US-Visasperre, HateAid

US-Visasperre für HateAid stellt deutsche Firmen vor Compliance-Dilemma

24.12.2025 - 15:14:12

Deutsche Unternehmen stehen zwischen US-Visasperren für Regulierer und verschärften Berliner Löschpflichten. Die Compliance-Abteilungen müssen sich an deutsches Recht halten, während die politischen Fronten verhärten.

Deutsche Unternehmen geraten in ein transatlantisches Spannungsfeld: Während Berliner Gerichte die Löschpflicht für Social-Media-Administratoren verschärfen, sanktioniert Washington ausgerechnet die Vorkämpfer dieser Standards. Ein perfekter Sturm für Compliance-Abteilungen.

BERLIN – An diesem Heiligabend 2025 hat sich die Rechtslage für Betreiber firmeneigener Social-Media-Gruppen dramatisch zugespitzt. Ein doppelter Schlag aus Berlin und Washington stellt Personal- und Rechtsabteilungen vor ein kaum lösbares Dilemma. Einerseits bestätigte das Kammergericht Berlin erst letzte Woche die hohe Haftung von Gruppen-Admins für illegale Inhalte. Andererseits setzte das US-Außenministerium am Dienstag (23. Dezember) Schlüsselfiguren der europäischen Digitalregulierung – darunter die Führung der deutschen NGO HateAid – auf eine Visasperrliste. Unternehmen, die nun ihre Löschpflichten ernst nehmen, geraten symbolisch zwischen die Fronten eines transatlantischen Kulturkampfes.

Die „Zensur“-Liste aus Washington: Ein Angriff auf europäische Standards

Die Entscheidung aus Washington wirkt wie eine gezielte Provokation. Die USA verweigern Einreisevisa für europäische Regulierer und Aktivisten, die sie einem „Zensur-Industriekomplex“ zuordnen. Auf der Liste stehen Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon, die Geschäftsführerinnen von HateAid, sowie der frühere EU-Kommissar Thierry Breton.

Die Rolle von HateAid ist entscheidend: Die Organisation hat in Deutschland maßgeblich Rechtsgrundlagen für die Löschung von Hassrede und digitaler Gewalt mitgeschaffen. Ihre Sanktionierung durch die USA markiert einen offenen Konflikt zwischen amerikanischem „Free Speech“-Absolutismus und dem europäischen Regulierungsrahmen des Digital Services Act (DSA).

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Für deutsche Firmen ist das mehr als nur politisches Theater. Es verwirrt die klare Linie bei „Community Standards“. Während deutsches Recht die schnelle Entfernung illegaler Inhalte vorschreibt, bestraft die US-Regierung plötzlich diejenigen, die genau diese Normen durchsetzen. Juristen warnen jedoch: Der Lärm aus Washington ändert nichts an der deutschen Rechtsrealität. Wer Inhalte nicht moderiert, macht sich haftbar.

Das Berliner Urteil: Admins als „Herr des Angebots“

Fast untergegangen im diplomatischen Geplänkel ist ein Urteil, das jeden Firmen-Admin direkt betrifft. Am 18. Dezember bestätigte das Kammergericht Berlin (Az. 10 U 190/23) in einem Grundsatzurteil die Haftung von Plattformen und Administratoren für „Hassgruppen“.

Das Gericht ordnete zwar nicht die Schließung der Gruppe an, bekräftigte aber unmissverständlich das Prinzip des „Herr des Angebots“. Demnach sind Admins keine passiven Beobachter, sondern aktive Verantwortliche.

Die Kernpunkte des Urteils und aktueller Analysen:
* Aktive Überwachungspflicht: Sobald ein Admin von einem Verstoß erfährt – etwa durch eine Nutzer-Meldung –, muss er sofort handeln. Abwarten ist rechtlich nicht haltbar.
* Gemeinsame Verantwortlichkeit: Das Gericht verwies auf die DSGVO und erinnerte daran, dass Admins gemeinsam mit Meta für die Datenverarbeitung verantwortlich sind („joint controller“).
* Schwelle zur Gruppen-Schließung: Das Löschen einzelner Beiträge ist Pflicht. Eine komplette Schließung setzt ein systemisches Versagen der Moderation voraus, das im konkreten Fall nicht vollständig nachgewiesen wurde. Die klagende Partei kündigte sofort Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) an.

