In-house-Schulungen: Betriebsrat erhält Vetorecht bei internen Weiterbildungen
24.11.2025 - 09:40:12Ein wegweisendes Urteil stellt Personalstrategien deutscher Unternehmen auf den Prüfstand: Wer Weiterbildungen ins eigene Haus holt, kommt am Betriebsrat nicht vorbei. Das Arbeitsgericht Köln verschärft die Mitbestimmungspflichten – und gibt Betriebsräten einen mächtigen Hebel in die Hand.
Die Kernbotschaft ist eindeutig: Unternehmen können sich nicht durch „In-housing” von Schulungsmaßnahmen aus der Mitbestimmung stehlen. Was zunächst wie ein Detail aus dem Arbeitsrecht klingt, hat weitreichende Konsequenzen für die gesamte Personalentwicklung – besonders in Zeiten der Digitalisierung und Transformation.
Das Expertenforum Arbeitsrecht (#EFAR) machte am 21. November 2025 mit seiner Analyse auf das Kölner Urteil aufmerksam. Seitdem diskutiert die Fachpresse intensiv über die Tragweite dieser Entscheidung. Heute, am 24. November, widmet sich auch die Legal Tribune Online dem Thema in ihrer Presseschau.
Passend zum Thema Mitbestimmung: Viele HR-Verantwortliche unterschätzen, welche Mitbestimmungsrechte Betriebsräte bei internen Qualifizierungen haben. Ein kostenloses E‑Book erklärt verständlich, welche Rechte sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergeben, wann der Gesamtbetriebsrat einzubinden ist und wie Sie rechtssichere Schulungskonzepte entwickeln. Mit praktischen Checklisten und Formulierungshilfen für Personaler, damit Upskilling‑Projekte nicht an Formalien scheitern. Jetzt kostenlosen BetrVG‑Leitfaden herunterladen
Der konkrete Fall zeigt, worum es geht: Ein Unternehmen hatte Reparaturarbeiten jahrelang ausgelagert. Nun wollte man diese Tätigkeiten wieder selbst übernehmen – wirtschaftlich durchaus nachvollziehbar. Also entwickelte die Firma ein internes Schulungsprogramm, um die eigenen Beschäftigten für diese neuen technischen Aufgaben fit zu machen.
Soweit der Plan. Doch der Gesamtbetriebsrat sah das anders. Die Arbeitnehmervertretung argumentierte, dass es sich um betriebliche Berufsbildung nach § 98 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) handele. Und damit greife das volle Mitbestimmungsrecht.
Der Arbeitgeber wiegelte ab: Es seien doch nur Arbeitsanweisungen, betriebliche Änderungen, aber keine formelle Berufsbildung. Das Arbeitsgericht Köln folgte dieser Argumentation nicht – mit erheblichen Folgen für die deutsche Wirtschaft.
Qualifizierung schlägt Etikettierung
Das Gericht stellte klar: Entscheidend ist nicht, wie der Arbeitgeber die Maßnahme nennt. Auch die Dauer spielt keine Hauptrolle. Worauf es ankommt, ist der funktionale Zweck.
Frederike Emme vom Expertenforum Arbeitsrecht bringt es auf den Punkt: „Entscheidend ist der funktionale Qualifizierungszweck. Geht es um echtes Befähigen – also das Erlernen neuer Inhalte – oder nur um das Zurechtfinden im Betrieb mit vorhandener Kompetenz?”
Diese Unterscheidung hat Gewicht. Wer Mitarbeiter mit neuen Fähigkeiten ausstattet, die sie für veränderte Rollen benötigen, betreibt betriebliche Berufsbildung. Punkt. Egal ob in einem teuren externen Seminarhotel oder im hauseigenen Konferenzraum.
§ 98 BetrVG: Die unterschätzte Waffe des Betriebsrats
Paragraph 98 des Betriebsverfassungsgesetzes regelt die Mitbestimmung bei Berufsbildungsmaßnahmen. Das klingt trocken, ist aber hochbrisant. Der Betriebsrat hat dabei mitzureden bei:
- Der Auswahl der Trainer und Ausbilder
- Der Auswahl der Teilnehmer
- Der konkreten Durchführung der Maßnahmen
Das Kölner Urteil macht unmissverständlich klar: Diese Rechte gelten auch dann, wenn Schulungen ins Unternehmen geholt werden. In-housing ist kein Ausweg aus der Mitbestimmung.
Der Unterlassungsanspruch: Ein echter Hebel
Besonders brisant: Das Gericht bestätigte das Recht des Betriebsrats auf Unterlassung.
