Jobwechsel, Kündigung

Jobwechsel schlägt Kündigung: Gerichtsurteil zwingt HR zum Umdenken

23.11.2025 - 00:20:11

Wer kranke Mitarbeiter loswerden will, muss künftig mehr als nur Fehlzeiten zählen. Das Arbeitsgericht Köln hat diese Woche klargestellt: Eine erfolgreiche Versetzung macht spätere Kündigungen wegen alter Krankheitstage ungültig. Was bedeutet das für deutsche Personalabteilungen?

Der Fall aus Köln könnte zum Präzedenzfall werden. Ein Logistikmitarbeiter hatte zwischen 2021 und 2025 häufig krankheitsbedingt gefehlt. Im Mai 2025 kündigte der Arbeitgeber – doch das Gericht machte einen Strich durch die Rechnung. Der Grund: Neun Monate zuvor war der Mann aus der körperlich belastenden Nachtschicht ins Tagbüro gewechselt. Die Krankheitstage sanken daraufhin auf nur noch 23 in neun Monaten.

Das Urteil vom 18. November (Az. 13 Ca 3566/25) dreht sich um eine simple Frage: Kann ein Arbeitgeber kündigen, wenn er selbst bewiesen hat, dass es auch anders geht? Die Kölner Richter sagen: Nein. Wer einen kranken Mitarbeiter erfolgreich auf einen passenderen Arbeitsplatz versetzt, kann sich nicht mehr auf dessen alte Fehlzeiten berufen.

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„Das Gericht kritisierte den Arbeitgeber scharf dafür, die eindeutige Verbesserung nach dem Rollenwechsel zu ignorieren”, analysieren Rechtsexperten von jura.cc. Die für eine Kündigung notwendige „negative Gesundheitsprognose” ließ sich angesichts der erfolgreichen Wiedereingliederung nicht mehr aufrechterhalten.

Konkret: Der Mitarbeiter arbeitete zuvor nachts im Freien unter körperlicher Belastung. Nach dem Wechsel ins klimatisierte Tagesbüro brachen die Fehlzeiten ein. Das Gericht rechnete vor: Hochgerechnet würde der Mann die kritische Marke von sechs Wochen Krankheit pro Jahr unterschreiten.

Parallel dazu sorgt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. November für zusätzlichen Handlungsdruck. Im Fall 6 AZR 131/25 ging es um Tarifverträge, die befristet Beschäftigte schlechter stellen als Festangestellte.

Die Karlsruher Richter ließen keine Gnade walten: Verstößt ein Tarifvertrag gegen das Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 2 TzBfG, haben benachteiligte Befristete sofort Anspruch auf Gleichbehandlung. Keine Übergangsfrist, keine Chance für die Tarifparteien zur Nachbesserung. Die Haftung tritt unmittelbar ein.

Für HR-Abteilungen bedeutet das: Bestehende Tarifverträge und interne Richtlinien müssen jetzt auf den Prüfstand. Wer abwartet, riskiert Nachzahlungen und Rechtsstreitigkeiten.

Beide Urteile senden die gleiche Botschaft: Das Mitarbeitergespräch ist 2025 kein weiches HR-Instrument mehr, sondern ein harter rechtlicher Schutzschild. Im Kölner Fall bewies das Ergebnis eines Gesprächs – die vereinbarte Schichtwechsel-Regelung – dass die spätere Kündigung unverhältnismäßig war.

„Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist das gesetzliche Sicherheitsnetz, das Austrittsgespräch das unterschätzte Frühwarnsystem”, erklärt die HR-Strategin Dr. Lena Weber. „Wer nicht dokumentiert, warum Mitarbeiter gehen, macht denselben Fehler wie jene, die nicht erfassen, warum sie krank werden. Beides fehlt die strukturierte Dokumentation.”

Auch wenn kein Höchstgericht diese Woche explizit zu Exit Interviews urteilte: Das Kölner Urteil erhöht indirekt deren Bedeutung. Denn es beweist: Ein dokumentiertes Gespräch kann einen Job retten. Diese Beweiskraft gilt für alle formalen Mitarbeiterdialoge – ob es ums Bleiben, Zurückkehren oder Gehen geht.

Die Rechtsprechung Ende 2025 verlangt eine rigorosere Herangehensweise an Personalgespräche. Drei konkrete Schritte sind überfällig:

BEM-Ergebnisse prüfen: Vor jeder krankheitsbedingten Kündigung muss geprüft werden, ob kürzlich getroffene Maßnahmen überhaupt Zeit hatten zu wirken. Eine vorschnelle Kündigung nach erfolgreichem Arbeitsplatzwechsel ist nach dem Kölner Urteil hochriskant.

Befristungsregeln überprüfen: Tarifverträge müssen sofort auf Ungleichbehandlung zwischen befristet und unbefristet Beschäftigten durchforstet werden. Das BAG-Urteil erlaubt keine Warteschleife bis zur nächsten Tarifverhandlung.

Daten verknüpfen: Austrittsgespräche sollten BEM-Strategien informieren. Wenn ausscheidende Mitarbeiter „Nachtschicht-Stress” nennen, nutzt diese Information, um erkrankten Kollegen proaktiv Tagschichten anzubieten – bevor es ein Gericht erzwingt.

Der Kölner Fall zeigt: Ein einziger gut durchgeführter Arbeitsplatzwechsel kann jahrelange Krankheitshistorie überschreiben. Vorausgesetzt, der Dialog fand statt und seine Ergebnisse wurden respektiert. Wer 2025 noch nach alter Fehlzeiten-Arithmetik kündigt, hat die neue Rechtslage verschlafen.

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