Digitale, Identitätspflicht

UK macht Ernst: Digitale Identitätspflicht für Firmenchefs

21.11.2025 - 18:00:12

Eine wegweisende Woche für die Digitalisierung staatlicher Dienste: Großbritannien führt verpflichtende Identitätsprüfung für Geschäftsführer ein, während Workday und die G7 große Fortschritte bei souveränen Cloud-Lösungen und KI im öffentlichen Sektor verkünden.

Diese Woche markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen weltweit. Zeitgleich verschärfen Regierungen die digitale Identitätskontrolle und verlagern kritische Dateninfrastruktur auf heimischen Boden.

Innerhalb von nur 72 Stunden hat das Vereinigte Königreich sein verpflichtendes Identitätsverifizierungssystem für Firmendirektoren aktiviert, Workday eine souveräne Cloud-Lösung für die EU vorgestellt, und die G7 eine transnationale Initiative zur Beschleunigung der KI-Einführung im öffentlichen Sektor gestartet.

Diese Entwicklungen zeigen eine reifende „GovTech”-Landschaft, in der experimentelle Pilotprojekte der Vergangenheit angehören. An ihre Stelle treten verbindliche, regulierte und souveränitätskonforme Systeme.

Seit Dienstag, dem 18. November, hat sich in Großbritannien fundamental geändert, wie Unternehmen mit dem Staat interagieren. Die Identitätsverifizierungspflicht von Companies House, ein Eckpfeiler des Gesetzes gegen Wirtschaftskriminalität aus dem Jahr 2023, ist nun in Kraft.

Erstmals in der 180-jährigen Geschichte der Behörde können neue Geschäftsführer und wirtschaftlich Berechtigte eine Firma nicht mehr einfach registrieren. Sie müssen ihre Identität zwingend über GOV.UK One Login oder einen autorisierten Dienstleister verifizieren.

„Jeder, der Geschäftsführer oder wirtschaftlich Berechtigter eines in Großbritannien registrierten Unternehmens wird, muss ab sofort seine Identität bei Companies House verifizieren”, bestätigte die Behörde am Dienstag. Die Maßnahme soll die Anonymität beseitigen, die häufig von „Geister-Direktoren” und kriminellen Netzwerken ausgenutzt wird.

Während eine freiwillige Verifizierung bereits seit April möglich war, stellt der Übergang zur Pflicht einen gewaltigen logistischen Sprung dar. Nach Angaben von Companies House hatten bereits über 1,5 Millionen Personen ihre Identität freiwillig verifiziert. Doch Millionen weitere müssen nun nachziehen – oder riskieren empfindliche Strafen, einschließlich Strafverfahren oder Berufsverboten.

Daten bleiben auf britischem Boden

Parallel zur Einführung bemühte sich die britische Regierung, Bedenken bezüglich der Datenspeicherung auszuräumen. In einer parlamentarischen Stellungnahme am Mittwoch adressierte Josh Simons, Staatssekretär im Kabinettsbüro, Befürchtungen über den Speicherort dieser sensiblen digitalen Identitätsdaten.

„Daten, die mit dem digitalen ID-System verbunden sind, werden in sicheren Cloud-Umgebungen aufbewahrt, die in Großbritannien gehostet werden”, erklärte Simons. Er betonte, dass die physischen Rechenzentren für dieses spezielle System auf britischem Boden liegen, obwohl die Regierung öffentliche Cloud-Anbieter wie Amazon Web Services nutzt. Dies gewährleiste „souveräne britische Kontrolle” über die digitale Identitätsinfrastruktur des Landes.

Workday antwortet auf Europas Ruf nach Datensouveränität

Während Großbritannien sich auf Identität konzentriert, treibt die Europäische Union Veränderungen voran, wie Regierungs- und Unternehmensdaten gespeichert werden. Am Mittwoch, den 19. November, kündigte der Unternehmenssoftware-Gigant Workday auf der Konferenz Workday Rising EMEA in Barcelona die Workday EU Sovereign Cloud an.

Diese Entwicklung ist eine direkte Antwort auf das verschärfte Regulierungsumfeld der EU, insbesondere das EU Data Act, und die wachsende Nachfrage nach „digitaler Souveränität” – der Fähigkeit von Nationen, ihre Daten ohne Einmischung ausländischer Jurisdiktionen zu kontrollieren.

„KI-Innovation ist keine Wahl mehr – sie ist essenziell, um wettbewerbsfähig zu bleiben”, sagte Gerrit Kazmaier, President of Product and Technology bei Workday, während der Ankündigung. „Die Workday EU Sovereign Cloud gibt unseren Kunden die Freiheit, selbstbewusst zu innovieren und zu wachsen – sie können die Macht der KI nutzen und wissen gleichzeitig, dass ihre Daten geschützt und compliant bleiben.”

Die neue Cloud-Umgebung, deren allgemeine Verfügbarkeit für 2026 geplant ist, wird ausschließlich von EU-basiertem Personal betrieben und in Rechenzentren innerhalb der Union gehostet. Sie zielt auf Organisationen des öffentlichen Sektors und stark regulierte Branchen ab, die bisher zögerlich waren, Kern-HR- und Finanzsysteme in die Cloud zu verlagern – aus Sorge vor Datentransfers in die USA.

