GESAMT-ROUNDUP, Putin

Fast zwei Jahre nach seinem Angriffsbefehl auf die Ukraine hat sich der russische Präsident Wladimir Putin erstmals in einem US-Medieninterview geäußert und länger als zwei Stunden seine Sicht auf die Weltlage dargestellt.

09.02.2024 - 17:07:39

GESAMT-ROUNDUP: Putin gibt sich verhandlungsbereit - Kritik an US-Interview

Geführt wurde das groß angekündigte Gespräch von dem rechtsgerichteten Moderator Tucker Carlson . Der Kreml zeigte sich nach der Ausstrahlung am Freitag zufrieden mit der Reichweite.

Putin sprach von einer angeblichen russischen Bereitschaft, mit dem Westen zu verhandeln, wenn dieser einsehe, dass er trotz seiner Unterstützung für die Ukraine den Krieg nicht gewinnen könne. Viel zitiert wurden Putins Worte, dass Russland keine territorialen Ansprüche gegen Polen oder den Baltenstaat Lettland hege. Ein russischer Einmarsch in diese Nato-Staaten sei "absolut ausgeschlossen" - mit einer möglichen Ausnahme: "Wenn Polen Russland angreift". Der polnische Parlamentspräsident Szymon Holownia mahnte in Warschau, solchen beschwichtigenden Äußerungen Putins keinen Glauben zu schenken.

In der Ukraine vollzog sich unterdessen der von Präsident Wolodymyr Selenskyj angeordnete Wechsel in der Militärführung. Der am Donnerstag ernannte Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj bezeichnete es als eine vordringliche Aufgabe, die Armee mit unbemannten Waffensystemen und Mitteln elektronischer Kriegsführung auszurüsten. Dem bisherigen höchsten Militär Walerij Saluschnyj wurde zum Abschied der Ehrentitel Held der Ukraine verliehen.

Putin spricht aus Position der Stärke

In seinem Angriffskrieg sieht sich Putin auf der Siegerstraße, weil der Ukraine wegen zu geringer westlicher Militärhilfe die Möglichkeit für Offensiven fehlt. Aus dieser Position gab sich der Kremlchef verhandlungsbereit. Die Zeit für Gespräche sei gekommen, weil der Westen erkennen müsse, dass der Konflikt für ihn militärisch nicht zu gewinnen sei. "Früher oder später wird das in einer Einigung enden", sagte Putin. "Wenn diese Erkenntnis eingesetzt hat, müssen sie (der Westen) darüber nachdenken, was als Nächstes zu tun ist." Dies ist allerdings eine bekannte Moskauer Position: Russland will nicht mit der Ukraine, sondern mit dem Westen, vor allem den USA, über die Ukraine sprechen. Die westliche Haltung ist bislang, dass nur die Ukraine entscheidet, wann sie zu Verhandlungen bereit ist.

Der für die Verbreitung von Falschmeldungen und Verschwörungstheorien bei seinem früheren Arbeitgeber Fox News bekannte Talkmaster Carlson stellte Putins langatmige Ausführungen nicht infrage. Er ließ auch unwidersprochen zu, dass Putin einmal mehr die Schuld für seinen Angriffskrieg der Nato zuschob. Der Kremlchef lastete erneut ohne Beweise die Sprengung der Nord Stream Pipelines den USA an und unterstellte der Bundesregierung, sie vernachlässige die deutschen Interessen zugunsten von Bündnispflichten.

Will der Kreml einen Journalisten gegen den Tiergartenmörder tauschen?

Bequem war das Gespräch für den Kremlchef auch, weil er nicht wegen der vielen Opfer in der Ukraine zur Rede gestellt wurde. Er musste auch nicht zu Repressionen gegen die Opposition im eigenen Land Stellung beziehen. Lediglich auf den in russischer Untersuchungshaft sitzenden US-Journalisten Evan Gershkovich sprach Carlson ihn an und fragte, ob es Chancen auf dessen Freilassung gebe.

