Karten, Brettspiele, Würfel: Wer spielt, steckt in einem Bildungsprozess.
05.10.2023 - 10:42:53Weltgrößte Brettspielemesse am Start: Macht Spielen schlau?. Und lernt auch tiefer, sagen Fachleute zur weltgrößten Brettspielemesse. Die «Spiel'23» schaut auch auf das Potenzial fürs Klassenzimmer.
Das Kleinkind tut es, auch der Jugendliche, der Familienvater, die Oma: würfeln, Karten ziehen, Figuren auf dem Brett hin- und herschieben, Rätsel lösen. Spiele bringen Menschen an einen Tisch, können Freude machen, Sieger und Verlierer produzieren. Und: «Immer wenn wir Spiele spielen, sind wir in einem Bildungsprozess», sagt Forscher Lukas Boch von der Uni Münster.
Bei der heute in Essen gestarteten «Spiel'23», der weltgrößten Publikumsmesse für Brettspiele, schwingt diesmal auch die Frage mit: Macht Spielen schlau? Und weil schwache Kompetenzen bei vielen Schülerinnen und Schülern Sorge bereiten, geht es auch darum, was passende Angebote in Klassenzimmern bewirken können.
Inhalte spielerisch erarbeiten
«Spielen ist Lernen - das wissen wir aus der modernen Hirnforschung», erläutert Annette Zander vom Verein Mehr Zeit für Kinder. «Wer spielt, lernt leichter - auch oder gerade in der Schule.» Klassische Spiele seien reich an Möglichkeiten, um «viele Kompetenzen der Kinder zu erweitern». Profitieren könnten logisches Denken, Sprachkompetenz, Konzentration, aber auch die motorische und soziale Entwicklung. Viele Inhalte - ob Mathe, Deutsch oder Sachkunde - lassen sich spielerisch erarbeiten und vertiefen, ist Zander überzeugt. «Spielen ist keine verlorene, sondern gewonnene Lernzeit.»
Ihr Verein hat mit dem Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) die bundesweite Initiative «Spielen macht Schule» aufgebaut. Lehrerkollegien könnten sich um ein Spielezimmer mit pädagogisch geprüftem Spielzeug bewerben. So bekommen jährlich 200 Schulen etwa Brettspiele oder Konstruktionsbaukästen, die vom ZNL hinsichtlich eines positiven Effekts auf die kindliche Entwicklung bewertet worden seien, schildert Zander. Es gehe auch um einen Ausgleich zum Digitalen, denn: «Das Thema Spielen hat in den letzten Jahren ordentlich Konkurrenz bekommen - durch PC, Spielekonsole und vor allem das Smartphone.» Die Resonanz von inzwischen gut 3200 «spielenden Schulen» sei positiv.
Kreativität ohne Leistungsdruck
Lerntherapeutin Kathrin Fischer setzt bei ihrer Arbeit mit Schülerinnen und Schülern gerne Pen-and-Paper-Rollenspiele (Stift und Papier) ein. Für die «Spiel'23» hat sie das kooperative Erzählspiel «Abenteuer im Märchenwald» herausgebracht, orientiert am Lehrplan des Fachs Deutsch. Die Kinder könnten sich in anderen Rollen ausprobieren, ohne dass sie direkt Leistung abliefern müssten, beschreibt sie. Sie stehen vor einer Rettungsmission mit kniffligen Rätseln, die nur im Team zu bewältigen sind. Die Schüler reflektieren ihre Rolle in der Gruppe, ihr Verantwortungsgefühl werde gestärkt.
Anders als beim Text-Lesen oder Film-Schauen tauchen die Kinder tiefer in die Materie ein, das Lernen sei nachhaltiger, beobachtet Fischer. «Auch Kinder, die sonst nichts schreiben wollen, sind motiviert, übernehmen Schreibaufgaben, weil sie ihre Spielfigur und die Abenteuergeschichte voranbringen möchten.» Schriftliche und sprachliche Fähigkeiten ließen sich «im sicheren Umfeld eines Spielsettings» gut trainieren. Wichtig sei der passende Zuschnitt auf Fach, Alter und die zu vermittelnden Lerninhalte sowie eine didaktische Aufarbeitung, sagt die Therapeutin, die auch Pädagogen schult.
Spiele für die Oberstufe
Lukas Boch glaubt, dass Spielen generationsübergreifendes Lernen ist. «Man muss Regeln lernen, Taktiken ausklügeln, vorausplanen», sagt der Historiker und Spieleforscher. Jedes Spiel sei mit Inhalten gefüllt - das könne auch komplexe Materie sein, etwa Naturwissenschaft. Oder geschichtliche und politische Zusammenhänge, wie bei «Weimar - Der Kampf um die Demokratie». Das neue Spiel - Ziel ist es, zur Zeit der Weimarer Republik eine Machtergreifung der Nazis zu verhindern - könne durchaus in der Oberstufe eingesetzt werden und zu einem tieferen Verständnis führen, meint er.
Grundsätzlich hält er einen schulischen Einsatz von Brettspielen am sinnvollsten in AGs oder in der Ganztagsbetreuung. Für den gesamten Klassenverbund im Unterricht könne das schwieriger sein. Es brauche hier mehr Forschung, fordert Boch.
Skepsis unter Lehrkräften
Unter den Lehrkräften gebe es einige Skepsis, sagt Psychologe Jan-David Freund. «Wenn es zu sehr nach Spaß riecht, gibt es noch viele Vorbehalte.» Er ist sicher: «Spiele sind ein sehr guter Hebel, um Sprachbarrieren zu überwinden und um Kinder zum Schreiben und Lesen zu motivieren.» Spiele könnten als Medium dienen, um Inhalte zu vermitteln, bis hin zu Physik und Mathe. Und: «Geduld und Konzentration sind Kernelemente des Spielens. Man lernt dabei auch, mit Rückschlägen umzugehen.»
Es gehe nicht um permanentes Spielen im Unterricht, sondern um einen gezielten Einsatz. Einen Mehrwert könne das gemeinsame Spielen von der Kita bis zur Oberstufe und auch über das Schulalter hinaus haben, meint der Psychologe. «Was wir mit Freude lernen, lernen wir tiefer, die Ausbeute ist größer.»