Richterbund, Digitalisierungs-Pakt

Richterbund warnt: Digitalisierungs-Pakt für Justiz droht zu scheitern

08.12.2025 - 07:10:12

Während Hessen die erste aktive KI für Richter einführt, blockiert die Politik die bundesweite Finanzierung. Droht Deutschland jetzt eine Zwei-Klassen-Justiz?

Der deutsche Richterbund schlägt Alarm: Der dringend benötigte „Pakt für den Rechtsstaat” ist am vergangenen Donnerstag bei der Ministerpräsidentenkonferenz gescheitert – und mit ihm drohen 210 Millionen Euro für die Digitalisierung der Gerichte verloren zu gehen. Das Problem: Während einzelne Bundesländer technologisch vorpreschen, fehlt die politische Einigung über die Finanzierung. Die Folge könnte eine gespaltene Justizlandschaft sein, in der wohlhabende Länder mit KI arbeiten und ärmere noch mit Papierakten kämpfen.

Am Freitag, 5. Dezember, veröffentlichte der Richterbund Mecklenburg-Vorpommern eine scharfe Stellungnahme. Der Vorwurf: Die Ministerpräsidenten hätten den „Pakt für den Rechtsstaat 2.0″ von der Tagesordnung genommen oder zumindest unentschieden gelassen – aus budgetären Gründen.

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„Das Scheitern der Einigung sendet ein besorgniserregendes Signal”, heißt es in der Erklärung. Ohne die zugesagte Bundesunterstützung drohe das Justizsystem unter hohen Fallzahlen und zunehmender Komplexität zusammenzubrechen.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 2.000 Richter und Staatsanwälte fehlen bundesweit. Dazu kommt ein „erheblicher Digitalisierungsbedarf”, den die Länder allein nicht stemmen können. Der Richterbund warnt eindringlich: „Ohne zusätzliches Personal und qualifizierte Kräfte drohen weitere Verfahrensverzögerungen das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat zu untergraben.”

Die Richter fordern mehr als nur eine einmalige Finanzspritze. Es brauche ein dauerhaftes strukturelles Bekenntnis mit „konsequenter Digitalisierung” und wettbewerbsfähiger Bezahlung.

Hessen führt erste aktive Justiz-KI ein

Während in Berlin verhandelt wird, schafft Hessen Fakten. Am Mittwoch, 3. Dezember, kündigte Justizminister Christian Heinz (CDU) beim „Forum KI” in Wiesbaden einen Durchbruch an: Das erste KI-Tool für den echten Gerichtsbetrieb steht unmittelbar vor dem Einsatz.

„Erstmals wird ein KI-Tool in der hessischen Justiz nicht nur getestet, sondern für richterliche Tätigkeiten genutzt”, verkündete Heinz. Anders als frühere Pilotprojekte soll dieses Werkzeug Richter und Staatsanwälte im Arbeitsalltag unterstützen.

Die Funktionen der Generativen KI umfassen:
* Schnelles Durchsuchen umfangreicher Rechtstexte und Akten
* Zusammenfassen komplexer Dokumente
* Strukturierung ungeordneter Daten für die richterliche Prüfung

Digitalministerin Kristina Sinemus betonte, dass eine robuste digitale Infrastruktur die Voraussetzung für solche Innovationen sei – Teil der Strategie „KI made in Hessen”. Damit positioniert sich das Bundesland an der Spitze der Debatte um Eigen- oder Fremdentwicklung von KI-Lösungen für die Justiz.

210 Millionen Euro in der Schwebe

Wie brisant die Blockade tatsächlich ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Im November einigten sich Bund und Länder beim Digitalgipfel in Leipzig eigentlich schon auf die „Digitalsäule” des Pakts. Das Bundesjustizministerium sagte bis zu 210 Millionen Euro zwischen 2027 und 2029 für folgende Projekte zu:

  • Cloud-Infrastruktur: Aufbau einer souveränen Justiz-Cloud
  • Zivilprozess-Modernisierung: Online-Portale für Zivilverfahren
  • KI-Integration: Förderung von Projekten wie dem hessischen Vorstoß

Doch genau diese 210 Millionen stehen jetzt auf der Kippe. Die Reaktion des Richterbunds deutet darauf hin, dass ohne politisches Bekenntnis der Ministerpräsidenten die Gelder im Bundeshaushalt verschwinden könnten – gerade im Wahljahr eine reale Gefahr.

Die Uhr tickt: E-Akte-Frist 2027

Der Zeitdruck ist enorm. Zwar wurde die Übergangsfrist für die elektronische Akte (E-Akte) bis 1. Januar 2027 verlängert, doch die notwendige Infrastruktur muss jetzt aufgebaut werden. Der Richterbund hatte bereits im August 2025 betont, dass diese Verzögerung nötig war, weil die IT-Landschaft zu fragmentiert sei.

Kann die Infrastruktur wirklich rechtzeitig stehen, wenn die Finanzierung fehlt? Experten bezweifeln das zunehmend.

Droht eine Zwei-Klassen-Justiz?

„Wir erleben eine gefährliche Abkopplung”, warnen Beobachter der Rechtstechnik-Branche. „Reiche Bundesländer wie Hessen und Bayern können sich KI-Implementierung leisten, während andere kaum die elektronische Akte stemmen können.”

Das Risiko: Deutschland könnte bis 2027 ein gespaltenes Justizsystem haben. In einigen Ländern arbeiten Richter mit KI-Assistenz und volldigitalen Workflows, in anderen dominieren weiterhin Papierstapel und personelle Engpässe.

Der Richterbund spricht Klartext: „Föderale Haushaltstaktik” dürfe nicht auf dem Rücken der Justiz ausgetragen werden. Die explizite Formulierung zeigt, dass die Blockade nicht als technisches, sondern als politisches Problem wahrgenommen wird.

Was kommt jetzt?

Der Druck auf die Ministerpräsidenten wächst. Der Richterbund fordert eine schnellstmögliche Verabschiedung des Pakts. Ohne ihn bleibt die „Digitalsäule” Theorie statt Realität.

Rechtsexperten erwarten für die kommenden Wochen:

  • Anhaltende Unsicherheit: Bis die Ministerpräsidentenkonferenz erneut tagt, bleiben die 210 Millionen Euro im Limbo.
  • Weitere Länder-Alleingänge: Mehr Bundesländer dürften eigene Wege gehen, wie Hessen es vorgemacht hat.
  • Eskalation der Verbände: Bleibt der Pakt im Dezember blockiert, könnten Richtervereinigungen ihre Proteste verschärfen – mit möglichen Auswirkungen auf Gerichtstermine Anfang 2026.

Die Technik ist bereit, wie Wiesbaden beweist. Doch die politische Einigung, sie zu finanzieren, fehlt. Und damit droht Deutschland im internationalen Vergleich der Justiz-Digitalisierung weiter zurückzufallen.

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