FLO VENEER: EuGH-Urteil revolutioniert Innergemeinschaftliche Lieferungen
22.11.2025 - 08:49:12Die deutsche Steuerbranche steht nach dem wegweisenden EuGH-Urteil C-639/24 vor einem Paradigmenwechsel beim Nachweis innergemeinschaftlicher Lieferungen. Während die Experten von KMLZ und PKF diese Woche ihre Analysen veröffentlichten, sorgte der BFH am Donnerstag mit neuen Verfahrensregelungen für zusätzliche Komplexität.
Was bedeutet das Urteil konkret für Unternehmen? Der Europäische Gerichtshof stellt klar: Artikel 45a der EU-Durchführungsverordnung zur Mehrwertsteuer ist keine Einbahnstraße. Wer die spezifischen Nachweise – etwa die Kombination aus CMR-Frachtbrief und Zahlungsnachweis – nicht vollständig vorlegen kann, verliert damit nicht automatisch den Anspruch auf Steuerbefreiung.
Die KMLZ-Analyse im Umsatzsteuer Newsletter 43/2025 bringt es auf den Punkt: Die “Safe Harbor”-Regelung des Artikels 45a ist lediglich ein Angebot, keine Pflicht. Können Unternehmen auf andere Weise nachweisen, dass die Ware tatsächlich das Ursprungsland verlassen hat, muss die Finanzverwaltung die Befreiung anerkennen.
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PKF Fasselt ergänzte am 18. November, dass Finanzbehörden die Umsatzsteuerbefreiung nicht mehr allein wegen fehlender Formaldokumente verweigern dürfen. Die materielle Wahrheit zählt mehr als die formale Perfektion – ein Paukenschlag für die deutsche Beratungspraxis.
Donnerstag brachte die Ernüchterung
Doch was die eine Richterbank gibt, nimmt die andere. Am 20. November veröffentlichte der Bundesfinanzhof mehrere Entscheidungen, die zeigen: Bei Verfahrensfragen kennt das deutsche Steuerrecht keine Gnade.
Das beSt-Dilemma: Im Verfahren X R 31/23 stellte der BFH unmissverständlich klar – technische Probleme oder Unwissenheit über die Pflicht zur Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs rechtfertigen keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Für Steuerkanzleien ergibt sich ein paradoxer Spagat: Während der EuGH bei materiellen Nachweisen Großzügigkeit walten lässt, verschärft der BFH die prozessualen Anforderungen gnadenlos. Fehlende Papierdokumente? Kein Problem. Verpasste digitale Fristen? Spielvorbei.
Gelangensbestätigung verliert Monopolstellung
Die jahrzehntelang unangefochtene Gelangensbestätigung nach § 17a UStDV muss sich neu positionieren. Sie bleibt das bevorzugte Instrument – verschafft sie doch eine Beweislastumkehr zugunsten des Unternehmers. Doch sie ist nicht mehr alternativlos.
Die neue Zwei-Säulen-Strategie:
– Primärziel: Vollständige Artikel-45a-Compliance oder gültige Gelangensbestätigung anstreben
– Absicherung: Mautbelege, Lagerprotokolle, Spediteurskorrespondenz systematisch archivieren
KMLZ betont: Finanzämter können sich nicht mehr hinter formalen Lücken verstecken. Sie müssen die Gesamtheit der Beweise würdigen – eine fundamentale Verschiebung der Beweislast.
BMF unter Zugzwang
Die Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) atmet noch den Geist der strengen Formalnachweise. Nach dem FLO-VENEER-Urteil und der Expertenreaktion dieser Woche wächst der Druck auf das Bundesfinanzministerium. Eine Aktualisierung der Verwaltungsrichtlinien scheint unausweichlich.
Bis zum offiziellen BMF-Schreiben gilt allerdings: Vorsicht bleibt geboten. Die BFH-Beschlüsse vom 20. November mahnen, dass materiell richtige Argumente nichts nützen, wenn Verfahrensfehler sie unterlaufen.
Drei konkrete Handlungsempfehlungen:
Dokumentation überdenken: Unternehmen sollten ihre Logistikprozesse prüfen. Ist Artikel-45a-Konformität schwierig erreichbar, muss ein robustes System für alternative Nachweise her.
Digitale Compliance sicherstellen: Steuerberater müssen die beSt-Pflicht konsequent umsetzen – die November-Entscheidungen des BFH lassen keinen Spielraum.
Betriebsprüfungen aktiv gestalten: Bei laufenden Prüfungen sollte FLO VENEER sofort zitiert werden, sobald Prüfer eine Steuerbefreiung allein wegen fehlender Quick-Fix-Dokumente in Frage stellen.
Die kommenden Wochen werden zeigen, wie schnell die deutsche Finanzverwaltung die europarechtliche Realität in ihre Praxis übersetzt. Bis dahin navigieren Unternehmen in einem Spannungsfeld zwischen europäischer Liberalisierung und deutscher Verfahrensstrenge.
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