EUDR: Zweite Verzögerung bringt EU-Waldschutz ins Wanken
24.11.2025 - 01:59:12Die EU verschiebt ihr Entwaldungsgesetz erneut – bis Ende 2026. Umweltschützer sind entsetzt, die Industrie gespalten. Droht das Vorzeigeprojekt zum Papiertiger zu werden?
Das Ringen um die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) nimmt immer groteskere Züge an. Vergangene Woche stimmte der EU-Rat für eine zweite einjährige Verschiebung des Gesetzes. Große Unternehmen müssten ihre Produkte damit erst ab dem 30. Dezember 2026 auf Entwaldungsrisiken prüfen – zwei Jahre später als ursprünglich geplant. Was als Meilenstein im Kampf gegen die Zerstörung der Regenwälder gedacht war, droht zur Farce zu werden.
Die Kluft zwischen Europas grünen Ambitionen und der rauen Wirklichkeit wird damit schmerzhaft sichtbar. Während der Rat von “Vereinfachung” und “Vorbereitung” spricht, warnen Kritiker: Die wiederholten Aufschübe höhlen das Gesetz systematisch aus.
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Nach einem Treffen der Botschafter am 20. November verabschiedete der Rat offiziell sein Verhandlungsmandat für die Verschiebung. Große und mittlere Unternehmen erhielten damitAufschub bis 30. Dezember 2026. Mikro- und Kleinunternehmen bekämen sogar bis zum 30. Juni 2027 Zeit.
Bereits Ende 2024 hatte die EU das ursprünglich für Dezember 2024 geplante Inkrafttreten auf Dezember 2025 verschoben. Doch nur Wochen vor dieser überarbeiteten Frist erklärt Brüssel nun erneut: Wir sind nicht bereit.
Die “Vereinfachungen” gehen über die reine Fristverschiebung hinaus. Künftig müsste nur noch der erste Marktteilnehmer eine vollständige Sorgfaltserklärung einreichen. Nachgelagerte Händler könnten sich darauf beschränken, die Referenznummer dieser Erklärung weiterzugeben. Kleinstbetriebe sollen sogar mit einer “einmaligen vereinfachten Erklärung” davonkommen – eine Maßnahme, die kleine Landwirte vor komplexer Bürokratie schützen soll.
IT-Kollaps als Vorwand für Deregulierung?
Die offizielle Begründung: technisches Versagen. Im September räumte die EU-Kommission “ernsthafte Kapazitätsprobleme” beim IT-System ein, das Millionen von Sorgfaltserklärungen verarbeiten soll. Das System sei schlicht nicht leistungsfähig genug für die erwartete Datenlast.
Doch für Kritiker ist die IT-Panne nur ein willkommener Vorwand. Besonders brisant: Der Ratstext verpflichtet die Kommission zu einer “Vereinfachungsprüfung” bis 30. April 2026. Diese soll die Verwaltungslasten bewerten – bevor das Gesetz überhaupt greift. Umweltverbände fürchten, diese Klausel diene als Einfallstor, um die Anforderungen im kommenden Jahr weiter aufzuweichen.
Die Kommission will mit der Verschiebung “Unsicherheit vermeiden”. Für Unternehmen, die Millionen in Vorbereitungen für 2025 investiert haben, schafft die erneute Kehrtwende jedoch genau jene Unsicherheit, die sie angeblich verhindern soll.
Scharfe Kritik: “Verrat am Amazonas-Regenwald”
Die Reaktionen fallen verheerend aus. Umweltorganisationen, die das EUDR als entscheidendes Werkzeug zum Schutz des Amazonas und anderer Wälder betrachten, sprechen von Kapitulation vor Industrielobbyisten.
Mighty Earth nannte den Vorstoß einen “ungeheuerlichen” Verrat. Isabel Fernandez, Beraterin der Organisation, erklärte: “Die EU-Mitgliedstaaten haben soeben zugestimmt, den Amazonas-Regenwald massiv zu verraten. Diese Verschiebung ist schlicht eine Möglichkeit für Nachzügler in entwaldungsriskanten Branchen, mehr Zeit zu erkaufen, um das Flaggschiff-Gesetz gegen Null-Entwaldung weiter anzugreifen und zu torpedieren.”
Der WWF bezeichnete die Ratsposition als “zutiefst fehlerhaft”. Anke Schulmeister-Oldenhove, Waldexpertin beim WWF-Europabüro, warnte: “Mit dieser Abstimmung steht das EUDR kurz davor, zur theoretischen Denkübung zu verkommen statt zu einem konkreten Schritt gegen Entwaldung.”
Pikant: Selbst die Industrie ist gespalten. Im Oktober wandten sich Nestlé, Ferrero und Mars Wrigley in einem Brief an die EU-Kommission gegen weitere Verzögerungen. Diese Konzerne haben bereits massiv in Rückverfolgbarkeitssysteme investiert. Ihre Botschaft: Wer sich vorbereitet hat, wird bestraft – wer geschlafen hat, belohnt.
Trilog-Verhandlungen: Entscheidung bis Jahresende
Der Ratsbeschluss ist nicht das letzte Wort. Das Europäische Parlament muss noch zustimmen, die politische Gemengelage dort bleibt unübersichtlich. Der Rat drängt auf schnelle Einigung noch vor Jahresende. Denn ohne rechtzeitige Verabschiedung bis Ende Dezember würde formal das bisherige Gesetz mit der Dezember-2025-Frist greifen – ein rechtliches Chaos für den Handel.
Doch angesichts der geschlossenen Ratsfront für die Verschiebung und der Rückendeckung der Kommission scheint der Weg zur zweiten Verzögerung vorgezeichnet. Für globale Lieferketten lautet die Botschaft: Die Ära strikter Entwaldungskontrolle wurde abermals vertagt. Zurück bleiben die Wälder – und jene Unternehmen, die sie schützen wollten – im Schwebezustand.
Kann ein Gesetz, das zweimal verschoben wurde, noch seine ursprüngliche Wirkung entfalten? Die kommenden Wochen werden zeigen, ob Europas grüne Versprechen mehr sind als heiße Luft.
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