Schweiz, Zentrum

Schweiz plant eigenes Zentrum für digitale Souveränität

08.12.2025 - 20:01:12

Schweizer Behörden starten Projekt zur Förderung von Open-Source-Alternativen wie openDesk, um Abhängigkeit von Microsoft 365 zu reduzieren und digitale Souveränität zu stärken.

Die Schweiz geht in die Offensive gegen die Abhängigkeit von amerikanischen Tech-Konzernen. Am Sonntag verkündeten Schweizer Behörden ein gemeinsames Projekt zur Gründung eines „Staatszentrums für digitale Souveränität”. Die Initiative unter Federführung der Berner Fachhochschule (BFH), des Kantons Bern, der Stadt Zürich und verschiedener Bundesstellen soll Open-Source-Alternativen zu Microsoft 365 prüfen und fördern.

Dahinter steckt mehr als nur Kostenkalkül: Geopolitische Spannungen und Datenschutzbedenken treiben europäische Regierungen dazu, kritische IT-Infrastruktur nicht länger ausschließlich US-Konzernen anzuvertrauen. Die Schweizer wollen sich absichern – für den Fall, dass der Zugang zu proprietären Cloud-Diensten gefährdet sein könnte.

Vier Millionen Franken für digitale Unabhängigkeit

Das Projekt startet mit einer Anschubfinanzierung von vier Millionen Schweizer Franken. 22 Partner – darunter IT-Unternehmen und Behörden – tragen Ressourcen bei. „Ziel der BFH ist es, ein staatliches Zentrum für digitale Souveränität aufzubauen”, erklärte Matthias Stürmer, Leiter des Instituts Public Sector Transformation an der BFH, gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Anzeige

Passend zum Thema digitale Souveränität und Datenschutz: Schweizer Behörden und Kantone stehen durch das revidierte Datenschutzgesetz (revDSG) vor neuen Pflichten – viele Organisationen unterschätzen Fristen, Dokumentationsaufwand und die Anforderungen an Datenhaltung. Der kostenlose revDSG-Leitfaden bietet sofort einsetzbare Checklisten, Muster für Betroffenenanfragen und Selbstchecks, mit denen Verwaltungen Compliance und Datensouveränität gleichzeitig sicherstellen können. Besonders nützlich für Datenschutzbeauftragte und IT-Verantwortliche in Kantonen und Städten. RevDSG-Leitfaden für Schweizer Organisationen gratis herunterladen

Im Fokus steht openDesk, eine souveräne Arbeitsplatzsoftware, die ursprünglich von der deutschen Bundesregierung vorangetrieben wurde. Das Schweizer Bundesamt für Justiz und die Bundeskanzlei beteiligen sich aktiv. Letztere prüft die Lösung seit 2024 gezielt für „Notfall-Büroautomation” und die sichere Verarbeitung vertraulicher Verschlusssachen.

Stürmer betont: Bei Open-Source-Lösungen liege der Quellcode offen und gehöre keinem einzelnen privaten Unternehmen. Das minimiere das Risiko, an einen Anbieter gekettet zu sein.

Zürich testet – Ergebnisse noch im Dezember

Die Stadt Zürich übernimmt eine Vorreiterrolle bei der praktischen Erprobung. Derzeit testet die Stadtverwaltung, ob openDesk den hohen Anforderungen des kommunalen Büroalltags standhält. Die Resultate dieser Prüfung sollen noch diesen Monat den städtischen Entscheidungsträgern präsentiert werden.

Eine sofortige, vollständige Ablösung von Microsoft 365 in der gesamten Bundesverwaltung steht nicht unmittelbar bevor – schließlich begann die Migration in die Microsoft-Cloud erst vor drei Jahren. Dennoch signalisiert die Initiative einen strategischen Richtungswechsel: Europäische Regierungen entwickeln einen „Plan B”, um staatliche Kernfunktionen auch dann aufrechtzuerhalten, wenn der Zugang zu US-Diensten eingeschränkt wird oder Datenschutzbedenken eskalieren.

openDesk wird erwachsen

Die Software im Zentrum der Diskussionen hat 2025 einen Reifeschub erlebt. Verwaltet vom deutschen Zentrum für digitale Souveränität (ZenDiS), vereint openDesk erstklassige Open-Source-Komponenten – etwa Nextcloud für Dateiverwaltung, Open-Xchange für E-Mail und Collabora Online für Dokumentenbearbeitung – zu einer einheitlichen Suite.

