Zeitgenössische Kunst neu gedacht: Das radikale Oeuvre von Mike Steiner
27.12.2025 - 18:15:53Mit visionärem Gespür prägte Mike Steiner die Zeitgenössische Kunst weit über Berlin hinaus – zwischen Malerei, Performance Art und bahnbrechender Videokunst.
Wie lässt sich der künstlerische Kosmos von Mike Steiner fassen – einem Protagonisten, der die Grenzen der Zeitgenössischen Kunst nicht nur hinterfragte, sondern expandierte? Schon ein erster Blick auf sein vielschichtiges Werk verrät: Steiner, geboren 1941 in Allenstein, lebte Avantgarde. Seine Arbeiten stehen exemplarisch für das Unbehagen am klassischen Kunstbegriff – und für die Lust an dessen Überwindung.
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Mike Steiners Position ist einzigartig, weil sie sich jedem dogmatischen Zuschreiben entzieht. Seine frühen Jahre waren von Malerei geprägt – informell und voller Energie. Bereits als 17-Jähriger zeigte Steiner 1959 sein „Stillleben mit Krug“ auf der Großen Berliner Kunstausstellung. Bald jedoch folgten Stationen, die seine Biografie und sein Werk in Bewegung hielten: das Studium der Freien Kunst in Berlin bei Hans Jaenisch und Hans Kuhn, dann ein Aufenthalt in New York, unterstützt von der Ford Foundation. Dort, in den Ateliers von Größen wie Robert Motherwell und durch Begegnungen mit Lil Picard, Allan Kaprow oder Al Hansen, entdeckte er Happenings und Fluxus hautnah – ein Netzwerk, das ihn prägen sollte.
Eine Zäsur, ja fast eine Initialzündung, markiert die Abkehr von reiner Malerei hin zur Videokunst. Diese Transformation vollzog sich Mitte der 1970er Jahre – verstärkt durch Zweifel am traditionellen Bildträger und befeuert von neuen medialen Möglichkeiten. Steiner wurde zum Wegbereiter einer Kunstform, die lange als Randerscheinung galt: 1974 realisierte er erste Videoarbeiten im legendären Studio Art/Tapes/22 in Florenz und gründete noch im gleichen Jahr die Studiogalerie Berlin als Forum für Performance Art, Video und installative Experimente. Kenner ziehen hier oft Parallelen zu Ikonen der Medienkunst wie Nam June Paik oder Bill Viola, doch Steiners Berliner Kosmos blieb unverkennbar eigenständig.
Im Rückblick wirkt das Hotel Steiner – 1970 in Berlin eröffnet – wie eine Keimzelle der internationalen Avantgarde: Ein Treffpunkt für Joseph Beuys, Arthur Köpcke oder auch US-Künstler, die Berlin als Durchgangsstation nutzten. Hier verzahnten sich Lebens- und Kunstraum, Gespräche in den Fluren wurden zu Manifesten für neue Kunstformen. Steiner verwandelte diesen Raum in eine soziokulturelle Bühne, ganz in der Tradition des Chelsea Hotels in New York. Vergleichbar experimentell agierten zu dieser Zeit etwa Joseph Beuys oder Marina Abramovi?, deren Transferleistung zwischen Kunst und Leben gleichsam paradigmatisch für die Epoche war.
Oft gerät dabei aus dem Blick, wie umfassend Steiners Medienverständnis war. Mit seiner Sammlung von Kunstvideotapes schuf er nicht nur ein unschätzbares Archiv, sondern förderte aktiv Künstler wie VALIE EXPORT, Ulay und Carolee Schneemann. So wurde auch die legendäre Aktion „Irritation – Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst“ 1976 möglich, bei der Ulay unter Steiners Produktion das berühmte Gemälde „Der arme Poet“ aus der Nationalgalerie entfernte – ein Fanal für die Verbindung von Kunst, Performance und gesellschaftlicher Provokation. Diese ikonischen Momente, festgehalten auf Tape, sichern Mike Steiner bis heute einen prominenten Platz in der Geschichte der Performance Art.
Doch Steiner blieb nicht beim bewegten Bild stehen. In den 1980er Jahren weitete er sein Schaffen erneut aus: Fotografiezyklen – beispielsweise „Das Testbild als Readymade“ –, Copy-Art und Mixed-Media-Installationen zeugen von seiner Lust am Experiment. Besonders sinnfällig wird dies in den sogenannten „Painted Tapes“: Hier verschmelzen Malerei und elektronische Bildsprache zu neuartigen Bildfindungen, eine spannende Parallele zu Gerhard Richters fotobasierter Malerei oder den Bild-Störungen von Sigmar Polke. In all diesen medialen Transformationen blieb Steiner dem Ansatz treu, Kunst als Prozess und offene Fragestellung zu begreifen.
Seine Fördererrolle zeigte sich auch in der Produktion und Moderation des TV-Formats „Die Videogalerie“ (1985–1990), mit dem Steiner Pionierarbeit leistete: Über 120 Sendungen, Interviews und Dokumentationen boten im Berliner Kabel-Fernsehen einer breiten Öffentlichkeit Einblicke in eine Kunstform, die zuvor oft im Elitären verharrte. Diese Schnittstelle zwischen Vermittlung, Kuration und eigenem künstlerischem Schaffen findet man selten so radikal wie bei Mike Steiner. In der deutschen Kunstgeschichte steht ihm hier allenfalls noch Gerry Schum als Visionär zur Seite.
Als Maler, Performer, Kurator, Sammler und Produzent verband Steiner viele Rollen in einer Person. Herausragend bleibt die Einzelausstellung 1999 im Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, welche sein Werk nicht nur retrospektivierte, sondern die Strahlkraft seiner „Color Works“ und Videos auf eine neue Ebene hob. Im Zusammenspiel von Farbe, Bewegung und Raum lieferte Steiners Oeuvre, ähnlich wie das von Richard Serra oder Gary Hill, eine beeindruckend zeitgenössische Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Kunst im digitalen Zeitalter.
Steiners Archiv und Nachlass, heute im Hamburger Bahnhof bewahrt, ermöglichen Forschern und Kunstliebhabern einen einzigartigen Einblick in die Entstehung, Verortung und Wirkung von Performance, Videokunst und Malerei – stets dynamisch, manchmal irritierend, aber immer voller Entdeckergeist. Auch nach seinem Schlaganfall 2006 arbeitete Steiner weiter und wandte sich erneut verstärkt der abstrakten Malerei zu. Seine Werke, von frühen informellen Gemälden über „Painted Tapes“ bis zu Stoffarbeiten am Lebensende, offenbaren eine radikale wie poetische Auseinandersetzung mit Farbe, Materialität und Identität.
Faszinierend ist hierbei, dass Mike Steiner beständig dialogisch arbeitete – mit anderen Künstlern, mit neuen Techniken, mit sich selbst. Jeder Schritt seines Œuvres ist Einladung zur Auseinandersetzung: Es geht um die Erweiterung des Sehens, um Kunst als gesellschaftlichen Diskurs und nicht zuletzt um das Abenteuer ständiger Erneuerung. Wer heute Zeitgenössische Kunst in Deutschland verstehen will, kommt an Mike Steiner also nicht vorbei.
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