Putin deutete die Möglichkeit eines Austauschs an. "Es macht keinen Sinn, ihn in Russland im Gefängnis zu halten", so der Kremlchef. Die USA sollten darüber nachdenken, wie sie zu einer Lösung beitragen könnten. Putins Äußerungen danach ließen sich so interpretieren, dass eine Freipressung des im Dezember 2021 verurteilten Tiergartenmörders Wadim K. gemeint sein könnte. Dieser hat 2019 in Berlin einen Exil-Tschetschenen ermordet. K. soll den Mord im Auftrag staatlicher russischer Stellen verübt haben. Beide Fälle haben aber nichts miteinander zu tun und betreffen unterschiedliche Staaten.

Polen glaubt Putins Worten nicht

Polens Parlamentschef Holownia sagte, Carlson habe sich mit dem Interview als "nützlicher Idiot" für die russische Propaganda erwiesen: "Er hat einem Lügner, einem Mörder und internationalen Terroristen das Mikrofon hingehalten." Auf Putins Beteuerung, keine feindlichen Absichten gegen Polen oder Lettland zu hegen, entgegnete Holownia: Ob Putin garantieren könne, dass er nicht in einiger Zeit, wenn er sein militärisches Potenzial erneuert habe, vier Dörfer in Lettland besetzt? Er könnte testen, ob die Nato ihren Beistandsartikel fünf erfüllt. "Und wenn sie nicht zurückschießt, wird er weitere zehn Kilometer besetzen." Mit dem Krieg gegen die Ukraine sei Putin zu einer tödlichen Bedrohung für Polen, für Europa und für die Freiheit geworden. "Wir müssen diese Gefahr um jeden Preis stoppen."

Kreml ist zufrieden mit der Reichweite

"Für uns ist vor allem die Reaktion unserer Leute wichtig", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Es sei von großem Wert, dass sich viele Menschen, speziell in Russland, mit dem Interview vertraut machen können. "Putin spricht über seine Weltanschauungen und seine Sicht der Gründe für die jetzige Lage und die Perspektiven des Geschehens." Der Kreml veröffentlichte Text und Video auf seiner Internetseite. Russische Staatsmedien berichteten über die Inhalte den ganzen Tag ausführlich und feierten Carlson als Journalisten, der die Wahrheit in die Welt trage. Der Videoclip sei bereits mehr als 90 Millionen Mal aufgerufen worden, berichtete das Staatsfernsehen.

Neuer ukrainischer Oberkommandierender im Amt

In der Ukraine stellt sich die neue Militärführung für den weiteren Kriegsverlauf auf. Drohnen und elektronische Kriegführung seien Bausteine für einen Sieg in dem Befreiungskampf, schrieb der Generaloberst Syrskyj im Nachrichtenkanal Telegram. Als ebenso wichtig bezeichnete er die schnelle und passgenaue Versorgung der Truppen an der Front mit den gelieferten ausländischen Rüstungsgütern.

"Das Leben und die Gesundheit der Soldaten waren und bleiben der wichtigste Wert der ukrainischen Armee", schrieb Syrskyj. Er trat für eine Rotation der Truppen zwischen Kampfeinsätzen und Ruhe- und Ausbildungsphasen ein. Dafür müsse ein Gleichgewicht gefunden werden. Über den Austausch der erschöpften Fronttruppen und die Mobilisierung neuer Soldaten wird derzeit in der Ukraine diskutiert. Ein Gesetzentwurf liegt im Parlament. Die Mobilisierung war ein Punkt, an dem sich Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht mit dem früheren Oberbefehlshaber Saluschnyj einig geworden war.

Nach der Entlassung veröffentlichte das Präsidialamt in Kiew einen Erlass, mit dem der Held Saluschnyj belobigt wurde. Der General wurde geehrt für "bedeutende persönliche Verdienste um den Schutz der staatlichen Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Ukraine, den selbstlosen Dienst am ukrainischen Volk". Viele Ukrainer würden Saluschnyj künftig gern als Präsident sehen.

@ dpa.de