Rufbereitschaft, Versicherungsschutz

Rufbereitschaft: Versicherungsschutz endet an der Wohnungstür

22.11.2025 - 05:53:12

Landessozialgericht entscheidet, dass gesetzlicher Unfallversicherungsschutz bei Rufbereitschaft erst ab Verlassen der Haustür greift - mit Konsequenzen für Arbeitsverträge.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zieht eine scharfe Grenze: Wer im Bereitschaftsdienst zu Hause stürzt, ist nicht unfallversichert. Erst ab der Haustür greift der gesetzliche Schutz – eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen für flexible Arbeitsmodelle.

Die Rechtsprechung zu Arbeitsunfällen im Homeoffice schien klar. Doch diese Woche sorgte ein Urteil für Aufruhr in Personalabteilungen: Ein 72-jähriger Abschleppfahrer stürzte nachts in seinem Treppenhaus, als er zu einem Noteinsatz eilte. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab – mit Erfolg vor Gericht.

Unfall um zwei Uhr morgens: Wo beginnt der Dienst?

Der Fall wirkt auf den ersten Blick absurd: Mitten in der Nacht klingelt das Telefon, ein Notfall. Der Mitarbeiter springt auf, hetzt zur Tür – und stolpert über einen Ziegelstein im Hausflur. Diagnose: Gehirnerschütterung, Krankenhausaufenthalt nötig.

Doch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az. L 3 U 42/24) stellte klar: Der Versicherungsschutz beginnt erst an der Außentür des Wohngebäudes. Was davor passiert? Privatsache. Die Begründung der Richter: Während der Rufbereitschaft könne der Arbeitnehmer privaten Tätigkeiten nachgehen – schlafen, essen, fernsehen. Die Wohnung bleibe primär Privatraum, nicht Betriebsstätte.

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Eine Logik, die vielen Unternehmen den Boden unter den Füßen wegzieht. Denn was unterscheidet Rufbereitschaft eigentlich vom klassischen Homeoffice?

Homeoffice ist nicht gleich Homeoffice

Die juristische Trennlinie verläuft messerscharf – und für Laien kaum nachvollziehbar. Das Bundessozialgericht hatte Ende 2021 entschieden, dass der morgendliche Gang vom Bett zum Schreibtisch im Homeoffice unfallversichert ist. Schließlich diene diese Tätigkeit unmittelbar dem Arbeitgeber.

Bei Rufbereitschaft gilt das nicht. Hier argumentieren die Richter: Die Anwesenheit zu Hause sei überwiegend privat motiviert. Erst der tatsächliche Aufbruch zum Einsatzort – dokumentiert durch das Überschreiten der Haustürschwelle – markiere den Beginn der versicherten Tätigkeit.

Die Kernunterschiede im Überblick:

Telearbeit/Homeoffice: Der häusliche Arbeitsplatz wird zur temporären Betriebsstätte. Wege innerhalb der Wohnung zum Schreibtisch sind versichert, wenn sie arbeitsbezogen sind.

Rufbereitschaft: Die Wohnung bleibt Privatraum. Versicherungsschutz greift erst ab Verlassen des Gebäudes – egal, wie dringend der Einsatz ist.

Eine Unterscheidung, die in der Praxis dramatische Folgen haben kann. Wer im Schlafanzug die Treppe hinunterstürzt, trägt das Risiko selbst.

Was Arbeitgeber jetzt tun müssen

Die Compliance-Abteilungen deutscher Unternehmen stehen vor einer unangenehmen Aufgabe: Tausende Arbeitsverträge müssen überprüft werden. Die Annahme, dass alle heimbasierten Arbeitstätigkeiten automatisch unfallversichert seien, hat sich als Trugschluss erwiesen.

Konkrete Handlungsschritte:

Erstens: Arbeitsverträge müssen klar zwischen “Mobilarbeit/Homeoffice” und “Rufbereitschaft” unterscheiden. Mitarbeiter brauchen eine explizite Information, dass sich ihr Versicherungsstatus ändert – selbst wenn sie sich physisch am selben Ort befinden.

Zweitens: Sicherheitsunterweisungen sollten auf häusliche Gefahren während der Rufbereitschaft hinweisen. Der Sturz auf der private Treppe fällt möglicherweise nur unter die private Krankenversicherung, nicht unter den umfassenderen BG-Schutz.

Drittens: Unternehmen sollten prüfen, ob eine ergänzende Gruppenunfallversicherung für Schlüsselpersonal mit häufigen Bereitschaftsdiensten sinnvoll ist. Die Versicherungslücke könnte sich als Haftungsrisiko erweisen.

Flickenteppich der Rechtsprechung

Das Urteil passt in eine widersprüchliche Entwicklung. Während das Bundessozialgericht in den letzten Jahren den Versicherungsschutz für Homeoffice-Tätigkeiten erweiterte, bremst das Berliner Landessozialgericht nun. Die Botschaft: Die gesamte Privatwohnung wird nicht automatisch zur Betriebsstätte, nur weil ein Arbeitstelefon klingeln könnte.

“Das Gericht zieht eine Linie im Sand – oder besser gesagt: an der Türschwelle”, kommentierte die Fachplattform Jura.cc. “Sie verhindern, dass das gesamte Privatleben unter den Begriff ‘Arbeitsplatz’ fällt.”

Doch die Rechtsunsicherheit bleibt. Verschiedene Landesgerichte interpretieren “mobile Arbeit” unterschiedlich. Rechtsexperten erwarten, dass der Fall letztlich vor dem Bundessozialgericht landen wird. Bis dahin gilt die strikte Auslegung: Für Bereitschaftsdienste endet das Sicherheitsnetz der gesetzlichen Unfallversicherung an der Haustür.

Eine Revision ist noch möglich. Ob der 72-jährige Abschleppfahrer sein Recht auf höchster Ebene sucht, ist unbekannt. Sicher ist nur: Seine nächtliche Stolperfalle hat eine Grundsatzdebatte ausgelöst, die weit über seinen Fall hinausreicht.

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