Kündigungsschutz und 40-Stunden-Woche: Deutschland streitet über Arbeitsmarkt-Reform
15.11.2025 - 16:50:12Die deutsche Wirtschaftspolitik erlebt einen heftigen Richtungsstreit. Binnen 72 Stunden haben zwei prominente Stimmen – Wirtschaftsweise Veronika Grimm und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer – Forderungen auf den Tisch gelegt, die das Fundament des deutschen Arbeitsmarktes erschüttern könnten. Lockerung des Kündigungsschutzes, Rückkehr zur 40-Stunden-Woche, Kürzung der Lohnfortzahlung bei Krankheit: Was wie ein Frontalangriff auf Arbeitnehmerrechte klingt, wird als Rezept gegen die wirtschaftliche Stagnation verkauft. Doch was steckt hinter den Vorstößen? Und wie realistisch sind diese Pläne?
Die Diskussion kommt nicht von ungefähr. Deutschlands Wirtschaft kämpft mit Wachstumsschwäche, während der internationale Wettbewerbsdruck zunimmt. Die zentrale Frage lautet: Wie viel Flexibilität braucht der Arbeitsmarkt, um produktiver zu werden – ohne die sozialen Errungenschaften zu opfern?
Den Auftakt machte Veronika Grimm am 13. November. Die Nürnberger Professorin und Mitglied des Sachverständigenrates forderte in den Funke-Zeitungen eine deutliche Aufweichung des Kündigungsschutzes. Ihr Argument: Die aktuellen Regelungen verhindern, dass Arbeitskräfte zu produktiveren Unternehmen wechseln. „Gerade im Strukturwandel ist das fatal”, so die Ökonomin.
Als Vorbild dient ihr das dänische Modell der „Flexicurity”. Dort können Arbeitgeber deutlich leichter kündigen, dafür gibt es höheres Arbeitslosengeld und eine effektivere Arbeitsvermittlung. Grimms These: Weniger Kündigungsschutz, mehr soziale Absicherung – so könne die Wirtschaft schneller reagieren und Wachstumschancen nutzen. Auch Unternehmensgründer würden nicht länger durch die Angst vor komplizierten Kündigungsverfahren abgeschreckt.
Viele Unternehmen stehen jetzt vor der Frage, wie sich Arbeitszeiten und Überstunden rechtssicher regeln lassen. Ein kostenloses E-Book erklärt praxisnah, wie Sie Arbeitszeiten, Pausen- und Ruhezeiten sowie Überstunden korrekt dokumentieren – inklusive Vorlagen zur Umsetzung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung und Tipps zur rechtssicheren Anordnung von Mehrarbeit. Ideal für Personaler und Führungskräfte in Zeiten wechselnder Arbeitszeitmodelle. Arbeitszeiten & Überstunden: Gratis-Leitfaden herunterladen
Über den Kündigungsschutz hinaus fordert Grimm eine umfassende Deregulierung: Weniger Berichtspflichten im Klima- und Energiebereich, weniger bürokratische Hürden im Arbeitsrecht. Nur so könne Deutschland aus der Stagnation herausfinden.
Kretschmer legt nach: 40 Stunden als Standard
Zwei Tage später, am 15. November, schaltete sich Michael Kretschmer ein. Der sächsische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Chef nannte Grimms Vorschlag einen „interessanten Ansatz” und warnte vor vorschnellen hysterischen Reaktionen. Gleichzeitig erweiterte er die Debatte um ein eigenes Kernthema: die Arbeitszeit.
Kretschmers Forderung ist unmissverständlich: Die 40-Stunden-Woche muss wieder zum Standard werden. Nur so könne Deutschland international konkurrenzfähig bleiben. Doch damit nicht genug: Er brachte eine „Karenzregel” bei der Lohnfortzahlung ins Spiel. Die ersten ein oder zwei Krankheitstage würden nicht mehr bezahlt – im Gegenzug solle bei längeren Erkrankungen die Zahlung verlängert werden. „Das ist solidarisch”, argumentierte der CDU-Politiker.
Die Botschaft ist klar: Mehr arbeiten, weniger Schutz bei kurzen Ausfällen. Kritiker dürften darin einen Angriff auf das Prinzip der Lohnfortzahlung sehen, das seit Jahrzehnten zum Kern der deutschen Sozialpolitik gehört.