G7 startet „Schnelllabore” für KI im öffentlichen Dienst

Jenseits von Infrastruktur und Identität haben die G7-Staaten eine gemeinsame Initiative gestartet, um Künstliche Intelligenz in Regierungsabläufe zu integrieren. Am Montag, den 17. November, lancierte die kanadische Regierung, die derzeit die G7-Präsidentschaft innehat, die G7 GovAI Grand Challenge.

Die Initiative, geleitet von Treasury-Board-Präsident Shafqat Ali, zielt darauf ab, praktische KI-Lösungen für häufige Probleme des öffentlichen Sektors zu crowdsourcen – etwa die Verarbeitung großer Mengen administrativer Daten und die Beschleunigung der Servicebereitstellung.

„In diesem schnelllebigen globalen Klima ist Kanadas neue Regierung verpflichtet, verantwortungsvolle KI zu nutzen, um echte Herausforderungen anzugehen”, erklärte Ali beim Start in Ottawa. „Die G7 GovAI Grand Challenge Rapid Solution Labs werden die Expertise internationaler Innovatoren nutzen, um vertrauenswürdige KI-Lösungen für Regierungen mit messbaren, bedeutungsvollen Vorteilen zu schaffen.”

Die Challenge lädt Teilnehmer aus den G7-Staaten und der EU ein, in „Rapid Solution Labs” bis zum 1. Dezember 2025 zu konkurrieren. Das Ziel: über theoretische KI-Diskussionen hinauszugehen und skalierbare Open-Source-Prototypen zu entwickeln, die Mitgliedsstaaten zur Modernisierung ihrer Bürokratien übernehmen können.

Analyse: Die „Verhärtung” digitaler Regierungssysteme

Die Entwicklungen dieser Woche signalisieren eine „Verhärtung” der digitalen Regierungsinfrastruktur. Was für Deutschland bedeutet: Der Druck auf Bundesregierung und Länder wächst, ähnliche verbindliche Systeme einzuführen.

Das vergangene Jahrzehnt war geprägt von freiwilligen digitalen Angeboten und Bequemlichkeit. Jetzt verschiebt sich die Erzählung zu Compliance, Sicherheit und Souveränität.

Der britische Schritt zur verpflichtenden Identitätsverifizierung spiegelt einen globalen Trend wider: Digitale Identität ist nicht länger nur Nutzerkomfort, sondern Instrument zur Rechtsdurchsetzung. Indem Großbritannien Firmenführung an verifizierte digitale IDs koppelt, schließt es effektiv die „analogen Schlupflöcher”, die Wirtschaftskriminalität begünstigten.

Gleichzeitig unterstreicht die Workday-Ankündigung die geopolitische Fragmentierung des Cloud-Markts. Das Modell „eine Cloud für die Welt” ist zunehmend unhaltbar, da Regierungen physische Hoheit über ihre Daten fordern. Diese Aufspaltung – globale Tech-Riesen müssen regionsspezifische „souveräne” Enklaven bauen – wird die Kosten erhöhen. Doch sie gilt als notwendiger Aufpreis für nationale Sicherheit.

„Wir sehen eine definitive Bewegung von ‘Cloud-first’ zu ‘Souveränität-first’ in der öffentlichen Beschaffung”, lautet der Branchenkonsens nach der Barcelona-Ankündigung. Die Garantie, dass Daten niemals die EU (oder Großbritannien) verlassen, wird zur nicht verhandelbaren Anforderung für Regierungsverträge.

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Ausblick 2026: Was kommt auf uns zu?

Anfang 2026 werden diese Systeme rigorosen Belastungstests unterzogen.

UK-Durchsetzung: Die Geschäftswelt wird genau beobachten, ob Companies House tatsächlich Strafen gegen Direktoren verhängt, die Fristen versäumen. Die Leistungsfähigkeit des GOV.UK One Login-Systems unter dieser neuen Pflichtlast wird entscheidend für Großbritanniens breitere digitale ID-Ambitionen sein.

Expansion souveräner Clouds: Nach Workdays Vorstoß werden andere große SaaS-Anbieter wie Salesforce und ServiceNow voraussichtlich ihre eigenen souveränen Cloud-Angebote für den EU-Markt beschleunigen, um nicht von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen zu werden.

KI-Implementierung: Die Gewinner der G7 GovAI Challenge, die im März 2026 bekannt gegeben werden, liefern den ersten Eindruck, ob grenzüberschreitende Zusammenarbeit tatsächlich nutzbare KI-Tools für Regierungen hervorbringen kann – oder ob nationale Sicherheitsbedenken die KI-Entwicklung innerhalb von Grenzen abschotten werden.

Die Botschaft der Regierungen ist klar: Die digitale Transformation des Staates ist nicht länger optional. Sie ist verpflichtend, verifiziert und strikt begrenzt.

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