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Politische Posts auf Social Media: Kündigung bleibt schwierig

02.12.2025 - 23:29:13

Die außerordentliche Kündigung eines Profifußballers wegen umstrittener Instagram-Posts zum Nahost-Konflikt ist unwirksam – so urteilte das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz. Für Arbeitgeber wird die Latte damit noch höher gelegt: Selbst kontroverse politische Äußerungen reichen nicht für eine fristlose Entlassung, wenn keine strafrechtlichen Grenzen überschritten werden.

Das Urteil macht deutlich: Meinungsfreiheit wiegt schwerer als Reputationssorgen des Arbeitgebers. Wer Mitarbeiter wegen privater Postings entlassen will, muss massive Störungen des Betriebsfriedens nachweisen können. Eine bloße Abmahnung als milderes Mittel? Für die meisten Fälle mittlerweile Pflicht.

Ein Profifußballer hatte auf Instagram den umstrittenen Slogan “From the river to the sea, Palestine will be free” geteilt. Sein Verein, der sich einer “historischen Verantwortung gegenüber Israel” verpflichtet sieht, forderte einen Widerruf. Als der Spieler ablehnte, folgte die fristlose Kündigung – angeblich wegen schwerer Pflichtverletzung und Reputationsschaden.

Doch das LAG Rheinland-Pfalz sah das anders (Az. 3 SLa 254/24). Die Richter bestätigten am 12. November 2025 die Vorinstanz: Keine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung nach § 626 BGB. Das Gericht stellte klar, dass politische Meinungsäußerungen – wie polarisierend auch immer – vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 5 GG) gedeckt sind, solange sie nicht zur Gewalt aufrufen oder strafrechtlich relevante Volksverhetzung darstellen.

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Die zentrale Botschaft: Arbeitgeber müssen erst mildere Mittel ausschöpfen, bevor sie zur härtesten Waffe greifen. Das “Ultima Ratio”-Prinzip des deutschen Arbeitsrechts gilt auch bei brisanten Social-Media-Posts.

Drei Hürden für verhaltensbedingte Kündigungen

Wann rechtfertigt ein politischer Post überhaupt eine Kündigung? Arbeitsrechtler nennen drei Kriterien, die kumulativ erfüllt sein müssen:

1. Strafrechtliche Relevanz: Der Post muss Volksverhetzung oder strafbare Beleidigung darstellen – bloße Meinungsäußerungen, selbst extreme, reichen nicht.

2. Konkrete Betriebsstörung: Nachweisbare, erhebliche Störung des Betriebsfriedens – nicht nur hypothetische Befürchtungen oder diffuses Unbehagen im Team.

3. Messbare Reputationsschäden: Schwerwiegende, belegbare Imageschäden beim Arbeitgeber, die das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers überwiegen.

Im rheinland-pfälzischen Fall scheiterte der Verein an allen drei Punkten. Das Gericht sah weder eine strafrechtlich relevante Äußerung noch einen konkreten Beweis für Betriebsstörungen oder messbare Reputationsschäden, die eine sofortige Trennung rechtfertigen würden.

Parallelen zum Düsseldorfer Urteil

Das Urteil reiht sich ein in eine Entwicklung, die Arbeitsgerichte zunehmend arbeitnehmerfreundlich positioniert. Das LAG Düsseldorf hatte Ende 2024 ähnlich geurteilt (Az. 3 SLa 313/24): Ein Schlosser, der antisemitische Inhalte auf Facebook teilte, wurde gekündigt – doch auch diese Kündigung war unwirksam.

Warum? Der Arbeitnehmer hatte seine Arbeitgeber-Information bei Facebook seit Jahren nicht aktualisiert. Das Gericht argumentierte: Ohne direkten Bezug zum aktuellen Arbeitgeber fehlt die Grundlage für Reputationsschäden. Eine Abmahnung hätte ausgereicht.

Die Ausnahme: Sogenannte Tendenzbetriebe – Organisationen mit politischer, religiöser oder weltanschaulicher Ausrichtung wie Kirchen, Stiftungen oder Gewerkschaften. Dort gelten engere Grenzen für die Meinungsfreiheit, wenn Äußerungen der Unternehmensmission widersprechen. Der Fußballverein versuchte sich auf diesen Status zu berufen, scheiterte aber.

Was Betriebsräte jetzt wissen müssen

Für Betriebsräte sind diese Urteile wertvolle Munition im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG. Bei Kündigungen wegen politischer Posts sollten sie folgende Fragen stellen:

Hat der Arbeitgeber vorher abgemahnt? Ohne vorherige Warnung bei vergleichbarem Verhalten ist die Kündigung meist angreifbar.

Liegt eine strafrechtlich relevante Äußerung vor? Oder handelt es sich lediglich um eine unbequeme Meinung, die das Unternehmen nicht teilt?

Gibt es Beweise für Betriebsstörungen? Hypothetische Befürchtungen oder allgemeines “Unbehagen” reichen nicht – es braucht konkrete Vorfälle.

Arbeitsrechtler Felix Haeringer betont: “Eine ‘Null-Toleranz-Politik’ bei Social Media kann den gesetzlichen Kündigungsschutz nicht einfach aushebeln.” Betriebsräte haben starke Argumente für einen Widerspruch, wenn diese Kriterien nicht erfüllt sind – was dem Arbeitnehmer Weiterbeschäftigung während des Gerichtsverfahrens sichert.

Social-Media-Richtlinien statt Schnellschüsse

Mit zunehmender politischer Polarisierung dürften solche Konflikte 2026 häufiger werden. Arbeitsrechtler raten Arbeitgebern eindringlich, von reaktiven Kündigungen Abstand zu nehmen und stattdessen in klare, rechtssichere Social-Media-Richtlinien zu investieren.

“Arbeitgeber können nicht darauf zählen, dass Gerichte als Sittenwächter ihrer Belegschaft fungieren”, heißt es in der rechtlichen Analyse zum Urteil. “Solange keine strafrechtliche Grenze überschritten wird, schützen deutsche Arbeitsgerichte die Privatsphäre und politische Freiheit der Arbeitnehmer mit großer Konsequenz.”

Das Fazit für HR-Abteilungen: Die fristlose Kündigung wegen politischer Posts – selbst höchst kontroverser – bleibt eine juristische Hochrisikostrategie. Am Ende stehen häufig Wiedereinstellung und Nachzahlung ausstehender Gehälter. Prävention durch klare Kommunikation schlägt Reaktion durch rechtlich wackelige Trennungen.

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