Die Ausgangslage für den Bund-Länder-Gipfel zur Migration war ohnehin schon schwierig.
06.11.2023 - 17:48:43Zähes Ringen um einen Migrationspakt. Die von CDU, CSU und Grünen geführten Länder machen jetzt auch noch ein neues Faß auf.
Die von CDU, CSU und Grünen geführten Bundesländer machen sich gemeinsam für Asylverfahren außerhalb Europas stark. Bei den Vorbesprechungen zum Bund-Länder-Gipfel im Kanzleramt verständigten sie sich in Berlin darauf, sich hinter einen entsprechenden Vorschlag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) zu stellen.
Unklar war zunächst, ob Asylbewerber dafür aus Deutschland in diese Länder zurückgebracht werden sollen oder ob sie dort noch vor der Einreise nach Deutschland einen Antrag auf Schutz stellen können sollen.
Die Reduzierung der in diesem Jahr drastisch gestiegenen Asylbewerber-Zahlen und die Finanzierung der Unterbringung von Flüchtlingen sind die Haupthemen des wohl wichtigsten Bund-Länder-Gipfels seit der Corona-Pandemie. Das eigentlich für 15 Uhr geplante Treffen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und den Ministerpräsidenten der 16 Länder verzögerte sich aber deutlich, weil sich schon die Länder nicht einigen konnten.
Massive Verärgerung bei den SPD-geführten Ländern
Das lag vor allem daran, dass sich die von CDU und CSU geführten Länder am Vormittag überraschend mit dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg auf neue Vorschläge für die Beratungen verständigten - darunter die Auslagerungen von Asylverfahren aus der EU. Bei den SPD-geführten Ländern sorgte das für massive Verärgerung. Die Verhandlungen der Länder zogen sich deshalb am frühen Abend noch hin. Ursprünglich war man davon ausgegangen, dass es erst zwischen Scholz und den Ländern schwierig werden würde und sich die Verhandlungen bis in die Nacht ziehen.
Den Vorstoß für die Asylverfahren außerhalb der EU hatte Wüst wenige Tage vor dem Migrationsgipfel gemacht. Scholz hatte darauf reserviert reagiert. Die Idee ist, die Asylverfahren entlang der Fluchtrouten durchzuführen. Scholz hat allerdings darauf verwiesen, dass man dafür erst einmal mindestens ein Partnerland zum Beispiel in Afrika bräuchte.
Schon im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, prüfen zu wollen, ob ein solches Verfahren «in Ausnahmefällen» in Drittstaaten außerhalb der EU möglich ist – unter Wahrung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Aus Kreisen des Bundesinnenministeriums hieß es zu diesem Prüfauftrag: «Die Prüfung dauert angesichts der rechtlichen und tatsächlichen Komplexität der Fragestellung noch an. Maßgeblich ist für die Bundesregierung dabei die Einhaltung geltender europa- sowie völkerrechtlicher Vorgaben.»
Ein konkreter Vorschlag der britischen Regierung verdeutlicht die Hürden. Sie will, dass irregulär nach Großbritannien eingereiste Menschen ungeachtet ihrer Herkunft und ohne Prüfung ihres Asylantrags festgehalten und so bald wie möglich nach Ruanda abgeschoben werden, wo sie dann auch um Asyl ersuchen sollen. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen. Ein hohes britisches Gericht hatte die Pläne für rechtswidrig erklärt. Die britische Regierung hat dagegen Berufung eingelegt, die Entscheidung des obersten britischen Gerichts steht noch aus.
Unions- und Grünen-Länder wollen auch Asylrecht verschärfen
Die von CDU, CSU und Grünen geführten Länder machten aber noch andere Vorschläge. Sie wollen auch das Asylrecht verschärfen, um Missbrauch zu verhindern. Außerdem wollen sie freiwillige Aufnahmeprogramme des Bundes stoppen, mit Ausnahme des Programms zur Aufnahme deutscher Ortskräfte aus Afghanistan.
