Scholz, Kampf

Am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus mahnt der Kanzler zur Wachsamkeit.

27.01.2024 - 00:35:15

Scholz ruft zu Kampf gegen Menschenhass auf. Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer warnt mit Blick auf aktuelle Entwicklungen.

Anlässlich des Holocaust-Gedenktags ruft Bundeskanzler Olaf Scholz zum entschlossenen Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus auf. ««Nie wieder» ist jeden Tag», sagt der SPD-Politiker in seinem wöchentlichen Video «Kanzler kompakt», das heute veröffentlicht wird. «Der 27. Januar ruft uns zu: Bleibt sichtbar! Bleibt hörbar! Gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Menschenhass - und für unsere Demokratie.»

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf der Plattform X (vormals Twitter), Nazi-Deutschland habe «die Welt in den Abgrund der Menschlichkeit schauen lassen. Es ist an uns Lebenden, aus der Verantwortung für unsere Vergangenheit heraus unsere Gegenwart zu gestalten. Nie wieder ist jetzt.»

Faeser ordnet Trauerbeflaggung an

Zum 79. Jahrestag der Befreiung des früheren deutschen Konzentrationslagers Auschwitz wehen die Flaggen an den Dienstgebäuden des Bundes auf halbmast. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ordnete zum Holocaust-Gedenktag Trauerbeflaggung an, wie ihr Ministerium am Morgen auf der Plattform X (vormals Twitter) mitteilte.

Bundesweit wird heute mit zahlreichen Veranstaltungen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Am 27. Januar 1945 hatten sowjetische Truppen die Überlebenden des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz befreit. Die Nazis hatten dort mehr als eine Million Menschen ermordet, überwiegend Juden. Seit 1996 wird das Datum in Deutschland als Holocaust-Gedenktag begangen, die Vereinten Nationen haben das Datum 2005 zum Gedenktag ausgerufen.

Friedländer: So hat es damals auch angefangen

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer zeigte sich besorgt über den Anstieg antisemitischer Vorfälle in Deutschland. «Ich hätte es nie gedacht, dass es wieder so kommen würde, denn so hat es ja damals auch angefangen», sagte die 102-Jährige den ARD-«Tagesthemen». Für «die, die wir das erlebt haben», sei es «besonders schwer, zu verstehen, und sehr traurig». Kritisch äußerte sie sich mit dem Umgang der Deutschen mit Erinnerung und Gedenken an den Holocaust: «Sie wissen zu wenig.»

Scholz betont in dem Video, dass die heutige Demokratie auf dem zentralen Bekenntnis «Nie wieder» gründe. «Nie wieder Ausgrenzung und Entrechtung, nie wieder Rassenideologie und Entmenschlichung, nie wieder Diktatur.» Dafür zu sorgen sei die zentrale Aufgabe des Staates. «Deswegen bekämpfen wir jede Form von Antisemitismus, Terrorpropaganda und Menschenfeindlichkeit.»

Der Kanzler begrüßte nochmals die zahlreichen Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus der letzten Tage und Wochen. Das «Nie wieder» fordere die Wachsamkeit aller. «Unsere Demokratie ist nicht gottgegeben. Sie ist menschengemacht. Sie ist stark, wenn wir sie unterstützen. Und sie braucht uns, wenn sie angegriffen wird.» Neonazi-Netzwerke und die Ausbreitung des Rechtspopulismus seien keine Fügung, die man einfach hinnehmen müsse.

Antisemitismusbeauftragter für neue Formen des Gedenkens

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, mahnte neue Formen für das Holocaust-Gedenken an. «Wir müssen neue Formate finden, um die breite Bevölkerung und insbesondere die junge Generation emotional anzusprechen», sagte Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Es gebe nur noch wenige Überlebende des Holocaust, die persönlich Zeugnis ablegen und von den Verbrechen der Schoah berichten könnten. Erinnerung sei daher eine Herausforderung, sagte Klein. Gedenkstätten müssten etwa «digitaler und auch mobiler werden, um gerade junge Menschen da «abzuholen», wo sie sich gerne aufhalten - und zwar nicht nur in den Sozialen Medien, sondern auch ganz real im Sportverein oder in der Musikschule», sagte Klein.

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sieht beim Gedenken auch eine Verantwortung bei den Schulen. «Wir müssen die Erinnerung an den Holocaust lebendig halten, gerade in Schulen. Dafür sind engagierte Lehrkräfte und zeitgemäße Zugänge wie durch soziale Medien zentral», sagte sie den Funke-Zeitungen. Es sei beschämend, wie massiv und ungeniert sich der Antisemitismus in Deutschland zeige. «Auf Straßen, in sozialen Medien, Universitäten und Schulen: Überall begegnet uns Hass auf Jüdinnen und Juden.» Die Gesellschaft müsse sich dem entgegenstellen.

Marcel Reif lobt Demonstrationen

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) erklärte in Berlin: «Auschwitz steht als Symbol für unermessliches Leid. In Zeiten wie diesen, mit Konflikten und zunehmendem Hass, ist die Erinnerung wichtiger denn je.» In den letzten Wochen hätten die Worte des Überlebenden der Shoah, Primo Levi, eine neue Brisanz erhalten: «Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.»

Im Bundestag findet die diesjährige Gedenkstunde erst am 31. Januar statt. Dort sollen unter anderem Eva Szepesi, die als Kind das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz überlebte, und der Journalist Marcel Reif sprechen.

Der frühere Fußball-Kommentator Reif, Sohn eines Holocaust-Überlebenden, zeigte sich ermutigt durch die jüngsten Demonstrationen gegen rechts. «Was ich in den letzten Tagen an Demonstrationen, an Haltung auf Deutschlands Straßen sehe, lässt mich hoffen», sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag).

««Nie wieder!» ist eine Existenzgrundlage dieses Staates.» Er hoffe, dass die Deutschen das beherzigten. «Es gibt Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Das betrifft den Antisemitismus und Rechtsextremismus im Land, das betrifft auch den Terror der Hamas, den wir alle verurteilen müssen», sagte er.

@ dpa.de