Ein Frachter rammt eine Autobahnbrücke in den USA und bringt sie zum Einsturz.
27.03.2024 - 03:00:55Nach Brückeneinsturz in Baltimore: Vermisste vermutlich tot
«Wir werden unsere aktiven Such- und Rettungsbemühungen einstellen»: Mit diesen Worten nahm ein Vertreter der US-Küstenwache am Abend jede Hoffnung, dass nach dem Einsturz einer Autobahnbrücke in Baltimore im Bundesstaat Maryland noch Überlebende zu finden sein könnten. Angesichts der Temperaturen sei nach so vielen Stunden nicht mehr damit zu rechnen, dass noch jemand lebend aus dem kalten Wasser geborgen werde.
In der Nacht zuvor hatte ein riesiges Containerschiff einen der Stützpfeiler der Francis Scott Key Bridge gerammt. Zwar hatte die Schiffsbesatzung vor dem Zusammenprall noch einen Notruf abgesetzt, was womöglich Leben rettete - denn Beamte an Land stoppten den Verkehr und verhinderten so, dass weitere Autos auf die Brücke gelangten. Trotzdem brachen große Teile der Brücke in sich zusammen, da tonnenschwere Stahlträger durch die gewaltige Krafteinwirkung wie dünner Draht verbogen, Menschen und Autos in die Tiefe gerissen wurden.
Was genau ist passiert?
Das unter singapurischer Flagge fahrende, rund 290 Meter lange Containerschiff «Dali» war nach Angaben von Marylands Gouverneur Wes Moore «mit acht Knoten, also mit rasanter Geschwindigkeit» auf die Brücke zugesteuert - das sind etwa 15 Kilometer pro Stunde. Die Kollision ließ die vierspurige, mehr als 2,5 Kilometer lange Brücke einstürzen. Als Teil der überregionalen Verkehrsader Interstate 695 überspannte sie den Hafen der Ostküsten-Metropole Baltimore.
Nach Angaben des Verkehrsministers von Maryland, Paul Wiedefeld, befanden sich zum Zeitpunkt des Unglücks acht Bauarbeiter auf der Brücke, die dort Schlaglöcher reparierten. Zwei Menschen konnten gerettet werden. Eine Person wurde laut US-Medien zunächst in ein Krankenhaus eingeliefert und kurze Zeit später wieder entlassen. Die verbliebenen sechs Menschen galten über viele Stunden hinweg als vermisst.
Wie verlief die Suche nach den Vermissten?
Gegen 1.40 Uhr (Ortszeit) am Dienstag waren offiziellen Angaben zufolge erste Notrufe eingegangen. Wenige Minuten später kamen die ersten Einsatzkräfte am Unglücksort an. Über den ganzen Dienstag hinweg suchten Polizisten und Rettungskräfte im Wasser, aus der Luft und an Land nach den sechs Vermissten. Dabei kam neben Dutzenden Tauchern auch Infrarot- und Sonartechnik zum Einsatz. Zunächst wurden auf diese Weise fünf Fahrzeuge im Wasser identifiziert, darunter drei Autos und ein Betonmischer. Menschen wurden aber nicht gefunden.
Die Vermissten lebend zu finden, wurde mit voranschreitender Zeit immer unwahrscheinlicher. US-Medien berichteten unter Berufung auf einen örtlichen Behördenmitarbeiter, dass das Wasser an der Stelle rund 15 Meter tief sei und es starke Strömungen gebe. Die Wassertemperatur lag demnach bei etwas unter zehn Grad.
Am Dienstagabend teilte dann der Vertreter der Küstenwache mit, dass die aktive Suche nach Überlebenden eingestellt werde. Die Strömung und Trümmerteile im Wasser seien gefährlich für die Rettungskräfte. Man wolle deren Gesundheit nicht aus Spiel setzen. Ein Vertreter der Polizei erklärte, über Nacht würden weiterhin Schiffe unterwegs seien. Am frühen Morgen würden dann erneut Taucher ins Wasser geschickt. Es gehe dabei jedoch nur noch um die mögliche Bergung von Leichen.
