Beschuss, KI-Blockade

Meta unter Beschuss: EU ermittelt wegen KI-Blockade bei WhatsApp

05.12.2025 - 18:10:12

Brüssel geht gegen den Tech-Konzern vor. Der Vorwurf wiegt schwer: Meta soll seine Marktmacht missbrauchen, um konkurrierende KI-Anbieter systematisch vom weltweit meistgenutzten Messenger auszusperren – während die hauseigene „Meta AI” freie Fahrt hat.

Die Europäische Kommission eröffnete gestern, am 4. Dezember, offiziell ein Kartellverfahren gegen den Facebook-Mutterkonzern. Im Zentrum steht eine umstrittene Änderung der Geschäftsbedingungen, die Regulierungsbehörden als gezielte Wettbewerbsverzerrung einstufen. Damit setzt die neue Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera ein erstes deutliches Signal: Die EU wird ihren harten Kurs gegen die Tech-Giganten auch 2025 fortsetzen.

Konkret geht es um eine Policy-Änderung, die Meta im Oktober 2025 ankündigte und die ab dem 15. Januar 2026 für alle Geschäftskunden verbindlich wird. Die neuen Regeln für die „WhatsApp Business Solution” verbieten Drittanbietern faktisch die Nutzung der Plattform, wenn deren Hauptgeschäft KI-Chatbots oder universelle KI-Assistenten sind.

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Laut Kommission entsteht dadurch ein „eingezäunter Garten”: Unternehmen dürfen KI für Nebentätigkeiten nutzen – etwa automatisierte Kundenservice-Antworten. Sobald sie aber eigenständige KI-Dienste anbieten, die mit Metas Produkten konkurrieren könnten, ist Schluss. Metas eigener „Meta AI”-Assistent bleibt hingegen vollständig integriert und für alle Nutzer zugänglich.

„Die KI-Märkte boomen in Europa und darüber hinaus”, erklärte Teresa Ribera am Donnerstag. „Wir müssen sicherstellen, dass europäische Bürger und Unternehmen vollständig von dieser technologischen Revolution profitieren können – und verhindern, dass dominante digitale Platzhirsche ihre Macht missbrauchen, um innovative Wettbewerber zu verdrängen.”

Der Konzern weist die Vorwürfe scharf zurück. Ein WhatsApp-Sprecher bezeichnete die Untersuchung in einer Stellungnahme vom Donnerstagabend als „haltlos”.

Meta argumentiert, die Regelung sei technisch notwendig, keine strategische Blockade. Die WhatsApp-Business-Schnittstelle sei schlicht nicht für den dauerhaften, hochvolumigen Datenaustausch ausgelegt, den universelle KI-Chatbots benötigen würden. Solche Nutzung würde „unsere Systeme belasten, wofür sie nicht konzipiert wurden”.

„Der KI-Bereich ist hart umkämpft. Menschen haben auf vielfältige Weise Zugang zu den Diensten ihrer Wahl – über App-Stores, Suchmaschinen oder Betriebssysteme”, betonte das Unternehmen. WhatsApp sei primär ein Kommunikationswerkzeug für Menschen, keine Hosting-Plattform für KI-Agenten von Drittanbietern.

Strategischer Zeitpunkt, rechtlicher Sonderweg

Die Untersuchung deckt den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab – mit einer bemerkenswerten Ausnahme: Italien bleibt außen vor. Die italienische Wettbewerbsbehörde hatte bereits früher in diesem Jahr eigene Ermittlungen eingeleitet. Brüssel verzichtet bewusst auf Überschneidungen, was zeigt, unter welchem juristischen Druck Meta europaweit steht.

Rechtlich interessant: Das Verfahren läuft nach klassischem Kartellrecht (Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU), der den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen verbietet. Es handelt sich nicht um ein Verfahren nach dem Digital Markets Act (DMA), der neueren Präventiv-Regulierung – obwohl die Themen Gatekeeper-Funktion und Plattformneutralität verblüffend ähnlich sind.

„Das ist ein klassisches ‘Essential Facility’-Argument, adaptiert fürs KI-Zeitalter”, analysiert Dr. Elena Kogan, Wettbewerbsrechtlerin in Brüssel. „Die Kommission argumentiert, dass WhatsApp zu einer so kritischen Infrastruktur für den Zugang zu Verbrauchern geworden ist, dass das Verbot rivalisierender KIs einem illegalen Ausschluss gleichkommt.”

Was steht auf dem Spiel?

Der Zeitpunkt ist brisant. Während generative KI vom Gimmick zur alltäglichen Nutzung übergeht, entwickeln sich Messenger-Apps zur primären Schnittstelle für KI-Interaktionen. Mit der Integration von Meta AI Anfang 2025 positionierte der Konzern seinen Assistenten als Standardoption für Millionen Europäer.

Sollten sich die Bedenken der Kommission bestätigen, könnte Metas Strategie ein wachsendes Ökosystem europäischer KI-Start-ups ersticken – von personalisierten Lern-Bots bis zu KI-Reiseagenten, die auf WhatsApps Reichweite angewiesen sind.

Die Ermittlungen fügen sich in einen größeren Kontext: Erst diese Woche wurden potenzielle Strafen gegen weitere Tech-Plattformen nach dem Digital Services Act (DSA) bekannt. Die Botschaft ist eindeutig – die EU verschärft ihren Griff auf die digitale Souveränität.

Wie geht es weiter?

Die Eröffnung eines formellen Verfahrens bedeutet keine automatische Schuldfeststellung, setzt Meta aber unter Zugzwang.

Unmittelbare Folgen: Meta muss seine Policy zwar rechtlich nicht sofort aussetzen. Der Druck könnte aber zu einer „freiwilligen” Verschiebung der für den 15. Januar 2026 geplanten Durchsetzung führen.

Mögliche Strafen: Bei einem Schuldspruch drohen Geldbußen von bis zu 10 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes – gemessen an den Geschäftszahlen 2024/2025 könnten das Milliarden Euro werden.

Abhilfemaßnahmen: Neben Geldstrafen könnte die Kommission Meta zwingen, die Nutzungsbedingungen neu zu formulieren und Dritt-KI-Dienste explizit zuzulassen – möglicherweise verbunden mit technischen Upgrades der Schnittstelle.

Die Fronten sind klar: Brüssel will verhindern, dass die nächste Generation von KI-Diensten von den Social-Media-Giganten der vergangenen Dekade vereinnahmt wird. Meta beharrt darauf, lediglich die technische Integrität seiner Infrastruktur zu schützen. Angesichts der Dynamik im KI-Sektor dürfte das Verfahren prioritär behandelt werden – eine endgültige Entscheidung könnte dennoch Monate dauern.

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