Auch verstärkte Kontrollen der deutschen Grenzen und verminderte Leistungen für Asylbewerber wollen die Länder erreichen, außerdem härtere Strafen bei gewaltverherrlichenden Demonstrationen. Die Innenminister sollen einen Vorschlag erarbeiten, wie Straftäter leichter ihren Schutz in Deutschland verlieren und abgeschoben werden könnten. Eine parteiübergreifende Kommission soll demnach Vorschläge zur Steuerung der Migration und der Verbesserung der Integration ausarbeiten.
Flüchtlingskosten waren der eigentliche Hauptstreitpunkt
Der eigentliche Hauptstreitpunkt des Bund-Länder-Gipfels - die Verteilung der Kosten für die Flüchtlingskosten - bekam mit dem neuen Papier unverhofft Konkurrenz. Die Länder werfen dem Bund vor, dass er seinen Anteil von 3,75 Milliarden Euro in diesem auf 1,25 Milliarden Euro im kommenden Jahr reduzieren wolle, was nicht hinnehmbar sei. In einem Beschluss hatten die Länder Mitte Oktober eine Pauschale von 1,25 Milliarden Euro sowie pro Migrant mindestens 10.500 Euro verlangt.
Die ehemalige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat eine strikte Begrenzung der Migration und eine Kappung der Leistungen für Asylbewerber gefordert. «Bundeskanzler und Ministerpräsidenten verkennen offenbar noch immer den Ernst der Lage», erklärte Wagenknecht. «Nur Flüchtlinge und Finanzlasten besser verteilen zu wollen, reicht nicht. Die Zahlen sind viel zu hoch.»
Zu den Bund-Länder-Verhandlungen meinte Wagenknecht: «Heute hätte die Botschaft in die Welt lauten müssen: Deutschland ist überfordert, Deutschland hat keinen Platz mehr, Deutschland ist nicht länger bereit, Destination Nummer 1 zu sein.» Sie verwies auf Dänemark als Beispiel, «wie man die Kontrolle zurückgewinnen kann». Schleuser müssten «knallhart» bestraft werden.
Neben der Migration auch noch andere Themen
Und dann gibt es noch ein paar andere Fragen, die zu klären waren und nichts mit Migration zu tun haben. Scholz will mehr Tempo in Planungs- und Genehmigungsverfahren bringen, damit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt. Es geht zum Beispiel darum, wie Windräder, Stromtrassen, Bahnstrecken und Wohnungen schneller gebaut werden können. Mehr Erneuerbare Energien sollen auch zu günstigeren Strompreisen führen. Über Monate haben Bund und Länder auf Arbeitsebene die Details ausgearbeitet, die Ministerpräsidenten müssen aber noch grünes Licht geben. Am Nachmittag hieß es, es gebe kaum noch offene Fragen.
Deutschlandticket: Wird das Bahnfahren jetzt wieder teurer?
Schwieriger verhält es sich mit dem Deutschlandticket für den bundesweiten Nahverkehr. Da zeichnete sich am frühen Abend noch keine Einigung ab. Die Länder verlangen, dass der Bund mögliche Mehrkosten auch 2024 zur Hälfte übernimmt. Vereinbart wurde das nur für das Einführungsjahr 2023. Dabei geht es um etwaige Einnahmeausfälle, die über drei Milliarden Euro hinaus gehen.
Diese Summe schießen Bund und Länder schon je zur Hälfte zu, um das Angebot für Verkehrsunternehmen wirtschaftlich zu halten. Der Bund hat Erwartungen an neue Zusagen bereits gedämpft und verweist auf die angespannte Haushaltslage - und dass erst Ende 2024 zu beziffern sei, welche Mehrkosten es wirklich gibt. Eine prinzipielle Option wäre auch, den «Einführungspreis» von 49 Euro im Monat anzuheben. Verbraucherschützer warnten schon davor.