Wie kam es zu der Kollision?
Hinweise auf eine vorsätzliche Tat oder gar einen Terroranschlag gibt es Behörden zufolge nicht. US-Präsident Joe Biden sprach von einem «schrecklichen Unfall». Ersten Erkenntnissen zufolge könnte ein Problem mit der Stromversorgung die Ursache gewesen sein. Nach Angaben aus Singapur kam es wohl zu einem «vorübergehenden Antriebsverlust», weshalb das Schiff seinen Kurs nicht halten konnte.
Die Vorsitzende der Behörde für Transportsicherheit NTSB, Jennifer Homendy, äußerte sich zunächst nicht zu den möglichen Ursachen. «Die NTSB spekuliert nicht, wir liefern Fakten», sagte sie. Bei den Untersuchungen würden sich zwei Dutzend Ermittler sowohl die Bauweise der Brücke als auch das Schiff und dessen Historie genau anschauen. Von besonderer Bedeutung sei dabei der sogenannte Schiffsdatenschreiber.
Die 22-köpfige Besatzung ist laut Singapurs See- und Hafenbehörde in Sicherheit. Das dänische Reedereiunternehmen Maersk bestätigte, es habe das Schiff von der Chartergesellschaft Synergy Group gemietet und darauf Fracht von Kunden transportiert.
Sind Auswirkungen auf Umwelt und Wirtschaft zu befürchten?
Wie US-Medien unter Berufung auf die Küstenwache berichteten, wurden Vorkehrungen getroffen, um Umweltschäden so gering wie möglich zu halten. Demnach war auf dem Wasser ein Ölschimmer zu sehen. Verkehrsminister Pete Buttigieg teilte zudem mit, man stelle sich auf Lieferkettenprobleme ein. Diese beträfen nicht nur die Region um Baltimore, «sondern die gesamte US-Wirtschaft». Die zuständige Behörde setzte den Schiffsverkehr in den Hafen bis auf Weiteres aus, größere Frachter wurden in einen Hafen des benachbarten Bundesstaats Virginia umgeleitet.
Wie US-Präsident Biden erklärte, handelt es sich beim Hafen von Baltimore um eine der wichtigsten maritimen Anlaufstellen der USA - insbesondere für den Import und Export von Autos und Kleinlastern. Demnach werden rund 850.000 Fahrzeuge pro Jahr darüber verschifft. Rund 15.000 Arbeitsplätze hängen davon ab. Biden will den Wiederaufbau der Brücke mit Geld vom Bund finanzieren.
Auf die Frage, ob Amerikanerinnen und Amerikaner sich um die Stabilität der Brücken des Landes sorgen müssten, entgegnete Buttigieg: «Ich kenne keine Brücke, die dem direkten Aufprall eines Schiffes dieser Größe standhält.» Man müsse jedoch aus dem Unglück die richtigen Schlüsse ziehen und daraus lernen.
Wäre ein Unglück wie in Baltimore auch in Deutschland möglich?
Ausgeschlossen sei so etwas nie, sagen Experten. Doch es gebe Vorkehrungen, die einen solchen Unfall in Deutschland unwahrscheinlich machten. Brückenbau-Experte Josef Hegger vom Lehrstuhl und Institut für Massivbau der RWTH Aachen erklärte, die Bundesanstalt für Wasserbau lege etwa Regeln fest, welcher Anpralllast Pfeiler Stand halten müssen - je nach Schifffahrtsweg und Größe der dort verkehrenden Schiffe.
Zusätzlich gebe es auf den Wasserwegen Einrichtungen ähnlich einer Leitplanke, die einen Aufprall verhindern sollen. Das Wichtigste aber: Meist seien Brücken in Deutschland so konstruiert, dass Schiffe mit den Pfeilern nicht oder nur schwer kollidieren könnten.