Prognose, Heftige

In Deutschland werden viel weniger Wohnungen gebaut als gebraucht würden.

29.07.2024 - 14:24:26

Prognose: Heftige Talfahrt im Wohnungsbau. Vor allem hohe Baukosten bremsen den Markt. Experten warnen: Die Talsohle ist noch lange nicht erreicht.

In Deutschland könnten in den nächsten Jahren noch deutlich weniger Wohnungen gebaut werden als zuletzt. Das Münchner Ifo-Institut erwartet, dass sich die Talfahrt in der Branche weiter fortsetzt. Für das Jahr 2026 sagen die Experten nur noch 175.000 neu gebaute Wohnungen voraus. Das wären über 40 Prozent weniger als die knapp 300.000 Wohnungen des Jahres 2022. 

«Die Prognose ist mit Unsicherheiten behaftet, aber es ist ziemlich klar, dass wir spätestens 2026 unter die 200.000er-Marke rutschen werden», erwartet Ifo-Baufachmann Ludwig Dorffmeister. Das von der Berliner Koalition beim Amtsantritt 2021 ausgegebene Ziel sind 400.000 neue Wohnungen pro Jahr. Dieses Ziel rückt offenkundig in immer weitere Ferne. Eine grundlegende Besserung in den kommenden zwei Jahren erwartet der Ifo-Fachmann ebenso wenig wie die Bau- und Wohnungswirtschaft. «Insgesamt habe ich wenig Hoffnung auf die große Trendwende.»

Bauen wird voraussichtlich noch teurer

«Wie in den anderen europäischen Ländern spürt der Wohnungsneubau gegenwärtig die negativen Folgen der hohen Inflation und des Zinssprungs», sagte Dorffmeister. «In Deutschland sind darüber hinaus aber die Baukosten völlig aus dem Ruder gelaufen und verhindern eine Erholung des Marktes. Längerfristig dürfen die Zinsen eigentlich nicht als Ausrede für die schwache Bautätigkeit dienen, da sie sich jetzt wieder auf einem normalen Niveau befinden.» 

In den nächsten Jahren dürfte das Bauen nach Dorffmeisters Einschätzung noch einmal teurer werden: «Der Baukostenindex des Statistischen Bundesamts zeigt, dass die vormals stark gestiegenen Materialkosten nicht sinken, sondern sich eher stabilisieren, während die Arbeitskosten in großen Schritten nachziehen.» Der Tarifabschluss für das Bauhauptgewerbe werde in den kommenden Jahren weitere Kostenzuwächse zur Folge haben.

Bundesregierung will gegensteuern

Die Ampel-Regierung hat sich vorgenommen, Bauen auch bei hohen Materialkosten bezahlbar zu machen. Die Idee: Es soll einfacher gebaut werden. Also weniger Steckdosen im Wohnzimmer, keine Balkone, dünnere Decken. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat jüngst einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem Regeln entschlackt werden. Damit soll es einfacher werden, im Neubau auf Komfort-Standards zu verzichten, die für die Sicherheit des Gebäudes nicht relevant sind. 

Bisher hatten Architektinnen und Architekten rechtliche Unsicherheiten beklagt, wenn sie innovative Bauweisen und Baustoffe verwenden wollen. Im Justizministerium geht man davon aus, dass sich durch das einfachere Bauen bis zu 10 Prozent der Herstellungskosten einsparen lassen. 

Bauanträge brechen ein

Ein maßgeblicher Faktor für die Prognose der Neubauzahlen ist der Einbruch der Bauanträge und Wohnungsbaugenehmigungen. So wurden im Mai nach Zahlen des Statistischen Bundesamts lediglich 17.800 Bauanträge genehmigt, fast 44 Prozent weniger als im Mai 2022. Die Baukosten sind mittlerweile so hoch, dass viele Wohnungsgenossenschaften und kommunale Unternehmen neue Projekte auf Eis gelegt haben. Der Hauptgrund: Damit sich die Gebäude innerhalb der üblichen Zeitspanne von 25 bis 30 Jahren amortisieren, müssten die Unternehmen auch jenseits der Ballungsräume sehr teure Mieten verlangen, die in kleineren Städten mutmaßlich kaum jemand zahlen wollte. 

Lösung Umzug aufs Land?

Bauministerin Klara Geywitz (SPD) sieht im ländlichen Raum trotzdem eine Lösung der Wohnungskrise. Umzüge aus der Großstadt ins Umland und in kleinere Städte könnten helfen, sagte sie der «Neuen Osnabrücker Zeitung» - denn insgesamt stünden in Deutschland knapp zwei Millionen Wohnungen leer. Nur eben nicht in den Großstädten und Metropolregionen, wo viele Menschen wohnen wollten. Dabei gebe es in kleinen und mittelgroßen Städten auch Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und Ärzte. 

Geywitz will Ende des Jahres eine Strategie gegen den Leerstand vorlegen, in der es auch um neue Möglichkeiten durch Homeoffice und Digitalisierung gehen soll. In der Ampel-Koalition sieht man die Ideen aber schon jetzt kritisch. «Die Empfehlung von Frau Geywitz, die Menschen sollten einfach aus Großstädten wegziehen, grenzt an Hohn», sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der Funke-Mediengruppe. Viele müssten wegen ihres Jobs, der Ausbildung oder der Familie in der Stadt leben. Um das Problem an der Wurzel zu packen, müssten bürokratische Hürden radikal abgebaut werden. 

«Trauerspiel» im Wohnungsbau

Der Wohnungswirtschaftsverband GdW beklagte jüngst ein «Trauerspiel ohne Ende» im Wohnungsbau. «Von politischer Seite passiert viel zu wenig, um dem entgegenzuwirken», sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko. Der Verband vertritt im Wesentlichen die Interessen von Wohnungsgenossenschaften und städtischen Unternehmen, die ihre Wohnungen meist günstiger vermieten als private Gesellschaften. Laut einer kürzlichen GdW-Umfrage unter diesen Mitgliedsunternehmen wollen oder können in diesem Jahr zwei Drittel keine neuen Wohnungen bauen.

Auch der DGB forderte mehr staatliche Investitionen in bezahlbaren Wohnraum. Der Markt allein regele das Problem offenkundig nicht. 

Für Mieter unerfreulich

Die voraussichtliche Entwicklung der Mieten ist nicht Bestandteil der Ifo-Prognose, doch lassen die Zahlen nichts Erfreuliches für Wohnungssuchende erwarten. In großen Städten wie München ist schon seit längerem das eigenartige Phänomen zu beobachten, dass die Kaufpreise für Immobilien sinken, die Mieten aber wegen des Wohnungsmangels weiter steigen.

Auch das arbeitgebernahe Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln sieht einen viel höheren Bedarf an Wohnungen, als absehbar gebaut werden. Bis 2025 schätzt das Institut den jährlichen Neubaubedarf auf 372.000 Wohnungen, für die Folgejahre bis 2030 auf 302.000 pro Jahr. Wer als Mieter in den nächsten Jahren in städtischen Regionen umziehen will oder muss, darf sich auf eine anstrengende Suche und hohe Kosten gefasst machen.

@ dpa.de