Verdi, Kampagne

Verdi startet Kampagne gegen 13-Stunden-Tag

20.11.2025 - 19:20:12

Die Debatte um Deutschlands Arbeitszeitgesetz eskaliert: Die Gewerkschaft Verdi hat am Donnerstag eine bundesweite Kampagne zur Verteidigung des Acht-Stunden-Tags gestartet. Unter dem Motto “Mit Macht für die 8” warnte Verdi-Chef Frank Werneke in Augsburg eindringlich vor den Plänen der Bundesregierung, die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche zu ersetzen.

Der Kampagnenstart fällt nicht zufällig mit der finalen Festlegung der Forderungen für die anstehende Tarifverhandlung im öffentlichen Dienst der Länder zusammen. Die Gewerkschaft verbindet geschickt Lohn- und Arbeitszeitfragen – und stellt die große Koalition damit vor eine heikle Zerreißprobe.

“Änderungen am Arbeitszeitgesetz sind unnötig und vor allem kontraproduktiv”, erklärte Werneke vor Unterstützern und Presse. Seine zentrale Sorge: Der Übergang von einer täglichen zu einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit könnte faktisch Arbeitstage von bis zu 13 Stunden ermöglichen.

Die Rechnung der Gewerkschaft ist simpel: Bleibt nur noch die gesetzliche Ruhezeit von elf Stunden als Grenze, sind 13 Arbeitsstunden pro Tag rechtlich möglich. “Gerade in prekären Beschäftigungsverhältnissen droht die Gefahr, dass Arbeitszeiten einseitig gegen den Willen der Beschäftigten ausgeweitet werden”, warnte der Verdi-Vorsitzende. “Das lassen wir nicht zu.”

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Die Gewerkschaft befürchtet weitreichende Folgen: mehr Krankmeldungen, langfristige Gesundheitsschäden, negative Auswirkungen auf die Gleichstellung und eine noch schlechtere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Was steht auf dem Spiel?

Das aktuelle Arbeitszeitgesetz begrenzt die tägliche Arbeitszeit grundsätzlich auf acht Stunden, die nur ausnahmsweise auf zehn Stunden ausgedehnt werden dürfen – sofern der Durchschnitt über sechs Monate ausgeglichen wird. Die regierende große Koalition aus CDU/CSU und SPD hatte sich im April 2025 darauf verständigt, diese Regeln an die EU-Arbeitszeitrichtlinie anzupassen.

Die geplante Reform würde die tägliche Obergrenze durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden ersetzen. Was nach modernem Flexibilisieren klingt, bedeutet in der Praxis: An einzelnen Tagen könnten theoretisch deutlich längere Schichten anfallen – solange die Wochenbilanz stimmt.

Arbeitgeber fordern “Wettbewerbsfähigkeit durch Flexibilität”

Während sich die Gewerkschaften verschanzen, erhöhen Arbeitgeberverbände den Druck auf die Bundesregierung. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Handelsverband Deutschland (HDE) argumentieren seit Langem, die starren Tagesgrenzen seien ein Relikt des Industriezeitalters und unvereinbar mit der digitalen Wirtschaft.

“Deutschland muss alte Arbeitszeitregeln hinter sich lassen”, bekräftigte BDA-Präsident Rainer Dulger diese Woche die Position der Arbeitgeber. Man beruft sich dabei auf Umfragedaten, wonach auch eine Mehrheit der Beschäftigten flexiblere wöchentliche Regelungen wünsche.

Besonders brisant: Der Handelsverband fordert zusätzlich zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten auch noch die Liberalisierung von Sonntagsöffnungen. HDE-Präsident Alexander von Preen argumentiert, der stationäre Einzelhandel brauche “gleiche Wettbewerbsbedingungen” gegenüber dem rund um die Uhr verfügbaren Online-Handel.

Die Verknüpfung mit TV-L: Lohn und Arbeitsbedingungen

Die Eskalation um die Arbeitszeit ist untrennbar mit der kommenden Tarifrunde für die rund 1,2 Millionen Landesbeschäftigten (ohne Hessen) verbunden. Verdi fordert 7 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 300 Euro pro Monat. Für Auszubildende verlangt die Gewerkschaft 200 Euro mehr monatlich sowie eine unbefristete Übernahme nach Ausbildungsende.

“Die Beschäftigten erwarten ein klares Signal der Arbeitgeber, dass ihre Leistung künftig besser honoriert wird”, erklärte Werneke am Montag bei der Bekanntgabe der Forderungen. Der öffentliche Dienst konkurriere um Fachkräfte und könne es sich nicht leisten, weiter hinter Privatwirtschaft oder Bund und Kommunen zurückzufallen.

Die zeitliche Synchronisation der Lohnforderungen mit der Arbeitszeitkampagne zeigt strategisches Kalkül. Verdi mobilisiert bewusst eine breite Unterstützungsbasis vor Beginn der Verhandlungen am 3. Dezember 2025 in Berlin.

Belastungsprobe für die große Koalition

Die Auseinandersetzung bringt die Bundesregierung in eine heikle Lage. Der Übergang zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit war eine zentrale Forderung der Union, auf die die SPD während der Koalitionsverhandlungen eingehen musste. Diese Reform nun gegen den angekündigten “harten Widerstand” von Verdi durchzusetzen, könnte die Sozialdemokraten politisch teuer zu stehen kommen – ihre Basis überschneidet sich erheblich mit der Gewerkschaftsmitgliedschaft.

Branchenbeobachter erwarten in den kommenden Monaten intensive Lobbykämpfe und öffentliche Demonstrationen. Wird die Flexibilisierung als Erosion des “Schutzschirms Arbeitszeitgesetz” wahrgenommen, könnten sich die TV-L-Verhandlungen zu einem grundsätzlichen Konflikt über die Zukunft der Arbeit in Deutschland ausweiten.

“Wir stehen vor einer fundamentalen Auseinandersetzung”, resümierte Werneke in Augsburg. “Es geht darum, ob wir arbeiten, um zu leben – oder leben, um zu arbeiten.”

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