ROUNDUPLuftraumverletzung, Estland

Nach der erneuten Verletzung seines Luftraums durch Russland hat Estland Konsultationen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags beantragt.

19.09.2025 - 21:30:35

Estland beantragt Nato-Konsultationen

"Wir halten es für notwendig, uns mit unseren Verbündeten zu beraten, damit alle auf einem gemeinsamen Informationsstand sind und wir die nächsten gemeinsamen Schritte festlegen können", wurde Regierungschef Kristen Michal in einer Mitteilung der Regierung des baltischen EU- und Nato-Landes in Tallinn mit. Der Artikel sieht Beratungen mit den Verbündeten vor, wenn sich ein Nato-Staat von außen gefährdet sieht.

Estland hatte zuvor die Verletzung seines Luftraums durch Russland gemeldet. Nach Armeeangaben waren drei Kampfjets vom Typ MIG-31 am Morgen nahe der Ostsee-Insel Vaindloo unerlaubt in den Luftraum eingedrungen und hätten sich insgesamt zwölf Minuten darin aufgehalten. "Eine solche Verletzung ist völlig inakzeptabel, und die Reaktion der Nato auf jede Provokation muss einheitlich und entschieden sein", sagte Michal. "Das gesamte Bündnis nimmt diesen Vorfall ernst."

Russische Kampfjets über polnischer Ölplattform

Am Abend meldete dann auch Polen, zwei russische Kampfjets hätten sich im Tiefflug einer polnischen Bohrinsel in der Ostsee genähert. Die Kampfflugzeuge hätten die Bohrplattform Petrobaltic in einer Flughöhe von 150 Metern angeflogen, schrieb die Sprecherin des Innenministeriums auf X. Dabei sei die Sicherheitszone über der Plattform verletzt worden, teilte der Grenzschutz auf X mit. "Die polnischen Streitkräfte und andere Dienste wurden benachrichtigt." Zur Verletzung der Staatsgrenze kam es nicht, sagte eine Sprecherin der Behörde dem Sender TVN24.

Die Öl-Plattform, die dem polnischen Konzern Orlen Petrobaltic gehört, befindet sich in der polnischen Wirtschaftszone der Ostsee, etwa 70 km nördlich von Jastarnia.

Nato-Kampfflugzeuge im Einsatz über Ostsee

Eine Nato-Sprecherin bestätigte den Vorfall in Estland auf X. Dies sei ein weiteres Beispiel für das rücksichtslose Verhalten Russlands. Die Nato habe sofort reagiert und die russischen Flugzeuge abgefangen. "Die Lage war unter Kontrolle. Nato-Kampfflugzeuge reagierten und die russischen Flugzeuge mussten sich zurückziehen", sagte Michal. Nato-Generalsekretär Mark Rutte bezeichnete die Nato-Reaktion auf X als schnell und entschlossen.

Nach estnischen Angaben waren dabei F-35-Kampfjets der italienischen Luftwaffe im Einsatz, die die parallel zur estnischen Grenze von Ost nach West geflogenen russischen Kampfflugzeuge in die Region Kaliningrad eskortierten. Auch Schweden und Finnland ließen nach Nato-Angaben ihre Luftwaffe aufsteigen. Die an Russland grenzenden Länder Estland, Lettland und Litauen besitzen keine eigenen Kampfjets. Die Nato-Verbündeten sichern deshalb im Wechsel den baltischen Luftraum.

Estnischer Außenminister: "beispiellos dreist"

Das estnische Außenamt bestellte einer Mitteilung zufolge wegen des Vorfalls den Geschäftsträger der russischen Botschaft ein und überreichte eine Protestnote. "Russland hat in diesem Jahr viermal den estnischen Luftraum verletzt, was an sich schon inakzeptabel ist. Doch die heutige Verletzung, bei der drei Kampfjets in unseren Luftraum eingedrungen sind, ist beispiellos dreist", teilte Außenminister Margus Tsahkna mit.

Auf Russlands zunehmende Grenzüberschreitungen und wachsende Aggressivität müsse mit einer raschen Erhöhung des politischen und wirtschaftlichen Drucks reagiert werden, forderte er.

Die Flugzeuge hätten keine Flugpläne übermittelt, ihre elektronische Kennung ausgeschaltet gehabt und auch keinen Funkkontakt mit der estnischen Flugsicherung gehalten.

Kallas: "Äußerst gefährliche Provokation"

EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sprach von einer "äußerst gefährlichen Provokation". Sie verwies darauf, dass es die dritte Verletzung des EU-Luftraums innerhalb weniger Tage gewesen sei und dies die Spannungen in der Region weiter verschärfe. "Putin stellt die Entschlossenheit des Westens auf die Probe. Wir dürfen keine Schwäche zeigen", schrieb die Estin auf der Plattform X und sicherte ihrem Heimatland die volle Solidarität der EU zu.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb in einem Post auf X, man werde auf jede Provokation entschlossen reagieren und in eine stärkere Ostflanke investieren. EU-Ratspräsident António Costa kündigte auf X an, die europäischen Staats- und Regierungschefs würden über eine gemeinsame Reaktion bei einem Treffen Anfang Oktober in Kopenhagen beraten.

Deutschlands Außenminister Johann Wadephul bezeichnete das Eindringen der russischen Kampfjets in den estnischen Luftraum als "inakzeptabel". "Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit", schrieb der CDU-Politiker auf der Plattform X. Dieses Nato-Prinzip habe nichts an Aktualität eingebüßt.

Frankreich verurteilte den Vorfall aufs Schärfste, wie es aus dem Außenministerium in Paris hieß. Das "gefährliche und verantwortungslose" Eindringen in den Luftraum eines EU-Staates sei "eine neue Provokation von Russland und ein offensichtlicher Bruch des internationalen Rechts".

Die Bundestagsabgeordnete Jeanne Dillschneider forderte, die Lücken in der Luftverteidigung zu schließen. Man müsse verhindern, "dass ein offener Himmel zur offenen Flanke unserer Sicherheit wird", sagte die Grünen-Politikerin, die auch im Verteidigungsausschuss sitzt.

Vor etwa 10 Jahren: Türkei schießt russischen Jet ab

Bei einem russischen Luftangriff auf die Ukraine war erst in der vergangenen Woche eine große Zahl von Drohnen in den Luftraum Polens und damit der Nato geflogen. Die polnische Luftwaffe und andere Nato-Verbündete schossen erstmals einige der Flugkörper ab. Auch Warschau beantragte nach dem Vorfall Nato-Konsultationen nach Artikel 4. Später kam es zu weiteren Vorfällen, bei denen mutmaßlich gezielt russische Drohnen über Polen und Rumänien gelenkt wurden.

Im November 2015 hatte eine mutmaßliche Luftraumverletzung Russlands zu einer tiefen diplomatischen Krise zwischen Moskau und Ankara geführt. Damals schossen türkische F-16-Jets ein russisches Kampfflugzeug ab. Während die Türkei Russland eine Luftraumverletzung vorwarf und damit den Abschuss begründete, bestritt Moskau stets über türkischem Gebiet geflogen zu sein.

@ dpa.de