Kölner, Arbeitsgericht

Kölner Arbeitsgericht: Inhousing-Strategien brauchen Betriebsrat-Zustimmung

21.11.2025 - 10:39:12

Ein wegweisendes Urteil des Arbeitsgerichts Köln zwingt Unternehmen zum Umdenken: Wer Dienstleistungen durch Mitarbeiter-Qualifizierung ins eigene Haus holen will, muss den Betriebsrat mit ins Boot holen – und zwar von Anfang an.

Die heute veröffentlichte Analyse des Expertenforums Arbeitsrecht (EFAR) zum Beschluss (Az. 13 BVGa 5/25) zeigt, welche Sprengkraft in dieser Entscheidung steckt. Besonders brisant: Arbeitgeber können die Mitbestimmung nicht mehr durch geschicktes Labeling ihrer Schulungsprogramme umgehen.

Der Fall dreht sich um eine bundesweite Einzelhandelskette mit 68 Filialen. Das Unternehmen wollte Reparaturen von verkauften Produkten (Kategorien F, K und E), die bisher externe Dienstleister erledigten, durch eigene Mitarbeiter durchführen lassen. Kostensenkung und Qualitätskontrolle lauteten die Schlagworte – klassische Inhousing-Strategie im angespannten Wirtschaftsklima 2025.

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Die Lösung schien einfach: Man bot Verkaufspersonal „freiwillige” Schulungen für „einfache Reparaturen” und „kleine handwerkliche Tätigkeiten” an. Das Label lautete bewusst „Einweisung” nach § 81 BetrVG – eine Klassifizierung, die keine zwingende Betriebsrats-Beteiligung erfordert hätte.

Der Gesamtbetriebsrat sah das anders und zog vor Gericht. Mit Erfolg.

Die entscheidende Trennlinie: Befähigung statt Briefing

Was unterscheidet eine simple Einweisung von echter Berufsbildung? Das Arbeitsgericht Köln zog eine klare Linie, die nun bundesweite Beachtung findet.

Der sogenannte „funktionale Befähigungstest” rückt ins Zentrum: Nicht die Dauer der Schulung zählt, nicht die Bezeichnung durch den Arbeitgeber, nicht einmal die Komplexität der Aufgabe. Entscheidend ist der Zweck.

Einweisung (§ 81 BetrVG): Passt vorhandenes Wissen an einen neuen Arbeitsplatz an. Beispiel: Ein ausgebildeter Tischler lernt, wo in der neuen Werkstatt das Werkzeug liegt.

Berufsbildung (§ 98 BetrVG): Befähigt Mitarbeiter zu Aufgaben, die sie vorher nicht ausführen konnten. Hier: Verkaufspersonal wird zu Reparatur-Dienstleistern.

Das Gericht stellte unmissverständlich fest: Wer Verkäufern beibringt, Reparaturen durchzuführen – selbst „einfache” –, vermittelt neue Fähigkeiten für eine neue Funktion. Das ist Berufsbildung. Punkt.

„Freiwillig” schützt nicht vor Mitbestimmung

Besonders pikant für die Personal-Strategen: Die „Freiwilligkeit” der Teilnahme spielt keine Rolle für die kollektiven Rechte des Betriebsrats. Das EFAR betont in seiner Analyse, dass diese Formulierung eine beliebte, aber wirkungslose Schutzbehauptung darstellt.

Da das Schulungskonzept zentral für alle 68 Filialen entwickelt wurde, bestätigte das Gericht zudem die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats – nicht der lokalen Gremien. Das vereinfacht zwar die Verhandlungen, erhöht aber gleichzeitig den Druck auf die Arbeitgeberseite.

Die Konsequenz: Das Gericht erließ eine einstweilige Verfügung und stoppte die Schulungsoffensive sofort. Ohne Betriebsvereinbarung läuft nichts.

HR-Abteilungen müssen Strategie überdenken

Für Unternehmen bedeutet das Urteil einen strategischen Paradigmenwechsel. Inhousing-Projekte, die jegliche Form von Mitarbeiter-Qualifizierung erfordern, brauchen zwingend eine ausgehandelte Betriebsvereinbarung – und zwar vor der Umsetzung.

„Die Entscheidung macht deutlich, dass Agilität nicht auf Kosten gesetzlicher Mitbestimmungsrechte gehen kann”, heißt es im EFAR-Kommentar. Wer diese Regel missachtet, riskiert nicht nur juristische Niederlagen, sondern auch kostspielige Verzögerungen bei strategischen Rollouts.

Rechtsexperten prognostizieren bereits jetzt eine Welle ähnlicher Verfahren. Denn immer mehr Unternehmen setzen auf interne Talentpools, um den Fachkräftemangel zu kompensieren. Die Abgrenzung zwischen „Arbeitsplatzeinweisung” und „formaler Schulung” dürfte zum häufigsten Streitthema vor Arbeitsgerichten werden.

Was Unternehmen jetzt tun sollten

HR-Verantwortliche sollten ihre laufenden und geplanten Schulungskataloge dringend überprüfen. Die korrekte Einordnung nach BetrVG ist keine Formalie mehr, sondern erfolgskritisch für jeden Transformationsprozess.

Mit der Möglichkeit, nicht-konforme Programme per einstweiliger Verfügung zu stoppen, hat der Gesamtbetriebsrat ein wirksames Instrument in der Hand. Proaktiver Dialog mit den Arbeitnehmervertretern ist damit kein Zugeständnis mehr – sondern Geschäftsnotwendigkeit.

Die Botschaft aus Köln ist unmissverständlich: Wer Inhousing erfolgreich umsetzen will, muss den Betriebsrat als Partner verstehen, nicht als Hindernis.

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