Europa, Tech-Abkopplung

Europa droht Tech-Abkopplung: EZB schlägt Alarm

23.11.2025 - 05:02:12

Atomico-Report belegt dramatische 10:1-Kluft bei KI-Investitionen zwischen USA und Europa. EZB-Chefin Lagarde warnt vor technologischer Abhängigkeit und fordert radikales Umsteuern.

Die Zahlen sind schonungslos: Während US-KI-Startups 146 Milliarden Dollar einsammeln, kommen europäische Firmen auf magere 14 Milliarden. EZB-Chefin Christine Lagarde findet drastische Worte – und der neue Atomico-Bericht gibt ihr recht.

Es war eine Woche der unbequemen Wahrheiten. Am Freitag stand Christine Lagarde in Frankfurt vor den Spitzen der Finanzwelt und sprach aus, was viele längst befürchten: “Unser Binnenmarkt steht still, besonders dort, wo es um die Zukunft geht – bei digitalen Technologien und Künstlicher Intelligenz.”

Nur einen Tag zuvor hatte der “State of European Tech 2025” der Risikokapitalfirma Atomico die dramatische Investitionslücke zu den USA offengelegt. Die Botschaft aus Brüssel und Frankfurt ist eindeutig: Ohne radikales Umsteuern droht der EU die dauerhafte technologische Abhängigkeit.

Lagardes schärfster Appell

Auf dem 35. Frankfurt European Banking Congress fand die EZB-Präsidentin ungewöhnlich deutliche Worte. Sechs Jahre nach ihrem Amtsantritt sei ihre Diagnose “klarer, stärker und dringender” geworden. Während die geopolitische Ordnung zerbreche und der globale Wettbewerb sich verschärfe, verharre Europa in alten Mustern.

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Besonders alarmierend: die wachsende Abhängigkeit von Drittstaaten bei Sicherheit und kritischen Rohstoffen. Lagarde forderte eine sofortige Vertiefung der Kapitalmarktunion. Die Fragmentierung der europäischen Finanzmärkte zwinge innovative Unternehmen weiterhin, für Wachstumskapital in die USA abzuwandern.

“Wir haben gesehen, wie die Nachkriegsordnung zerbricht”, warnte sie. Ohne eigene technologische Souveränität werde Europa zum Spielball globaler Mächte.

Der 130-Milliarden-Dollar-Schock

Wie recht die EZB-Chefin hat, belegen die Zahlen des Atomico-Berichts vom 20. November. Der europäische Tech-Sektor ist mittlerweile fast 4 Billionen Dollar wert – doch in den zukunftsentscheidenden Bereichen klafft eine gewaltige Lücke.

Die dramatische Diskrepanz bei KI-Investitionen 2025:
* USA: 146 Milliarden Dollar
* Europa: 14 Milliarden Dollar
* Verhältnis: 10:1

Emily Turner, CEO von HSBC Innovation Banking UK, machte bei der Vorstellung deutlich: Besonders der Mangel an Kapital für die späte Wachstumsphase bremse das europäische BIP-Wachstum.

Einziger Lichtblick ist “Defense Tech” mit einem Rekordanstieg auf 1,6 Milliarden Dollar – direktes Resultat der veränderten Bedrohungslage. Doch Experten warnen: Ein Rüstungsboom allein kompensiert den technologischen Rückstand nicht.

Nur 11 Prozent der Draghi-Reformen umgesetzt

Die Kluft zwischen politischen Zielen und Realität wird noch deutlicher durch neue Daten des “Draghi Observatory”. Über ein Jahr nach Mario Draghis historischem Wettbewerbsbericht sind laut European Policy Innovation Council (EPIC) lediglich 11,2 Prozent der Maßnahmen vollständig umgesetzt.

Antonios Nestoras, EPIC-Direktor, fand drastische Worte: “Anstatt unsere verbleibende ‘Made in Europe’-Exzellenz zu stärken, produzieren wir weiterhin weltklasse bürokratische Käfige.”

Wie gefährlich diese Trägheit ist, zeigt ein Bericht des Joint Research Centre vom 19. November zur Photovoltaik-Industrie. Trotz europäischer Innovationsführerschaft in der Forschung steht die verarbeitende Industrie vor dem Kollaps durch chinesische Billigimporte. Das JRC warnt explizit vor dem Verlust der “Technologie-Souveränität”.

Der regulatorische Würgegriff

Ein Bericht des EU-Parlaments vom 19. November bestätigt das Dilemma: Die kumulative Last von AI Act, Data Act und DSGVO bremst Innovationen eher, als sie zu fördern. Das Ergebnis ist ernüchternd – nur drei Unternehmen der “Forbes AI 50”-Liste 2025 stammen aus der EU. 42 kommen aus den USA.

Der im Januar vorgestellte “Competitiveness Compass” der Kommission sollte die Wende bringen. Doch die Umsetzung stockt in den Mitgliedsstaaten. Lagarde kritisierte am Samstag in Wien, dass nur 7 von 20 Euro-Ländern die neuen fiskalischen Spielräume nutzen.

Dezember-Gipfel unter Hochdruck

Die Kombination aus fehlendem Risikokapital, regulatorischer Überlastung und politischer Zögerlichkeit schafft einen “Perfect Storm”. Während die USA und China ihre Tech-Sektoren mit massiven Subventionen abschirmen, droht Europa zwischen den Blöcken zerrieben zu werden.

Der Druck auf die Staats- und Regierungschefs für den Dezember-Gipfel ist immens. Beobachter erwarten, dass die Kommission Anfang des Monats konkrete Vorschläge zur Harmonisierung der Kapitalmärkte vorlegen wird.

Ohne einen “Big Bang” bei der Kapitalmarktunion und einer aggressiven Deregulierungsoffensive wird das Ziel, bis 2030 technologisch aufzuholen, endgültig verfehlt. Mario Draghis Warnung vor einer “schleichenden Agonie” scheint sich schneller zu bewahrheiten, als selbst Pessimisten befürchteten. Die Frage ist nicht mehr, ob Europa ein Problem hat – sondern ob es noch die politische Kraft besitzt, es zu lösen.

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