Biodiversität, Berlin

Berlin - Damit ein Ökosystem funktioniert, müssen viele Arten und letztlich auch Faktoren miteinander funktionieren.

07.10.2024 - 10:00:00

Der Zustand der Biodiversität. Jeder hat seine Aufgabe, jeder sorgt in gewisser Weise dafür, dass Leben eine lebenswerte Zukunft hat. Ich denke, da sind wir uns doch einig? Am Ende des Tages ist der Mensch auch nur eine Art und überlebt und lebt gut, weil er von vielen anderen Unterstützung erfährt. Das vergisst der Mensch jedoch zuweilen.

Wie viele Arten insgesamt bilden das Ökosystem auf unserem Planeten? Nun, in der Tat gibt es da vielerlei Annahmen. Die Frage ist zunächst, ob Viren als Arten zu sehen sind und ob die Theorie, dass jeder Mensch mindestens ein spezifisches Virus bildet, Gültigkeit hat. Blenden wir Letzteres einmal aus und schauen wir, wo der wissenschaftlich am meisten anerkannte Konsens ist, dann landen wir bei rund 9 Millionen Arten weltweit. Wissenschaftlich etwas plausibler begründet ist die traurige Annahme, dass wir aktuell täglich rund 150 Arten verlieren. Evolution geht weiter. Neue Arten entstehen. Je weniger komplex diese sind, um so schneller. Noch heute wird im Schnitt alle drei Jahre eine hochkomplexe Art neu entdeckt.

Insgesamt haben wir in den zurückliegenden Jahrzehnten eine Millionen Arten verloren. Eine Millionen Arten stehen derzeit kurz vor der Ausrottung.

Leider besteht in der Wissenschaft Einigkeit, dass wir uns in der Phase des größten Artenschwundes in der Geschichte des Planeten Erde befinden. Eigentlich muss man auch nicht Wissenschaftler sein, sondern lediglich mit offenen Augen durch die Welt gehen, um diesen tragischen Umstand nachvollziehen zu können.

Ursprünglich waren 15,7 % der Landoberfläche unserer Erde sogenannte "Biodiversity Hotspots". "Biodiversity Hotspots" sind Gebiete, die einer sehr großen Artenvielfalt Überleben und Leben sichern. Naturgemäß liegen viele dieser Hotspots um den Äquator. Insgesamt gibt es 34 Hotspot-Gebiete. Diese beherbergen 50 % aller Pflanzenarten, 55 % aller Süßwasserfischarten und 77 % aller Landwirbeltiere. Noch beeindruckender bzw. drastischer ist allerdings der Umstand, dass 42 % aller Landwirbeltiere und 50 % der Flora in diesen Arealen endemisch sind, sprich nur dort vorkommen. Der eigentlich tragische Umstand kommt jetzt: Der Mensch hat es geschafft, 86 % des Habitats aller "Biodiversity Hotspots" zu zerstören. Heute zählt nur noch 2,3 % der weltweiten Landoberfläche zu den "Biodiversity Hotspots".

Um die tatsächliche Lage der Biodiversität zu beurteilen, reicht es sicher nicht, nur die "Biodiversity Hotspots" in Betracht zu ziehen. Ökosysteme sind komplexer und letztlich ergänzen sich Gebiete mit verschiedenen Lebensgrundlagen. So wissen wir heute, dass "Biodiversity Hotspots" als Inseln oft nicht effektiv funktionieren, wenn keine Verbindungskorridore oder nicht entsprechende Migrationskorridore existieren.

Wir haben in Afrika zweifelsohne riesige national geschützte Gebiete (Nationalparks und Naturreservate). Warum haben diese (also effektiv geschützten Gebiete!) aber in den letzten 50 Jahren rund 50 % der großen Säugetiere verloren? Nun, die plausibelste Begründung ist, dass aufgrund eingeschränkter Wandertätigkeiten der Gen-Pool der entsprechenden Arten immer kleiner wurde, und damit Resistenzen gegen Umweltveränderungen wie den Klimawandel oder verminderte Qualität der Habitate signifikant nachließen. Dazu kommen Faktoren wie Wilderei, invasive Arten und vor allem "Mensch-Tier-Konflikte". Noch heftiger sieht es bei Löwen und Geparden aus. Ihr Bestand ging um 95 % in 50 Jahren zurück, und zwar auch in den Schutzgebieten.

Bisher haben wir das Thema "Verlust von Arten" immer eher als ein Luxusproblem gesehen.

Oft wurde ich gefragt: "Ist es denn wichtig, ob der Gepard in der Freiheit überlebt?" Ich habe dann zunächst darauf verwiesen, dass es doch schade wäre, wenn dieses schöne Tier nicht mehr in der Natur existieren würde. Außerdem merkte ich einige wissenschaftlich fundierte Stellungnahmen an, dass jede verlorene Art, wie ein Dominoeffekt weitere Arten mindestens gefährdet, in Einzelfällen sogar deren Verschwinden wegen direkter Abhängigkeit zur Folge hat.