Paragraph 98 BetrVG enthält zwar keine explizite Sanktion bei Missachtung. Doch das Gericht leitete einen allgemeinen Unterlassungsanspruch ab, um die Wirksamkeit des Mitbestimmungsrechts zu sichern. Praktisch bedeutet das: Startet ein Arbeitgeber eine interne Schulung ohne Zustimmung des Gesamtbetriebsrats, kann dieser vor Gericht einen sofortigen Stopp erwirken.
Der Betriebsrat erhält damit faktisch einen „Notaus-Knopf” für strategische Personalentwicklungsprojekte. Für Unternehmen in der digitalen Transformation – wo schnelle Upskilling-Programme oft erfolgsentscheidend sind – bedeutet dies: Ohne Betriebsrat geht nichts.
Ein Trend setzt sich fort
Diese Entscheidung reiht sich ein in eine Serie von Urteilen, die Betriebsratsrechte bei Weiterbildungen stärken. Bereits 2024 und 2025 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Autonomie der Arbeitnehmervertreter ausgebaut.
So entschied das BAG (7 ABR 8/23), dass Betriebsräte selbst wählen dürfen, ob sie Präsenzseminare oder Webinare bevorzugen – selbst wenn die Vor-Ort-Variante teurer ist. Die Kosten trägt der Arbeitgeber.
Das aktuelle Kölner Urteil schließt nun eine potenzielle Lücke: Unternehmen könnten versucht gewesen sein, durch „Akademie”-Gründungen oder Ad-hoc-Schulungen sowohl externe Seminarkosten als auch Mitbestimmung zu umgehen. Diese Hoffnung ist nun endgültig begraben.
Was HR-Abteilungen jetzt tun müssen
Arbeitsrechtler raten Personalverantwortlichen und Geschäftsführungen zu sofortiger Überprüfung ihrer internen Schulungsstrategien.
Konkrete Handlungsempfehlungen:
1. Funktionalen Zweck ermitteln: Prüfen Sie jede geplante interne Schulung kritisch. Vermittelt sie neue Kompetenzen (Qualifizierung)? Dann greift vermutlich § 98 BetrVG. Erklärt sie nur die Bedienung eines neuen Tools (Unterweisung)? Dann eventuell nicht.
2. Gesamtbetriebsrat frühzeitig einbinden: Bei standardisierten, unternehmensweiten oder standortübergreifenden Schulungen ist der Gesamtbetriebsrat zuständig. Binden Sie ihn bereits in der Planungsphase ein – nicht erst kurz vor Schulungsbeginn.
3. Unterlassungsklagen einkalkulieren: Wer ohne Zustimmung vorprescht, riskiert gerichtlich angeordnete Stopps. Ein eingefrorenes Upskilling-Programm kann ganze Restrukturierungszeitpläne durcheinanderbringen.
Ausblick: KI macht’s kompliziert
Die Grenze zwischen „Unterweisung” und „Berufsbildung” dürfte 2026 noch häufiger zum Streitpunkt werden. Der Grund: künstliche Intelligenz und Automatisierungssysteme erfordern „hybride” Qualifizierungen – kurze, intensive Lerneinheiten, die genau auf dieser Schwelle balancieren.
Basierend auf den diese Woche bekräftigten Prinzipien sind Betriebsräte gut positioniert, auch bei KI-Literacy-Programmen und Digital-Upskilling-Initiativen Mitbestimmung einzufordern. Unternehmen sollten sich darauf einstellen: Auch „agiles” Lernen erfordert „strukturierte” Mitbestimmung.
Die Botschaft des Arbeitsgerichts Köln ist klar: Wer Mitarbeiter für neue Aufgaben qualifiziert, muss den Betriebsrat mitnehmen. Diese Grundregel gilt unabhängig davon, ob die Schulung im Konferenzraum, im Seminarhotel oder virtuell stattfindet. In-housing ist kein Freibrief – es ist nur eine andere Adresse für dieselben Mitbestimmungsrechte.
PS: Planen Sie interne Upskilling-Programme? Das kostenlose E‑Book zum Betriebsverfassungsgesetz erklärt praxisnah, wie Sie Schulungen rechtssicher gestalten, Beteiligungsrechte des Betriebsrats korrekt einbinden und Unterlassungsrisiken vermeiden. Ideal für Personaler und Geschäftsleitungen, die Digitalisierungs- und Weiterbildungsprojekte ohne juristische Verzögerungen umsetzen wollen. Jetzt Betriebsverfassung kompakt herunterladen