Im Jahresverlauf veröffentlichte ZenDiS mehrere Updates, die die Enterprise-Tauglichkeit deutlich verbesserten:

  • Version 1.6 (Juni 2025) führte erweiterte Dokumentenverarbeitung und Sicherheitsfeatures speziell für den öffentlichen Sektor ein
  • Version 1.8 (September 2025) brachte einen „Smart Inbox” und optimierte Workflows mit Fokus auf Systemstabilität und eine Nutzererfahrung auf Augenhöhe mit Microsoft Outlook und Teams

Diese technische Reife ist ein wesentlicher Treiber für das erneute Schweizer Interesse. Die modulare Architektur erlaubt es Behörden, Daten selbst zu hosten – „on-premises” oder in souveränen Clouds – ohne auf moderne Kollaborationsfunktionen wie gleichzeitiges Bearbeiten oder Videokonferenzen verzichten zu müssen.

Globaler Trend: Von der Theorie zur Praxis

Die Entwicklungen in der Schweiz fügen sich in einen globalen Trend ein, der sich Ende 2025 beschleunigt. Ebenfalls am 7. Dezember veröffentlichte die Linux Foundation ihren Bericht „State of Open Source Japan 2025″ mit frischen Daten zur geschäftlichen Wirkung offener Technologien.

Das Ergebnis: 69 Prozent der befragten Organisationen verzeichneten im vergangenen Jahr einen gestiegenen Geschäftswert durch Open-Source-Software (OSS). Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass OSS sich von einer reinen Sparmöglichkeit zu einem „strategischen Imperativ” entwickelt hat, der Wettbewerbsfähigkeit und Innovation untermauert. Auch wenn der Report den japanischen Markt beleuchtet, spiegeln die Erkenntnisse die Stimmung in Europa wider: Organisationen priorisieren zunehmend Governance, Sicherheit und Kontrolle über ihre Software-Lieferketten.

Zudem erhielten die für solche Übergänge nötigen Interoperabilitätsstandards Anfang Dezember Rückenwind. Am 3. Dezember verkündete OASIS Open die Verabschiedung des Open Document Format (ODF) v1.4 als offiziellen OASIS-Standard. Das Update – passend zum 20. Jubiläum des Formats – umfasst wichtige Verbesserungen für Barrierefreiheit und Tabellendatenanalyse. Regierungen können damit Dokumente nahtlos austauschen, unabhängig vom eingesetzten Software-Anbieter.

Souveränität schlägt Kostenersparnis

Branchenbeobachter sehen einen deutlichen Wandel in der Argumentation rund um Open Source im öffentlichen Sektor. Vor einem Jahrzehnt wurden Initiativen wie Münchens „LiMux” primär mit Kostenersparnis begründet – ein Maßstab, der sich oft schwer gegen das aggressive Paketpreismodell proprietärer Anbieter verteidigen ließ.

2025 steht Sicherheit und Souveränität im Vordergrund. Die Schweizer Initiative nennt explizit „Abhängigkeit von US-Unternehmen” und „fragwürdigen Datenschutz” als Auslöser. Bei geopolitischen Spannungen, die globale Lieferketten beeinflussen, wird die Fähigkeit, Code zu inspizieren und Datenstandorte zu kontrollieren, zur nicht verhandelbaren Anforderung für kritische Infrastruktur.

Die erfolgreiche Migration von 30.000 Regierungsmitarbeitern in Schleswig-Holstein Ende Oktober 2025 dient dem Schweizer Projekt als aussagekräftiger Beweis: Die Umstellung ersetzte proprietäre Systeme durch Open-Source-Alternativen wie Thunderbird und LibreOffice und zeigte, dass großangelegte Wechsel in modernen Verwaltungen operativ machbar sind.

Was kommt als Nächstes?

Alle Blicke richten sich nun auf den Bericht der Stadt Zürich, der noch im Dezember erwartet wird. Eine positive Empfehlung könnte einen Dominoeffekt auslösen und weitere Schweizer Kantone ermutigen, dem Konsortium „Staatszentrum für digitale Souveränität” beizutreten.

Gleichzeitig deutet die kontinuierliche Weiterentwicklung von openDesk darauf hin, dass 2026 das Jahr der „hybriden Souveränität” werden könnte: Regierungen behalten proprietäre Lizenzen für spezifische, unkritische Bereiche bei, während sensible Abteilungen und Kerninfrastruktur auf souveräne Open-Source-Plattformen migrieren.

„Wir sprechen nicht mehr nur über Software”, stellte Stürmer fest. „Wir sprechen darüber, wer die digitale Infrastruktur des Staates kontrolliert.”

Anzeige

PS: Sie planen, kritische Infrastruktur und Behördendaten souverän zu hosten? Unser Gratis-Toolkit fürs revDSG enthält fertige Vorlagen, Audit-Checklisten und Praxis-Tipps, damit Kantone, Kommunen und Behörden die Umsetzung schnell und rechtssicher erledigen – ohne teure Beratungsstunden. Enthalten sind Beispiele für Verarbeitungsverzeichnisse, Muster für Betroffenenanfragen und konkrete Empfehlungen zur Datenhaltung. Jetzt RevDSG-Toolkit kostenlos sichern

@ boerse-global.de