Seit Corona, und zwar egal, ob man es als gefährliche oder wenig gefährliche Pandemie empfand, sollte uns allen wenigstens klar sein, dass jede verloren Art den Mutationsdruck erhöht und damit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sich auch gefährlich für uns Menschen entwickeln kann, sprich zu einem Krankheitserreger wird. Kürzlich hat eine wissenschaftlich medizinische Abhandlung auch darauf verwiesen, dass die Artenarmut im menschlichen Körper bedrohlich zunimmt. Geht man davon aus, dass auch Krebs in gewisser Weise immunologische Ursachen haben kann, könnte dies ein Hinweis sein, dass die schwindende Artenvielfalt auch direkte Auswirkungen auf unsere Lebensqualität und - bei weiterer negativer Entwicklung - sogar auf unser Überleben als Art haben kann.

Der Autor Sebo verwies in eine seiner jüngsten Publikationen darauf, dass man nahezu 10.000 Viren beobachtet, die im Falle einer ungünstigen Mutation gefährlich für den Menschen werden könnten. Diese Gefahr nimmt mit zunehmendem Artenschwund zu.

Verlust von Biodiversität und Klimawandel

Etwas weiter sind wir, wenn es darum geht einen Zusammenhang zwischen Biodiversitätsabnahme und Klimawandel herzustellen.

Bleiben wir beim Beispiel "Säugetiere", da wir Menschen so oder so betrachtet zu ihnen gehören. Der Mensch hat es geschafft, seit 1970 rund 60 % der bekannten wildlebenden Säugetierarten auszurotten. Noch dramatischer kommt das zum Ausdruck, wenn man das einmal in Bezug auf die Biomasse betrachtet. Heute verteilt sich die Biomasse der Säugetiere folgendermaßen: 34 % Mensch, 62 % Nutztiere und nur noch 4 % wildlebende Säugetiere! Das Problem sind die 62 % Nutztiere, denn diese "verfurzen" uns im wahrsten Sinne des Wortes das Klima. Nutztiere produzieren nämlich bei der Verdauung Methangas und dieses ist extrem klimaschädlich und steht dem CO2 in nichts nach.

Noch schlimmer: Die meisten Nutztiere stehen in den Schwellen- und Entwicklungsländern im Freien und grasen dort. Im Gegensatz zu Wildtieren reißen zum Beispiel Rinder das Gras. Wildtiere schneiden das Gras. Die Folge der Fresstechniken der Nutztiere sind gewaltig. Generell und ganz besonders in der Kalahari im südlichen Afrika gibt es dadurch enorme Erosionsschäden. Bodendeckerpflanzen können Winderosion und gegebenenfalls Wassererosion kaum mehr verhindern. Gleichzeitig ergeben sich dadurch hydrologische Probleme enormen Ausmaßes. Weltweit fallen Grundwasserspiegel, da wo sie sinken (das auf über 70 % der Landflächen) im Schnitt um 20 cm pro Jahr. In der Kalahari sinken sie oft mehrere Meter. Gerade in diesem Jahr, in dem es in der Kalahari eine enorme Dürre gibt, ist das fatal. Einige künstliche Wasserlöcher in den Schutzgebieten können nur noch weiter betrieben werden, wenn man mit enormen Aufwand die Bohrungen in größere Tiefen erweitert. Ich selbst wurde Zeuge, wie einige Wasserpumpen nur noch Schlamm zu Tage brachten und Löcher einfach austrockneten.

Insgesamt ist die Kalahari schon per se ein karger Lebensraum und heißt nicht umsonst "Ort des ewigen Durstes". Erschwerend kommt hinzu, dass in solchen ohnehin schon fragilen Gebieten sich der Klimawandel noch mehr bemerkbar macht. So ist die Kalahari fünfmal mehr vom Klimawandel betroffen als der globale Durchschnitt. Dies wiederum sorgt für "Turboeffekte", denn höheres Durchschnittsklima heisst auch höhere Verdunstungsfaktoren und damit noch mehr Trockenheit. Erdmännchen mussten beispielsweise ihre Lebensweise umstellen, weil sie zur heißesten Zeit des Tages im Sommer keine Nahrung mehr sammeln können, da sie sich im glühenden Sand die Pfoten verbrennen würden. Sie suchen stattdessen dann häufig noch in der Dämmerung, da sie einen enorm hohen Stoffwechsel haben. In der Dämmerung funktionieren aber ihre sonst nahezu perfekten Frühwarnsysteme vor potentiellen Feinden nicht mehr so gut. Das ist aber nur der eine Nachteil. Denn die Darmflora der Erdmännchen leidet unter der durchschnittlich fast fünf Grad höheren Temperatur so sehr, dass ihre Immunität signifikant zurückging und die Lebenserwartung insgesamt um zwei Jahre sank.

