Düsseldorf, Verdächtige

LAG Düsseldorf: Verdächtige Krankmeldung schützt Lohnanspruch nicht automatisch

21.11.2025 - 23:39:12

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die umstrittene Rechtsprechung zu “passgenauen” Krankmeldungen während der Kündigungsfrist präzisiert. Die am 18. November 2025 ergangene Entscheidung zeigt: Ein verdächtiger Zeitpunkt allein reicht nicht aus, um die Lohnfortzahlung zu verweigern – wenn die ärztliche Aussage überzeugt.

Die Crux für Personalabteilungen: Seit der Verschärfung durch das Bundesarbeitsgericht 2021 und 2023 galt quasi als Faustregel, dass Arbeitnehmer, die exakt während ihrer Kündigungsfrist erkranken, ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Beweisnot bringen. Doch das LAG Düsseldorf macht deutlich – diese “erschütterte Beweiskraft” ist kein Freifahrtschein für Arbeitgeber.

Ein Elektroniker kündigte am 15. März 2024 sein Arbeitsverhältnis. Nach einem Streit über das korrekte Kündigungsdatum – der Arbeitgeber korrigierte auf den 31. Mai 2024 – arbeitete der Mann bis zum 6. Mai. Am 7. Mai meldete er sich krank: Spannungskopfschmerzen, exakt zwei Wochen lang bis zum 21. Mai. Danach nahm er nahtlos seinen Resturlaub. Ergebnis: Er erschien nie wieder zur Arbeit.

Der Arbeitgeber verweigerte die Lohnfortzahlung von 1.362,60 Euro. Seine Begründung: Die Krankmeldung sei vorgetäuscht, um die Zeit bis zum Vertragsende zu überbrücken – klassische “Zeiteinheit” nach BAG-Rechtsprechung.

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Das LAG Düsseldorf (Az. 3 SLa 138/25) entschied am 18. November anders. Anders als das erstinstanzliche Arbeitsgericht überzeugte die behandelnde Ärztin die Richter. Die Medizinerin mit 24 Jahren Berufserfahrung erklärte glaubhaft: Sie selbst – nicht der Patient – habe die zweiwöchige Krankschreibung aufgrund akuter Stressbelastung und Arbeitsplatzkonflikts festgelegt. Das Gericht wertete dies als schlüssig, obwohl Spannungskopfschmerzen objektiv schwer nachweisbar sind.

Experten: “Zweifel allein genügen nicht”

Arbeitsrechtler Dr. Jens Usebach (jura.cc) analysierte das Urteil bereits heute, am 21. November. Sein Fazit: “Aus Arbeitgebersicht passte alles ins Bild eines Mitarbeiters, der den letzten Monat schlicht nicht arbeiten wollte. Doch das LAG musste alle Umstände umfassend würdigen – und die ärztliche Beweisaufnahme zerstreute die Zweifel.”

Die Kernbotschaft? Arbeitgeber dürfen bei “passgenauen” Krankmeldungen skeptisch sein. Doch wenn die medizinischen Beweise einer gerichtlichen Prüfung standhalten, reicht der Zeitplan allein nicht aus. Das Gericht betonte: Eine zweiwöchige Krankschreibung wegen konfliktbedingten Stresses sei medizinischer Standard – selbst wenn sie direkt vor dem Urlaubsbeginn endet.

Rechtsentwicklung: Zwischen Härte und Einzelfallprüfung

Das Düsseldorfer Urteil fügt sich in eine widersprüchliche Rechtsprechungslandschaft ein:

Die strengen Präzedenzfälle (2021–2023)
* September 2021: Das BAG (5 AZR 149/21) urteilte, dass die Beweiskraft einer AU “erschüttert” ist, wenn Kündigung und Krankmeldung am selben Tag für die exakte Kündigungsfrist erfolgen.
* Dezember 2023: Das BAG erweiterte dies (5 AZR 137/23): Selbst spätere Krankmeldungen, die die verbleibende Frist vollständig abdecken, rechtfertigen Zweifel.

Der Online-AU-Kontrast (September 2025)
Das LAG Hamm zeigte am 5. September 2025 (Az. 14 SLa 145/25) null Toleranz bei Verfahrenstricks: Ein Arbeitnehmer wurde fristlos gekündigt, weil er eine “Online-AU” per Fragebogen ohne Arztkontakt vorlegte. Hier galt das Attest selbst als betrügerisch.

Die Trennlinie ist klar: Eine ordentliche ärztliche Untersuchung, wie im Düsseldorfer Fall, wiegt schwer. Ein reines Digital-Attest (Hamm) nicht.

Was bedeutet das für Personalabteilungen?

1. Prüfen, nicht pauschal verweigern: Die automatische Lohnverweigerung bei überschneidenden Krankmeldungen ist riskant. Die “erschütterte Beweiskraft” öffnet ein Verfahren – garantiert aber keinen Sieg.

2. Der Arzt entscheidet: Vor Gericht hängt alles an der behandelnden Ärztin oder dem Arzt. Können diese die medizinische Notwendigkeit schlüssig darlegen – selbst bei verdächtigem Timing – übertrumpft das die Indizienlage.

3. Konflikte dokumentieren: Das Gericht würdigte die Vorgeschichte von Arbeitsplatzkonflikten als Beleg für stressbedingte Symptome. Ironischerweise können HR-Akten über frühere Streitigkeiten die Glaubwürdigkeit der Krankmeldung stärken.

Kein Revisionsverfahren zugelassen

Das LAG Düsseldorf ließ keine Revision zum BAG zu – die Entscheidung sei eine Tatsachenfrage, keine grundsätzliche Rechtsfrage. Das Urteil gilt damit bindend für die Region und bundesweit als überzeugendes Argument.

Die Botschaft Ende November 2025 an den deutschen Arbeitsmarkt: Der “gelbe Schein” ist kein unumstößlicher Beweis – aber ein verdächtiger Zeitpunkt auch kein automatischer Grund zur Zahlungsverweigerung. Die konkrete medizinische Realität des Einzelfalls bleibt entscheidend.

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