EUDR-Verschiebung: EU-Parlament bremst Waldschutz-Gesetz aus
27.11.2025 - 07:01:12Das Europaparlament hat die Umsetzung der Anti-Entwaldungsverordnung für Großunternehmen auf Ende 2026 verschoben. Eine ungewöhnliche Allianz ermöglichte die zweite Verzögerung binnen zwei Jahren.
Das EU-Parlament hat am Mittwoch die Einführung der Anti-Entwaldungsverordnung (EUDR) erneut um ein Jahr verschoben. Was eigentlich Ende 2025 für Großunternehmen in Kraft treten sollte, wird nun frühestens Ende 2026 Realität – sofern Rat und Kommission zustimmen. Die zweite Verzögerung binnen zwei Jahren.
Mit 402 Ja-Stimmen, 250 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen stimmten die Abgeordneten am 26. November 2025 in Straßburg für die Verschiebung. Ein klares Votum, das eine kontroverse Allianz ermöglichte: Die christdemokratische EVP bildete mit konservativen und rechten Fraktionen eine Mehrheit – in Brüsseler Kreisen ironisch als “Venezuela-Mehrheit” bezeichnet.
Die beschlossene Fassung verschiebt nicht nur die Umsetzungsfrist für große Unternehmen auf den 30. Dezember 2026. Auch Kleinst- und Kleinbetriebe erhalten mehr Zeit bis zum 30. Juni 2027. Zusätzlich soll die Verordnung “vereinfacht” werden: weniger Berichtspflichten für nachgelagerte Akteure, eine umfassende Folgenabschätzung der EU-Kommission bis April 2026.
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Ungewöhnliche Allianz gegen Grüne und Sozialdemokraten
Die EVP schmiedete für diesen Erfolg ein Bündnis mit den Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR), den Patrioten für Europa (PfE) und der Fraktion Europa der souveränen Nationen (ESN). Gegen diese Koalition kamen Sozialdemokraten, Liberale von Renew Europe und die Grünen nicht an.
Christine Schneider, Hauptverhandlungsführerin der EVP aus Deutschland, verteidigte die Entscheidung: Man habe effektiven Waldschutz mit geringeren Belastungen für Unternehmen, Landwirte und Förster verbunden. Die EVP-Fraktion sprach von notwendiger Atempause gegen “bürokratisches Chaos”.
Doch ist die Verschnaufpause wirklich im Interesse der Wirtschaft?
Industrie gespalten: Nestlé und Ferrero protestieren
Die Reaktionen aus der Wirtschaft fallen überraschend unterschiedlich aus. Während Forst- und Agrarbetriebe in einigen Mitgliedstaaten aufatmen, zeigen sich große Lebensmittelkonzerne frustriert. Nestlé, Ferrero und weitere Branchenriesen hatten eindringlich vor einer erneuten Gesetzesöffnung gewarnt. Ihr Argument: Sie haben bereits Millionen investiert, um die ursprüngliche Frist 2025 einzuhalten.
Weitere Verzögerungen schaffen Rechtsunsicherheit und bestrafen ausgerechnet jene, die frühzeitig handelten. Wer sich beeilt hat, steht nun schlechter da als die Zauderer.
Umweltorganisationen sprechen von Verrat
Noch schärfer reagieren Nichtregierungsorganisationen. Boris Patentreger von der Umweltschutzorganisation Mighty Earth findet deutliche Worte gegenüber Mongabay: “Wir stehen kurz vor dem Ziel, und in diesem Moment töten sie die EUDR.” Zwei aufeinanderfolgende Jahresverzögerungen – für Patentreger ein Offenbarungseid.
Anke Schulmeister-Oldenhove, Politikexpertin für Wälder beim WWF European Policy Office, sieht ein Staatsversagen: “Was als IT-Problem begann, ist zu einem chaotischen und unkontrollierbaren Zustand mutiert. Die Europäische Kommission muss dringend aufräumen und die Kontrolle zurückgewinnen.”
Die Kritik trifft einen wunden Punkt: Die EU präsentiert sich international als Klimavorreiter, während sie zu Hause ihre eigenen Umweltstandards schleift.
Die Geschichte eines Rückzugs
Die EUDR ist ein Kernstück des European Green Deal, verabschiedet 2023. Sie verbietet den Verkauf von Produkten – darunter Kaffee, Kakao, Soja, Palmöl, Holz, Kautschuk und Rindfleisch –, die mit Entwaldung in Verbindung stehen.
Der Zeitstrahl der Verzögerungen:
* Ursprünglicher Plan: Inkrafttreten am 30. Dezember 2024
* Erste Verschiebung (November 2024): Nach massivem Druck von Handelspartnern und Industrieverbänden Verlängerung um ein Jahr auf den 30. Dezember 2025
* Zweite Verschiebung (November 2025): Technische Probleme mit dem Informationssystem und mangelnde Bereitschaft der Mitgliedstaaten führen zur aktuellen Verzögerung
Der EU-Rat hatte bereits am 19. November 2025 seine Unterstützung für den neuen Zeitplan formalisiert. Die Position des Rates betont besonders, dass nur der erste Marktteilnehmer, der ein Produkt in Verkehr bringt, zur Sorgfaltserklärung verpflichtet sein soll. Nachgelagerte Händler werden von doppelten Verwaltungslasten befreit.
Was kommt jetzt? Trilog-Verhandlungen unter Zeitdruck
Da Parlament und Rat sich im Wesentlichen einig sind, stehen nun die “Trilog”-Verhandlungen mit der EU-Kommission an. Diese dürften kurz ausfallen – alle Beteiligten stehen unter Zeitdruck, den Rechtstext vor dem aktuellen Stichtag 30. Dezember 2025 abzuschließen.
Die neuen Compliance-Fristen bei Einigung:
* 30. Dezember 2026: Große und mittlere Unternehmen
* 30. Juni 2027: Kleinst- und Kleinunternehmen
Doch die Überprüfungsklausel für April 2026 birgt Sprengstoff. Umweltgruppen befürchten, dies könne zu einer dauerhaften Verwässerung der EU-Anti-Entwaldungsstandards führen. Ein trojanisches Pferd im Gesetzestext?
“Der Zeitpunkt dieser Entscheidung könnte kaum schlechter sein”, merkt Schulmeister-Oldenhove an. Der Kontrast zwischen internationalen Klimaversprechen und innenpolitischem Rückzug sei eklatant. “Es gibt keine Belege, dass Verzögerung und Abschwächung der EUDR die Rentabilität von Unternehmen verbessern werden.”
Bleibt die Frage: Schützt die EU noch den Wald – oder nur noch die eigene Bequemlichkeit?
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