Sind "Biodiversity Credits" eine Chance?

Ja, meine ich. Doch möchte ich in diesem Artikel noch nicht zu ausführlich auf die "Biodiversity Credits" eingehen. Ich hoffe, dass ich da zur nächsten Ausgabe ein wesentliches Stück weiter in der Erkenntnislage bin.

Die Grundidee der "Biodiversity Credits" ist, Natur und Biodiversität zu einer skalier- und handelbaren Größe zu machen. Wir alle sind uns einig, dass dringender Handlungsbedarf besteht, um das Überleben auf dem Planeten zu sichern. Zu den großen Unterstützern dieser Erkenntnis gesellte sich mittlerweile sogar das Weltwirtschaftsforum. Vor einigen Jahren wurde dort der New Nature Economy Report (NNER) eingeführt. Laut diesem wäre rund 50 % des globalen Bruttosozialproduktes, also in Zahlen 44 Billionen USD, bedroht, wenn die Biodiversitätskrise sich so weiter entwickelt und klar definierte Kipppunkte überschreiten würde. Dabei liefert uns die Natur und Biodiversität rund das eineinhalbfachen Wert des gesamten globalen Bruttosozialproduktes frei Haus, und zwar in Form von zum Beispiel Nahrung, Rohstoffen, Bestäubung von Pflanzen, sauberes Wasser, Grundstoffe für Heilmittel und Klimaschutz.

Erschwerend kommt unter anderem hinzu, dass wir auf der rein menschlichen Seite große ungeklärte Herausforderungen haben, die nicht unbedingt dafür sprechen, dass wir unserer Umwelt mehr Schutz und Rechte einräumen wollen. Um beispielsweise das Ziel umzusetzen, weltweit den Hunger (also ich spreche hier nur vom Hunger der Menschen) in den Griff zu bekommen, müsste die Agrarproduktion um bis zu 94 % zunehmen. Das könnte allenfalls mit neuen und effektiveren Produktionsmethoden funktionieren, denn im gleichen Atemzug wird die Notwendigkeit zum Ausdruck gebracht, dass riesige Agrarflächen dringend der Natur zurückgegeben werden müssen, um die Biodiversitätskrise zumindest einzudämmen. Ob dann allerdings diese neuen Produktionsmethoden mit dem Schutz von Natur und Artenvielfalt einhergehen, sei einmal dahingestellt. Allein dieses Beispiel zeigt eben, dass es in sich noch viele Widersprüche gibt, die es zu bedenken und eventuell auszuräumen gilt.

Ich meine auf jeden Fall, dass Natur und Biodiversität in unserem derzeitigen globalen Wirtschaftssystem noch nicht ordentlich bewertet werden. Im Sinn der alten Ökonomie hat Natur und Biodiversität stets das Nachsehen, wenn sie mit Rohstoffvorkommen oder Entwicklung von Gewerbe zu konkurrieren hat. Dies kann so nicht weiter gehen. Wir brauchen eine globale Ökonomie, die Natur und Biodiversität als skalier- und handelbare Größe in einer vernünftigen und nachvollziehbaren Beziehung zu Wachstum und Wirtschaft bringt. Das geht und muss gehen, denn eines nahen Tages würde uns der Planet ohnehin dazu zwingen. Meines Erachtens wäre es gut machbar, Natur und Biodiversität in ein internationales Geldsystem als Hinterlegungswert einzupflegen. Klingt visionär, ich weiß. Aber wenn man schon damit beginnt, dass man den potentiellen Schaden des Verlustes weiterer Biodiversität, so wie ihn das Weltwirtschaftsforum im NNER benennt, in ein Berechnungsmodell für den Wert von Natur und Biodiversität einarbeitet, dann geht das in die richtige Richtung. In einer Welt in der man "Futures" auf Schweinebäuche handelt, sollte es auch möglich sein, dass man "Futures" auf Natur und Biodiversität handelt und damit wahre "Future", sprich Zukunft, schafft.

Wir leben in einer Welt, die darauf zählt, fortlaufend Wachstum zu haben. So lange das nach den Kriterien der alten globalen Ökonomie erfolgt, erreichen wir keinen "Turn around". Wenn aber Natur und die Zunahme von Biodiversität selbst zu einem bewertbaren und verbriefbaren Wirtschaftsgut werden, dann haben wir die Chance auf eine "neue wachstumsorientierte Ökonomie" und als kleinen Nebeneffekt ein bisschen mehr Glück für Mensch und Tier.

(Quelle: Magazin G von Matto Barfuss ( https://epaper.pambara.com/Mag2024 ))

(Ende)

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