Europa, Digitale

Europa schlägt zurück: Digitale Unabhängigkeit wird zur Chefsache

19.11.2025 - 17:31:12

Die digitale Welt bekommt neue Grenzen. Was diese Woche in Berlin, Brüssel und London beschlossen wurde, markiert eine Zeitenwende: Europa will sich von US-Techgiganten emanzipieren – und baut an einer eigenen digitalen Festung.

Drei große Würfe innerhalb weniger Tage: Deutschland und Frankreich schmieden eine Allianz für eine europäische Cloud-Souveränität, Brüssel schnürt ein ehrgeiziges Digitalpaket zur Entbürokratisierung, und London verschärft seine Cybersicherheitsgesetze drastisch. Die Botschaft ist unmissverständlich: Europa hat genug davon, als digitaler Vasall durchzugehen.

Auf dem Europäischen Gipfel für Digitale Souveränität am Dienstag in Berlin machten Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gemeinsame Sache. Ihr Ziel: eine EU-weite Definition für souveräne Cloud-Infrastrukturen und eine klare Bevorzugung europäischer Anbieter bei öffentlichen Ausschreibungen.

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Der Hintergrund ist brisant. Noch immer speichern Behörden und Unternehmen in Europa sensible Daten mehrheitlich bei Amazon Web Services oder Microsoft Azure – und damit potenziell im Zugriffsbereich ausländischer Überwachungsgesetze. Just diese Woche leitete die EU-Kommission Marktuntersuchungen gegen beide US-Konzerne ein, um deren Gatekeeper-Status im Cloud-Geschäft zu prüfen.

“Europa ist bereit, seine eigene digitale Zukunft zu gestalten und Abhängigkeiten zu reduzieren”, formulierte Digitalminister Karsten Wildberger die Kernbotschaft des Gipfels. Die Dringlichkeit unterstrichen die CEOs von Orange und Deutsche Telekom mit einem gemeinsamen Statement: Ohne massive Investitionen und mutige politische Entscheidungen drohe Europa den Anschluss zu verlieren. Nur eine “Souveräne Digitale Union” könne das verhindern.

Brüssel entschlackt: Das Omnibus-Paket für digitale Wettbewerbsfähigkeit

Am Mittwoch legte die EU-Kommission nach. Ihr neues Digitalpaket zielt darauf ab, die Flut an Regulierungen – von KI-Verordnung über Datenschutz bis Cybersicherheit – zu vereinfachen und dabei trotzdem innovationsfreundlicher zu werden. Das Schlagwort: Digital Omnibus.

Kernstück ist eine neue Data-Union-Strategie, die hochwertige Datensätze für die KI-Entwicklung zugänglich machen soll – etwa durch spezielle Daten-Labore. Kleine und mittlere Unternehmen erhalten gezielte Ausnahmen, um Bürokratielasten zu senken. Ein weiteres Projekt: die Europäischen Business Wallets, eine Art digitaler Ausweis für Unternehmen, der grenzüberschreitende Geschäfte in der EU deutlich vereinfachen soll.

“Wir wollen Raum für Innovation schaffen, die in Europa vermarktet werden kann – bei vollem Schutz der Grundrechte”, erklärte die Vizepräsidentin für Tech-Souveränität, Henna Virkkunen. Das Paket ist ein Balanceakt: strenge Regeln, wo nötig – freie Hand, wo möglich. Und vor allem: weniger strategische Abhängigkeit von außereuropäischen Playern.

Großbritannien zieht die Daumenschrauben an

Während Kontinentaleuropa an seiner Cloud-Autonomie feilt, rüstet das Vereinigte Königreich bei der Cybersicherheit auf. Der neue Cyber Security and Resilience Bill, diese Woche im Parlament eingebracht, modernisiert die bestehenden NIS-Regelungen von 2018 grundlegend.

Die schärfste Änderung: drastisch verkürzte Meldefristen. Kritische Infrastrukturen müssen Cybervorfälle künftig innerhalb von 24 Stunden erstmelden, einen vollständigen Bericht binnen 72 Stunden nachreichen. Wer diese Fristen reißt, riskiert empfindliche Strafen.

Zudem erweitert das Gesetz seinen Geltungsbereich auf Managed-Service-Provider und räumt den Behörden neue Befugnisse ein: Sie können jetzt “kritische Zulieferer” benennen, deren Ausfall weitreichende Folgen hätte – und ihnen spezifische Sicherheitsmaßnahmen aus Gründen der nationalen Sicherheit vorschreiben. Das Gesetz soll nun den parlamentarischen Prozess durchlaufen, weitere Konsultationen sind für 2026 geplant.

Der globale Kontext: Digitale De-Globalisierung nimmt Fahrt auf

Europa steht nicht allein. Weltweit beobachten Regierungen mit wachsender Sorge, wie digitale Infrastrukturen zum Einfallstor für Spionage, Manipulation und wirtschaftliche Erpressung werden. “Die Cybersphäre ist eine echte Kriegszone”, formulierte ein Teilnehmer eines Bürgerworkshops. “Die Behörden müssen ihre Bürger online genauso schützen können wie auf der Straße.”

Indien hat kürzlich sein erstes umfassendes Datenschutzgesetz operationalisiert, den Digital Personal Data Protection Act, der klare Nutzereinwilligung vorschreibt und eine Datenschutzbehörde einrichtet. Die USA arbeiten an einer neuen nationalen Cyberstrategie, die vor allem auf härtere Konsequenzen für Angreifer setzt – angekündigt am 18. November.

Was sich hier abzeichnet, ist mehr als ein Flickenteppich nationaler Gesetze. Es ist eine fundamentale Neuordnung: Digitale Souveränität wird vom Nischenthema zum zentralen Pfeiler nationaler Sicherheit und Wirtschaftsstrategie.

Was das für Unternehmen bedeutet

Die digitale Landkarte wird neu gezeichnet – mit deutlich sichtbareren Grenzen. Für international tätige Unternehmen bedeutet das einen Strategiewechsel: Cloud-Architekturen müssen künftig sowohl global vernetzt als auch lokal compliant sein. Transparenz, Sicherheit und Vertrauen werden zu harten Wettbewerbsfaktoren.

Die EU-Initiativen dieser Woche fließen direkt in kommende Gesetzgebung ein. Der für 2026 erwartete Cloud and AI Development Act dürfte viele der jetzt formulierten Ideen aufgreifen und konkretisieren. Wer heute noch ausschließlich auf US-amerikanische Hyperscaler setzt, könnte morgen vor erheblichen Compliance-Problemen stehen.

Die Frage ist nicht mehr, ob Europa seine digitale Unabhängigkeit durchsetzt – sondern wie schnell. Und wer rechtzeitig dabei ist.

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