Unter hessischem Vorsitz kommt ab heute in Frankfurt die Ministerpräsidentenkonferenz zusammen.
12.10.2023 - 11:28:37Asylpolitik: Länder beraten - Scholz sucht Schulterschluss. Im Fokus steht die Asylpolitik. Kanzler Scholz will mit den Ländern und der Union an einem Strang ziehen.
Vor Beratungen mit dem Bund über die Asylpolitik treffen sich Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten heute und Freitag in Frankfurt am Main.
Unter dem Vorsitz des hessischen Regierungschefs Boris Rhein (CDU) wollen die Länder vor allem die für 6. November geplante Runde mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorbereiten, bei der es unter anderem um dauerhaft höhere Bundesmittel für die Flüchtlingskosten gehen soll. Scholz will sich schon am Freitagabend mit Rhein, Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil als SPD-Vertreter der Länder sowie Unionsfraktions- und CDU-Chef Friedrich Merz treffen.
Offene Fragen bei der Asylpolitik
Einig sind sich die Länder in der Asylpolitik mit ihren finanziellen Forderungen an den Bund und dabei, dass die Bundesregierung die auf europäischer Ebene geplante Reform des Asylsystems vorantreiben soll, damit weniger Schutzsuchende nach Deutschland kommen. Andere Vorschläge, die auf dem Tisch liegen - etwa zu einer Arbeitspflicht für Asylbewerber - sind im Kreis der Ministerpräsidenten dagegen umstritten.
Weit oben auf der Tagesordnung steht eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten, die in Ländern und Kommunen für die Versorgung von Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen anfallen. Mitte Mai hatte der Bund den Ländern eine Milliarde Euro als zusätzliche Beteiligung für dieses Jahr zugesagt. Damit sollen sie dabei unterstützt werden, ihre Kommunen zu entlasten und die Digitalisierung der Ausländerbehörden zu finanzieren.
Eine Kernforderung der Länder ist, dass es keine fixe Summe mehr geben soll, sondern dass sich der Beitrag des Bundes an der jeweils aktuellen Zahl von Geflüchteten orientiert. Fachleute sprechen hier von einem «atmenden System». Auch Scholz hat den Begriff «atmender Deckel» bereits benutzt.
Nach Aussage von Weil besteht über die Systemfrage inzwischen Einigkeit mit dem Bund, über die Höhe der Kopfpauschale müsse noch verhandelt werden. Weil sagte der «Rheinischen Post»: «Der Bund möchte bislang nicht mehr als 5000 Euro pro Geflüchtetem zahlen, wir gehen gemeinsam mit den Kommunen davon aus, dass die Pauschale bei 10.000 Euro liegen muss.» Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte, bis vor zwei Jahren habe sich der Bund auskömmlich an den Flüchtlingskosten beteiligt und dieses System dann einseitig aufgekündigt. «Wir fordern, dass es jetzt wieder umgesetzt wird», sagte der Kieler Regierungschef.
Bezahlkarte soll Geldtransfers in Heimatländer unterbinden
Der Vorschlag, Bezahlkarten statt Geld auszugeben, soll auf potenzielle Asylbewerber abschreckend wirken, die von dem knappen Budget, das ihnen zur Verfügung steht, Geld in die Heimat schicken wollen. Außerdem soll der Missbrauch des Asylsystems durch Nicht-EU-Bürger aus Osteuropa dadurch bekämpft werden.
Diese Idee, die früher einmal in einzelnen Kreisen praktiziert worden war, gewinnt aktuell mehr Unterstützer, obgleich das System für die Kommunen zunächst einmal mehr bürokratischen Aufwand bedeutet. Statt Geld vor allem Sachleistungen auszuhändigen, finden viele Verantwortliche in den Ländern dagegen zu umständlich. Generell gilt, dass die Entscheidung über Bezahlkarten oder Sachleistungen nicht vom Bund getroffen wird, sondern vor Ort.
Der Deutsche Landkreistag ist generell dafür. Sein Präsident Reinhard Sager meint: «Zwar erfordert dies einen höheren Verwaltungsaufwand, aber wir sollten die hohe Attraktivität unserer Sozialleistungen im europäischen Vergleich realistisch einschätzen.» Die Bundesländer sollten die kommunale Ebene auf diesem Weg unterstützen.
Asylbewerber werden womöglich zu Gemeindearbeit herangezogen
Denkbar wäre, dass die Länder den Bund auffordern, das Sozialgesetzbuch zu ändern, so dass Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge zu gemeinwohlorientierter Arbeit herangezogen werden könnten. Ein Gesetz, das eine allgemeine Verpflichtung zu einer Tätigkeit vorsieht, wird aber wohl nicht angestrebt. Die Grünen werben dafür, alle Arbeitsverbote für Geflüchtete aufzuheben, und zwar auch für solche, die aus Ländern stammen, die als sichere Herkunftsstaaten gelten.
Vorstellungen des Bundes werden konkreter
Einen Tag vor der Ministerpräsidentenkonferenz konkretisierte auch der Bund seine Vorstellungen zur Asylpolitik. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) kündigte erleichterte Arbeitsmöglichkeiten für Geflüchtete an. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte einen Gesetzentwurf vor, der Rückführungen von Migranten erleichtern soll. Kanzler Scholz rief zur Zusammenarbeit auf. Das sei «ein Thema, wo der Staat zeigen muss, dass er auch Dinge unter Kontrolle hat», sagte der SPD-Politiker am Mittwochabend bei einer Wirtschaftskonferenz seiner Fraktion im Bundestag.
«Wichtig ist, dass wir in dieser Frage zusammenarbeiten», sagte Scholz. Das entspreche auch dem, was die Bürger wollten, nämlich keinen kleinlichen Streit, wo sich jeder profilieren wolle, sondern praktische Lösungen, die tatsächlich etwas änderten, ergänzte der Kanzler in den ARD-«Tagesthemen». Sein Stellvertreter Robert Habeck (Grüne) sagte in der ARD-Sendung «Maischberger»: «In dieser Phase müssen alle miteinander reden.»
Ärger um EU-Migrationspakt
Nach Spannungen im Zuge des umstrittenen Migrationsdeals hat Tunesien 60 Millionen Euro Haushaltshilfe an die EU zurückgezahlt. Das teilte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel mit. Das nordafrikanische Land hatte zuvor bereits angekündigt, die Mittel abzulehnen.
Tunesien «nimmt nichts an, was Gnaden oder Almosen ähnelt», hatte Präsident Kais Saied vergangene Woche gesagt. Die Ankündigungen der EU stünden im Widerspruch zu einer zuvor unterzeichneten Grundsatzvereinbarung. Worin Tunis genau einen Widerspruch sieht, wurde zunächst nicht genannt. Man werde trotz der Rückzahlung weiter an dem Abkommen arbeiten, sagte die Sprecherin der EU-Kommission.
Allerdings mehren sich Zweifel, ob das umstrittene Abkommen zur Migration zwischen Brüssel und Tunis Bestand haben wird. Im Rahmen einer entsprechenden Absichtserklärung vom Juli sollte Tunesien Finanzhilfen von bis zu 900 Millionen Euro erhalten und im Gegenzug stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen.
Die EU will damit erreichen, dass weniger Schleuserboote über Tunesien nach Italien kommen. Tunesien ist eines der Haupttransitländer für Flüchtlinge aus Afrika mit Ziel Europa. Die EU-Kommission hatte damals viel Kritik geerntet, weil der tunesischen Regierung Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.