Krankengeld, Schein

Krankengeld: Warum der gelbe Schein nicht mehr schützt

27.11.2025 - 11:51:12

Das Sozialgericht Mannheim hat eine Entscheidung getroffen, die Millionen Arbeitnehmer aufhorchen lässt: Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arzt garantiert keine Krankengeld-Zahlung mehr. Die Krankenkassen können die Leistung stoppen – selbst wenn der behandelnde Mediziner weiter krankschreibt.

Die Rechtsprechung könnte nicht aktueller sein. Angesichts milliardenschwerer Defizite verschärfen die gesetzlichen Krankenkassen ihre Kontrollen massiv. Im Zentrum steht der Medizinische Dienst (MD), der immer häufiger die Einschätzung niedergelassener Ärzte aushebelt.

Der Präzedenzfall aus Mannheim (Az. S 4 KR 143/18) zeigt die neue Realität deutlich: Eine Briefzustellerin litt unter Handschmerzen. Ihr Arzt bescheinigte ihr durchgehend Arbeitsunfähigkeit – schließlich musste sie täglich Lasten bis 30 Kilogramm heben und ein schweres Fahrrad manövrieren.

Nach monatelanger Krankengeld-Zahlung schaltete die Kasse den MD ein. Dessen Gutachter kam zu einem anderen Schluss: Die Handfunktion sei ausreichend wiederhergestellt. Die Versicherung stoppte daraufhin sofort die Zahlungen.

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Die Briefträgerin zog vor Gericht – und verlor. Die Richter gaben dem MD-Gutachten den Vorrang. Begründung: Die Funktionseinschränkungen seien nicht gravierend genug, um die Arbeitsfähigkeit auszuschließen.

Aktenlage statt Untersuchung: Die umstrittene Praxis

Besonders brisant: Der Medizinische Dienst trifft seine Entscheidungen zunehmend ohne persönliche Untersuchung – rein nach Aktenlage. Verbraucherzentralen warnen seit November verstärkt vor dieser Methode.

Was bedeutet das konkret? Ein MD-Arzt durchforstet Krankenakten, Arztbriefe und Befunde am Schreibtisch – und entscheidet dann über die Arbeitsfähigkeit. Der Patient bekommt den Gutachter nie zu Gesicht.

“Viele Versicherte sind schockiert, wenn sie bei einem frischen gelben Schein plötzlich eine Zahlungseinstellung erhalten”, erklärt Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt. “Aber die Rechtslage ist eindeutig: Die Kasse ist nicht blind an die Meinung des Hausarztes gebunden.”

Beweislast kehrt sich um

Die juristische Crux liegt im Detail: Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besitzt zwar einen hohen Beweiswert – doch dieser ist nicht absolut. Ein überzeugendes MD-Gutachten kann diesen Wert “erschüttern”, wie Juristen es formulieren.

Stoppt die Kasse die Zahlung, verschiebt sich die Beweislast zurück zum Patienten. Dieser muss nun beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig ist – während ihm gleichzeitig das Geld ausgeht.

Die Folge: Viele Betroffene landen in einer finanziellen Notlage und müssen Arbeitslosengeld beantragen oder eine Erwerbsminderungsrente ins Auge fassen, während sie parallel um ihr Krankengeld prozessieren.

Drei Sofortmaßnahmen bei Zahlungsstopp

Sozialrechtsexperten raten zu raschem Handeln. Passives Abwarten verschlimmert die Situation nur.

Erstens: Widerspruch innerhalb eines Monats einlegen. Ein korrekt formulierter Widerspruch kann eine aufschiebende Wirkung entfalten – die Kasse müsste theoretisch weiterzahlen. Allerdings bestreiten viele Versicherer diese Auslegung vehement.

Zweitens: Persönliche Untersuchung einfordern. Basiert die MD-Entscheidung nur auf Akten, sollten Betroffene eine körperliche Begutachtung verlangen. Bei negativem Bescheid steht ihnen ein Zweitgutachten durch einen anderen MD-Arzt zu.

Drittens: Lückenlose ärztliche Dokumentation sichern. Auch wenn die Kasse “gesund” sagt, müssen Patienten ihre Behandlung fortsetzen. Der Arzt sollte detailliert dokumentieren, warum die MD-Einschätzung medizinisch nicht haltbar ist.

2026: Noch strengere Kontrollen erwartet

Die Verschärfung beim Krankengeld ist kein Einzelfall. Angesichts milliardenschwerer Defizite steht die gesetzliche Krankenversicherung massiv unter Druck. Für 2026 erwarten Analysten eine weitere Verschärfung.

“Wir beobachten einen Trend, dass der Medizinische Dienst deutlich früher eingeschaltet wird – teilweise schon nach wenigen Wochen Krankengeld”, berichtete ein Sprecher einer großen Sozialberatung diese Woche.

Das Mannheimer Urteil sendet eine klare Botschaft: Der gelbe Schein ist ein starkes Indiz, aber keine Versicherungspolice mehr. Wer länger erkrankt ist, muss aktiv um sein Recht kämpfen – und braucht im Zweifel juristischen Beistand.

Die Zeit des stillen Vertrauens in die Papiere vom Hausarzt ist vorbei.

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