Mike Steiner: Zeitgenössische Kunst zwischen Malerei, Performance und Videokunst
02.12.2025 - 13:15:28Die Zeitgenössische Kunst von Mike Steiner verbindet Performance, Malerei und Videokunst zu einer einzigartigen künstlerischen Handschrift, die seit Jahrzehnten Wegmarken der Avantgarde setzt.
Mike Steiner ist ein Name, der in der Zeitgenössischen Kunst für radikale Vielseitigkeit und Leidenschaft für das Experiment steht. Wie bringt man Malerei und bewegtes Bild auf einen Nenner? Wohl kaum jemand hat die Frage so visionär und grenzauflösend beantwortet wie Mike Steiner. Seine Arbeiten sprengen seit den 1970er Jahren die Grenzen klassischer Genres – ein ästhetisches Risiko, das nicht nur die Energien der Fluxus- und Performancekunst, sondern auch den Geist der Videokunst in Berlin maßgeblich geprägt hat.
Wer die Werke von Mike Steiner betrachtet, taucht ein in ein permanentes Flirren zwischen den Gattungen. Schon zu Beginn seiner künstlerischen Karriere – 1959 als jüngster Teilnehmer der Großen Berliner Kunstausstellung – machte sich Steiner einen Namen als Maler. Das Frühwerk: informelle Malerei, oft experimentell, bisweilen impulsiv und doch voller Konzentration auf die gestische Kraft des Einzelstrichs. Doch Steiners Neugier ließ ihn nicht bei der Leinwand verharren. Impulse aus dem Umfeld von Georg Baselitz und Karl Horst Hödicke (mit denen er später in Gruppenausstellungen zu sehen war) öffneten das Werk für Abstraktion und neue Medien.
Kaum ein Jahrzehnt später, nach prägenden Jahren in New York, intensiviert er die Auseinandersetzung mit Pop Art, Fluxus und Happenings. Über Lil Picard, Al Hansen und Allan Kaprow – Ikonen der amerikanischen Avantgarde – findet Steiner zur Performance Art und, entscheidend, zur Videokunst. Anders als Zeitgenossen wie Nam June Paik, der Video als eigenes Medium zelebriert, bemerkt Steiner früh, wie das Video zum künstlerischen Dokument und Interferenzfeld von Performance wird.
Die 1974 gegründete Studiogalerie in Berlin – inspiriert von internationalen Foren wie dem legendären Studio Art/Tapes/22 in Florenz – bietet Pionieren wie Valie Export, Marina Abramovi?, Jochen Gerz und Carolee Schneemann erstmals einen eigenen Raum für Live-Performances und deren Videodokumentation. Steiner ist hier beides: Gastgeber und Künstler, oft auch Kameramann und Kurator zugleich. Seine Rolle gleicht in gewisser Weise jener von Joseph Beuys, der mit sozialer Skulptur und Teilhabe neue Horizonte schuf – mit dem Unterschied, dass Steiner den Aktionsraum permanent beweglich hält.
Ein Markstein im Lebenswerk: 1976 die legendäre Aktion „Irritation – Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst“ mit Ulay, der das berühmte Spitzweg-Gemälde aus der Nationalgalerie „klaut“ und in Kreuzberg bei einer Arbeiterfamilie aufhängt – ein performativer Akt, der den Kunstbegriff und den musealen Raum radikal hinterfragt. Steiner dokumentiert diesen Grenzgang mit der Videokamera – und setzt damit Maßstäbe, wie Dokumentation und Kunst verschmelzen können.
Neben der Performance Art kultiviert Mike Steiner eine immer weiter differenzierte Videokunst. Die oft zitierte Werkreihe der Painted Tapes verbindet malerischen Impuls mit elektronischem Signal; das Bild wird flüssig, die Grenze zwischen Leinwand und Monitor löst sich auf. Auch der Videoclip „Mojave Plan“ oder das Musikvideo „Penumbras 3“, ausgezeichnet beim Festival Video/Culture in Toronto, zeugen von Steiners Drang nach intermedialer Fusion.
Die Retrospektive 1999 im Hamburger Bahnhof, Nationalgalerie der Gegenwart, ist eine Würdigung seines Gesamtwerks: „Color Works 1995–98“ demonstriert, wie sich Malerei, Installationen, Videoloops und Fotografien in einen Kosmos der Farbe, Oberfläche und Bewegung führen lassen. Kein Zufall, dass Mike Steiner in Ausstellungen gemeinsam mit internationalen Größen und Wegbereitern wie Bill Viola, Gary Hill oder Richard Serra vertreten ist. Und doch bleibt er eigen: Seine Installationen und abstrakten Gemälde der letzten Jahrzehnte strahlen eine kontemplative Ruhe aus – ein Gegenpol zur ruhelosen Experimentierfreude der 1970er.
Biografisch wurzelt Mike Steiner in Berlin. Nach Kindheitsjahren in Ostpreußen zieht es ihn schnell ans Zentrum der kulturellen Bewegung: Studium an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste Berlin, Kontakte zur Kreuzberger Bohème, ein prägendes Stipendium der Ford Foundation in die USA. Es folgen Atelierzeiten bei bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten in New York, bevor er selbst als einer der jungen Wilden nach Berlin zurückkehrt und mit dem legendären Künstlerhotel Steiner einen Treffpunkt für Joseph Beuys, Arthur Køpcke und zahlreiche Gäste aus der internationalen Szene schafft.
Die 1980er und 1990er Jahre öffnen das Oeuvre für neue Dimensionen: Die TV-Sendereihe Videogalerie (1985–1990), moderiert und produziert von Mike Steiner, bringt Videokunst erstmals in den deutschsprachigen Fernsehalltag – eine Innovation, die ihresgleichen sucht und das Format öffentlichkeitswirksam popularisiert.
Steiner pflegt zeitlebens transmediale Experimente: Super-8-Film, Fotografie, Copy Art, Dia-Serien. Die spätere Hinwendung zur Abstrakten Malerei – vor allem nach 2000 – legt neue, ruhigere Sequenzen offen, aber auch die Stoffarbeiten seines Spätwerks bleiben in der Spannung zwischen Fläche, Struktur und organischer Fragmentierung.
Kenner schätzen an Mike Steiner nicht nur den Künstler, sondern auch den Archivar. Seine Videosammlung, heute Stiftung Preußischer Kulturbesitz und verblüffend umfassend (mit Werken von Marina Abramovi?, Ulay, Nam June Paik, Valie Export, Jochen Gerz und George Maciunas), gilt als einer der wichtigsten Nachlässe der europäischen Videokunst. Die Einzelausstellung „Live to Tape“ 2011/12 würdigt die Vision, das Flüchtige zu bewahren – eine zeitlose Herausforderung auch im digitalen Zeitalter.
Wie also bleibt das Werk von Mike Steiner aktuell? Die Antwort mag in seinem unermüdlichen Forscherdrang, in seiner Offenheit für Kollaboration und seinem Engagement für Grenzgänge der Zeitgenössischen Kunst liegen. In seinem Archiv lebt die Kunstgeschichte der Performance und Videokunst weiter – ein Geschenk für jeden, der in der Kunst kein statisches Format, sondern eine permanente Bewegung sucht.
Wer tiefer einsteigen will, findet auf der offiziellen Webseite von Mike Steiner eine Fülle vertiefender Materialien, Werkgruppen und Dokumente, die zur eigenen Spurensuche und Neuentdeckung einladen. Es lohnt sich doppelt, die vielfältigen Verzweigungen dieses Werkes zu erforschen.