Personalabteilungen in der Zwickmühle: Die Haftungsfalle für Mitarbeiter

Für HR-Abteilungen verschärft diese Gemengelage die Lage erheblich. Oft werden firmeneigene „Alumni“-Gruppen, Karriereseiten oder interne Interessengruppen von jungen Mitarbeitern aus Marketing oder Personalverwaltung betreut.

„Die Ereignisse der letzten 72 Stunden zeigen: Social-Media-Compliance ist keine Marketingaufgabe mehr, sondern ein juristisches Minenfeld“, erklärt Digitalrechtler Dr. Markus Weber. „Löscht ein Mitarbeiter einen beleidigenden Kommentar in einer Firmengruppe nicht, weil er Angst vor ‚Zensur‘-Vorwürfen hat, haftet das Unternehmen nach deutschem Recht. Löscht er ihn, handelt er gegen den ideologischen Druck aus der Heimatjurisdiktion der US-Plattformen.“

Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber:
1. Verpflichtende Schulungen: Alle Gruppen-Admins müssen verstehen, dass deutsches Recht (NetzDG/DSA) Vorrang vor US-Politik oder sich ändernden Plattform-Richtlinien hat.
2. Freistellungsklauseln: Arbeitsverträge sollten prüfen, ob Mitarbeiter als Admins von persönlichen Haftungsansprüchen freigestellt sind, sofern sie firmeninterne Löschprotokolle befolgen.
3. Moderationsprotokolle: Nach dem Kammergericht-Urteil ist eine lückenlose Dokumentation essenziell: Wann wurde ein Inhalt gemeldet? Wann wurde er gelöscht? Nur so lässt sich im Prozess promptes Handeln beweisen.

Analyse: Die Compliance-Zange

Deutsche Unternehmen stecken in einer klassischen Zangenbewegung. Von einer Seite drängen EU-Kommission und nationale Gerichte auf strengere und schnellere Löschung schädlicher Inhalte – bei Androhung von DSA-Bußgeldern bis zu 6 % des globalen Umsatzes. Von der anderen Seite wird genau diese Moderation aus den USA zunehmend feindselig als „Zwang“ gebrandmarkt.

Das stellt firmeninterne Admins in eine prekäre Lage. Die Sanktionen gegen HateAid sind besonders brisant, weil sie den zivilgesellschaftlichen Mechanismus treffen, auf den Unternehmen oft angewiesen sind, um illegale Sprache zu definieren. Werden die Organisationen, die Standards für „digitale Gewalt“ setzen, von den USA delegitimiert, verlieren interne Compliance-Teams einen zentralen Referenzpunkt.

Ausblick: Klärung durch den BGH steht bevor

Der Rechtsstreit ist noch lange nicht beendet. Da die Klägerpartei im Berliner Verfahren Revision beim Bundesgerichtshof angekündigt hat, ist mit einer grundlegenden Klärung des Haftungsrahmens für Admins wohl erst Ende 2026 zu rechnen.

Kurzfristig müssen sich Unternehmen darauf einstellen, dass Meta (Facebook) selbst zwischen den Stühlen sitzt und möglicherweise widersprüchliche Updates seiner „Community Standards“ veröffentlicht, um Brüssel und Washington gleichermaßen zu besänftigen. Für deutsche Personal- und Rechtsabteilungen bleibt der Rat für die letzten Tage des Jahres 2025 klar: Ignorieren Sie das geopolitischen Rauschen und halten Sie sich strikt an deutsche Gesetze. Vor einem Berliner Gericht ist eine US-Visasperre keine Verteidigung für unterlassene Löschung von Hasskommentaren.

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