MutmaĂlich ein Wildschwein narrt stundenlang die Polizei, weil es auf einem Videoschnipsel einer Löwin Ă€hnelt.
21.07.2023 - 17:20:40«Es gibt keine Löwin» - Entwarnung am Stadtrand von Berlin. Nach einer Expertenanalyse ist sich die Einsatzleitung sicher. Nun gibt es die nÀchste Debatte.
Nach mehr als 30 Stunden Suche hat sich die vermeintliche Löwin in Berlin und Brandenburg als nicht ganz so gefĂ€hrliches Wildschwein erwiesen. «Nach allem menschlichen Ermessen gehen wir davon aus, dass es keine Löwin ist», sagte der BĂŒrgermeister der brandenburgischen Gemeinde Kleinmachnow, Michael Grubert (SPD).
«Es gibt keine Löwin.» Die Brandenburger Polizei und die Behörden in Berlin bestĂ€tigten diese EinschĂ€tzung. Der BĂŒrgermeister sagte: «Es besteht keine akute GefĂ€hrdungslage.»
Es gebe nicht einen einzigen Hinweis seit Donnerstagmorgen, 5.00 Uhr, der zur Annahme gefĂŒhrt habe, es könne sich bei dem gesuchten Tier tatsĂ€chlich um eine Löwin, ein Raubtier oder eine groĂe Wildkatze handeln, sagte Grubert. Die Warnungen an die Bevölkerung wurden ĂŒber Apps wie Katwarn zurĂŒckgenommen, beide Polizeien beendeten ihre EinsĂ€tze.
Die Suche nach dem vermeintlichen Raubtier nahe der Stadtgrenze Berlins hatte in der Nacht auf Donnerstag begonnen. Ausgelöst wurde sie durch ein Video, auf dem eine Löwin vermutet wurde. Der Videoschnipsel machte am Donnerstag die Runde durch die sozialen Netzwerke. Die Ermittlungsbehörden schÀtzten das Video als echt ein. Polizisten gaben nach Angaben einer Behördensprecherin an, ebenfalls ein Wildtier «gesichert» gesehen zu haben.
GefÀhrdung konnte zu Beginn nicht ausgeschlossen werden
Dem BĂŒrgermeister zufolge basierte die gesamte Suchaktion auf diesen beiden Hinweisen. Die Polizisten, die das Video zuerst gesehen haben, hĂ€tten eine GefĂ€hrdung nicht ausschlieĂen können - daher sei mit der Suche begonnen worden. Erst im weiteren Verlauf sei das Video dann Experten fĂŒr eine EinschĂ€tzung gezeigt worden. FĂŒr Samstag erwartet die Gemeinde Kleinmachnow noch die Analyse von Kot und Haaren, die bei der Suche gefunden wurden. Die Polizei Brandenburg kĂŒndigte an, in der Region auch in den kommenden Tagen verstĂ€rkt prĂ€sent zu sein.
Unklar blieb zunĂ€chst, wie hoch die Kosten fĂŒr den Einsatz ausfallen werden und wer sie tragen muss. An der mehr als 30 Stunden langen Suche beteiligt waren neben Dutzenden Polizisten auch VeterinĂ€rmediziner und der Berliner StadtjĂ€ger. Heute waren Polizisten im Wald mit Maschinenpistolen und Schutzschilden unterwegs. Auch Hubschrauber, Drohnen und zahlreiche WĂ€rmebildkameras wurden eingesetzt.
Der Einsatz sei noch nicht ausgewertet, deshalb könnten derzeit keine Aussagen zu Gesamtkosten gemacht werden, teilte das Brandenburger Innenministerium auf Anfrage mit. Der Vize-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, kritisierte in der «Bild»-Zeitung die Kosten: «Bei diesem Einsatz handelt es sich zweifelsfrei um die teuerste Safari, die es in Deutschlands WÀldern je gegeben hat!» Ein solcher Einsatz koste die Steuerzahler schnell mehrere 100.000 Euro. Die Berliner Polizei machte keine konkreten Angaben zu den Kosten, diese Frage verbiete sich. Die Polizei sei um Amtshilfe gebeten worden und habe entsprechend reagiert.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hĂ€lt den Einsatz fĂŒr nachvollziehbar. Der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke teilte auf Anfrage mit: «Es ist völlig klar, dass die Polizei Hilfe leistet, wenn es zu einer gefĂ€hrlichen Situation aufgrund eines entflohenen Wildtieres kommt.»
Video inzwischen unabhÀngigen Analysen unterzogen
Laut dem BĂŒrgermeister wurde das Video inzwischen von zwei Experten unabhĂ€ngig analysiert. Dabei sei deutlich geworden, dass etwa die HinterlĂ€ufe des Tieres auf dem Video nicht zu einer Löwin passen, auch die Haltung des Tieres beim Fressen oder Trinken sei nicht typisch fĂŒr eine Löwin. Auf der Pressekonferenz zeigte Grubert, sichtlich angespannt und erschöpft nach der Aufregung der vergangenen Stunden, entsprechende Vergleichsbilder. Offen blieb zunĂ€chst, wieso das Video als entscheidender Hinweis nicht schneller ausgewertet und die SuchmaĂnahme entsprechend frĂŒher eingestellt wurde.
Bereits Stunden vor der entscheidenden Pressekonferenz hatten zwei Experten sehr deutlich ihre Zweifel geĂ€uĂert. Der Berliner Wildtierexperte Derk Ehlert sagte dem RBB-Inforadio, dass er auf dem Video lediglich zwei Wildschweine von links nach rechts laufen sehe. «Ich jage zufĂ€llig in der Region selbst und ich weiĂ, dass die JĂ€ger dort sehr gute Hunde haben. Es ist völlig undenkbar, dass die Hunde nichts gefunden haben, wenn dort tatsĂ€chlich ein Wildschwein zerlegt wurde», sagte Achim Gruber, GeschĂ€ftsfĂŒhrender Direktor des Instituts fĂŒr Tierpathologie in Berlin, der dpa. Zu Beginn der Suche war auch von einem gerissenen Tier die Rede gewesen. «Wenn dort eine Löwin ein Wildschwein zerkaut hĂ€tte, dann hĂ€tten die Hunde etwas gefunden», sagte Gruber.
Auch in der Bevölkerung glaubte am Donnerstag und Freitag lĂ€ngst nicht jeder an die Löwen-Theorie, in den sozialen Netzwerken tauschten sich viele Menschen rege ĂŒber das kurze, entscheidende Video aus. Eine Anwohnerin sagte am Freitag einer dpa-Reporterin in der NĂ€he des Suchgebiets, dass sie zwar vorsichtig sei und mit ihrem Dackel zunĂ€chst nicht in den Wald gehe - aber eine Löwin zwischen den BĂ€umen könne sie sich eigentlich nicht vorstellen.
FU-Wissenschaftler Gruber machte derweil deutlich, dass die Suchaktion seiner Ansicht nach ihre Berechtigung hatte: «Die MaĂnahmen sind angesichts des begrĂŒndeten Anfangsverdachts begrĂŒndet und zu rechtfertigen. Man muss den Aufwand treiben. Das ist eine hervorragende Ăbung im Zivilschutz und eine tolle Teamleistung von Polizei, VeterinĂ€rbehörden, JĂ€ger und Drohnenleuten.»