Alte Fronten, neue Schärfe
Neu sind die Diskussionen nicht. Seit Monaten streiten Arbeitgeber und Gewerkschaften über eine Reform des Arbeitszeitgesetzes. Die Regierungskoalition plant, von der täglichen zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit überzugehen. Unternehmen jubeln, Gewerkschaften warnen vor 12-Stunden-Tagen und Gesundheitsrisiken.
Auch die Digitalisierung spielt eine Rolle: Ab 1. Januar 2025 können Arbeitsverträge dank des Vierten Bürokratieentlastungsgesetzes auch per E-Mail geschlossen werden. Ein kleiner Schritt, der zeigt, wie sehr die Politik um Flexibilität ringt.
Doch die aktuellen Vorstöße gehen weiter. Sie greifen nicht nur Details an, sondern stellen Grundprinzipien infrage: Kündigungsschutz als Wachstumsbremse? 40-Stunden-Woche als Wettbewerbsvorteil? Das sind Thesen, die das Selbstverständnis der sozialen Marktwirtschaft herausfordern.
Ein gefährlicher Balanceakt
Die Politik steht vor einem Dilemma. Einerseits ist der Ruf der Wirtschaft nach mehr Flexibilität nicht von der Hand zu weisen. Bürokratie lähmt, starre Regelungen bremsen Innovation. Dänemark zeigt, dass ein anderes Modell funktionieren kann – allerdings bei deutlich höheren Sozialleistungen.
Andererseits sind die deutschen Arbeitnehmerrechte keine Willkür, sondern historisch gewachsene Schutzinstrumente. Gewerkschaften werden die Vorschläge als Frontalangriff auf die Beschäftigten verstehen. Ihre Argumente: Weniger Kündigungsschutz bedeutet mehr Unsicherheit. Längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich gehen zulasten der Gesundheit. Eine Karenzregel bei Krankheit bestraft die Schwächsten.
Die kommenden Wochen werden zeigen, ob aus den Forderungen konkrete Gesetzentwürfe werden. Kretschmer hat als CDU-Vize politisches Gewicht, Grimm als Wirtschaftsweise wissenschaftliche Autorität. Doch ob das reicht, um den massiven Widerstand von Gewerkschaften, SPD und Teilen der Grünen zu überwinden, ist mehr als fraglich.
Wirtschaft gegen Sozialstaat?
Die Debatte offenbart einen fundamentalen Konflikt: Wie viel Wirtschaftsdynamik verträgt der Sozialstaat? Grimm und Kretschmer argumentieren aus wirtschaftlicher Sicht – mehr Flexibilität, weniger Regulierung, höhere Arbeitsleistung. Ihre Gegner werden mit sozialen Argumenten kontern: Schutz vor Willkür, Recht auf Erholung, Absicherung bei Krankheit.
Das Kernversprechen der sozialen Marktwirtschaft steht auf dem Prüfstand: die Balance zwischen Wachstum und Sicherheit. Für viele Arbeitnehmer dürften die Vorschläge wie ein Angriff auf diese Balance wirken. Für die Wirtschaft sind sie möglicherweise überfällige Reformen.
Die Antwort auf die Frage, welche Seite sich durchsetzt, wird nicht nur die Arbeitsmarktpolitik der kommenden Jahre prägen. Sie wird zeigen, welches Deutschland wir sein wollen: flexibel und wettbewerbsstark – oder sozial abgesichert und schützend gegenüber den Beschäftigten. Vielleicht aber auch beides, wenn ein tragfähiger Kompromiss gefunden wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür? Im Moment eher gering.
PS: Sie sind in der Personal- oder Führungsverantwortung und möchten jetzt konkrete Handlungssicherheit? Der kostenlose Arbeitszeiten-Guide liefert Checklisten für die tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeit, Vorlagen zur Dokumentation von Überstunden sowie praktische Hinweise zu Pausen- und Ruhezeiten – ideal, um künftige Gesetzesänderungen rechtskonform umzusetzen. Jetzt Arbeitszeiten-Checkliste gratis herunterladen


