kĂŒndigte Selenskyj an, die RĂŒstungsindustrie weiter auszubauen. Russland mĂŒsse fĂŒhlen, dass alle seine Untaten gegen die Ukraine beantwortet wĂŒrden. "SchlĂŒsselelemente (dafĂŒr) sind Angriffsdrohnen, AbfangjĂ€ger, Marschflugkörper und ukrainische ballistische Raketen. Wir mĂŒssen alles produzieren", forderte er.
Mehr als Planspiele sind das bisher nicht, auch wenn Selenskyj erklÀrte, dass die Regierung InvestitionsvertrÀge mit europÀischen Partnern vorbereite, um weitere MilitÀrproduktion ins Land zu verlagern.
Hinhaltender Widerstand der Ukraine
Die Ukraine hat bereits ihre Drohnen weiterentwickelt. Damit kann sie punktuell Energieanlagen und MilitÀrobjekte in Russland beschÀdigen oder den zivilen Flugverkehr stören. Die Lufthoheit liegt aber weiter bei Russland, wie die schweren nÀchtlichen Bombardements vom vergangenen Wochenende gezeigt haben.
Zwar ist die ukrainische Luftverteidigung verstĂ€rkt worden - gerade auch mit deutscher Hilfe. Doch die russischen DrohnenschwĂ€rme werden gröĂer, gegen Gleitbomben und ballistische Raketen gibt es kaum eine Abwehr. Es fehlt an Waffensystemen und Flugabwehrmunition.
Bei KĂ€mpfen am Boden zeigt sich der ukrainische Mangel an Soldaten deutlich. Im Donbass im Osten leisten die Verteidiger hinhaltenden Widerstand. Die russischen Angreifer rĂŒcken Schritt fĂŒr Schritt vor, auch wenn sie dabei groĂe Verluste an Soldaten und Technik erleiden. FĂŒr den Sommer zieht Moskau Truppen fĂŒr weitere Offensiven zusammen. Auch droht eine VerlĂ€ngerung der Front, weil Russland entlang seiner Grenze eine Pufferzone erobern will. Beide Seiten stecken in einem Abnutzungskrieg mit ungewissem Ausgang.
FriedensbemĂŒhungen? Trumps schneller VorstoĂ ist gescheitert
Der Plan von US-PrĂ€sident Trump bei Amtsantritt lief daraus hinaus, mit seinem - wie er es einschĂ€tzt - guten Draht zu Putin ein rasches Kriegsende zu erreichen. Nicht auf ihn machte er Druck, sondern auf die bislang verbĂŒndete Ukraine. Doch trotz mehrerer Spitzentelefonate und Vorbereitungstreffen kam nicht mehr zustande als ein direktes ukrainisch-russisches GesprĂ€ch in Istanbul. Es brachte bis auf einen Gefangenenaustausch kein Ergebnis.
Kiew hat Trumps Vorschlag einer 30-tÀgigen Waffenruhe als Einstieg in Verhandlungen angenommen. Moskau lehnt dies weiter ab und bleibt trotz aller Beteuerungen von Friedenswillen letztlich bei Maximalforderungen: Die Ukraine soll entwaffnet und praktisch wieder unter russische Kontrolle gebracht werden.
Angesichts der schwankenden Haltung Trumps wĂ€chst den europĂ€ischen Staaten gröĂere Bedeutung zu, fĂŒr Sicherheit auf dem eigenen Kontinent zu sorgen. Neben dem Versprechen der anhaltenden militĂ€rischen UnterstĂŒtzung dĂŒrfte bald auch ein weiteres Sanktionspaket folgen. Von StrafmaĂnahmen hat sich Russland bisher aber unbeeindruckt gezeigt.
Auch die zunehmende Unzufriedenheit Trumps hat die russische FĂŒhrung kĂŒhl weggewischt. Als der US-PrĂ€sident am Wochenende nach massiven russischen Bombardements ukrainischer StĂ€dte sagte, Putin sei "verrĂŒckt geworden", wertete der Kreml das als Zeichen "emotionaler Ăberlastung" wegen der laufenden Verhandlungen.